zur Startseite

zur Startseite (ecotopia dance productions: Pressestimmen Helena Waldmann - circuit)

HELENA WALDMANN

PRESSESTIMMEN

DIE EROTIK DER WUNDE
Helena Waldmann begann nach Assistenzen bei George Tabori und einer Zeit als Regieassistentin und Regisseurin in Bochum ihre Arbeit in Frankfurt mit einer gelungenen und inzwischen vielgereisten Inszenierung von "Die Krankheit Tod" nach Marguerite Duras. Im Zentrum: der Körper, seine Spuren in den verschiedenen Texturen, in den Materialien der Bühne, in der Sprache, in der Erinnerung des erzählenden Ich. Bereits in dieser Arbeit fand sich der Zuschauer-Voyeur in ungewohnter Lage: Er betrachtet die Performance von unten, aus der Horizontalen, liegend, Mensch neben Mensch. Diese körperliche Voraussetzung für den veränderten Blick des Zuschauers findet ihre Fortsetzung in 'Circuit', das Ende März im Künstlerhaus Mousonturm, Frankfurt, Premiere hatte.
Die Zuschauer sitzen auf einer Drehbühne, bilden einen voyeuristischen Kral um eine zentrale zweite Bühne; ein Glastisch, der der Tänzerin einen Meter Durchmesser an Bewegungsraum läßt, den Spiel-Raum für ein Martyrium. Ihr Körper ist erhöht und den Blicken der Zuschauer sowie den hinter den Zuschauern kreisförmig angeordneten Angreifern Gesang (Karin Niederberger), Komposition/Musik (Hubert Machnik), Licht (Mime Möller), Auge (Susanne Kessler). Das Thema: ein Vexierspiel von Körper und Blick zwischen Lust und Erleiden.
Eine Performance nennt die Regisseurin Helena Waldmann ihr Projekt, an dem Künstler aus verschiedenen Sparten beteiligt sind: Tanz/Choreografie, Komposition, Gesang, Licht. Dieser Begriff - Performance- verspricht immer noch eine unkonventionelle und prozeßhafte Kollision dieser Sparten. Vielleicht sogar, daß der Zuschauer im weitesten Sinne in Bewegung versetzt wird (selten genug), als Betrachter zugleich Mitbeteiligter im Raum der Kunst. Eine Hoffnung auf Irritation, auch eine Autonomiebehauptung, die den Körper im Zentrum der Szene miteinschließt.
Der Tanz, wie die Gesamtkomposition, umspielt die Figur des Heiligen Sebastian, nimmt seine Faszination zum Anlaß. Die Tänzerin Angélique Willkie (Jamaica) ist eine ideale Besetzung für den androgyn, in Schönheit erhobenen Körper des Märtyrers. Zu Beginn steht sie in rote Bänder gehüllt, die im Raum verspannt zu ihren Angreifern führen: Pfeile, Büßergewand, Fäden der Macht. Ikone oder Schandbild.
In einem Klangraum zwischen Orchesterprobe und Steinigung schwankt der Leib vor und zurück, testet die Dehnung seines Gefängnisses und den verbleibenden Bewegungsraum. Ist es Widerstand oder auch Hingabe an die Situation? Alle Darstellungen des Heiligen Sebastian spielen mit der erotischen Komponente des zum Messer, zum Pfeil hingewölbten Körpers, des zur Wunde sich öffnenden Leibes.
Der heilige Sebastian: z.B. Offizier und Märtyrer, im 3. oder 4. Jh. auf Befehl Diokletians wegen seines Widerstandes, seines christlichen Glaubens, seiner Schönheit von den eigenen Mannen widerwillig mit Pfeilen durchdrungen. Er überlebt, wird gesteinigt. Dieser Körper, der souverän der Verletzung standhält, ein in überirdischer Schönheit und Gelassenheit die Wunde darbietender nackter Leib, das war das Motiv unzähliger Darstellungen in der Renaissance.
Mit dem ersten Angriff der Sängerin setzt sich der Raum - und mit ihm die Zuschauer - in Bewegung. Widerstrebend wird der Körper des Ofers für das Ritual enthüllt, werden die Pfeile zur erneuten Verwendung aus dem Fleisch gezogen, die Steine wieder eingesammelt.
Doch Sebastian muß ein weiteres mal vernichtet werden. Er erhebt sich. Während die Choreographie sich verlangsamt, wird die Musik mitreißender. Der Tanz spitzt sich zu auf ein Minimum, Relevés, Blicke. Das 'Auge' beginnt auszuweichen, bis es sich zitternd schließt. Bis der gemarterte Körper nach einem letzten Blick, verlassen von diesem Auge, sich zurückzieht. Er richtet sich langsam wieder auf. Kehrt zum Anfang zurück. Nicht getroffen. Black.
'Circuit' ist ein Ensemble der Zeichensysteme des Theaters. Es spielt das Licht, der Ton, der Raum, der Körper, die Stimme. Ihr gemeinsames Motiv ist der Körper zwischen Agonie und Extase. Ihr Ziel: ein bestürzend sinnliches Ereignis.
Bettina Milz, ballet-tanz 5/95

Das Vergnügen an der Gewalt, der eigene Körper als Zielscheibe für Spieße und Blicke. Mit Exibitionismus und Voyeurismus wird in der Aufführung gespielt. Trotz der Drehbühne, die sehr schnell an eine Peepshow denken läßt - genau das ist es nicht. Um das Gegenteil geht es: den Zuschauer nicht verführen, sondern seine Blicke aushalten. 70 Augenpaare muß die Tänzerin 50 min lang auf ihrem einsamen Sockel ertragen.
Dirk Fuhrig, Frankfurter Rundschau

Helena Waldmann treibt es auf die Spitze. Das Theater als Apparat der Blicke, die die Körper der Darsteller durchbohren wie Pfeile. Auf unzähligen Renaissance-gemälden hat sie ihr Vorbild gefunden: den heiligen Sebastian, gemartert, auf einem Podest ausgestellt, um ihn herum die Schergen des Königs, die ihm ohne mit der Wimper zu zucken Pfeile in seinen unversehrten Körper jagen. Den Blick gen Himmel gerichtet, scheint der schöne androgyne Jüngling jedoch eher entzückt als entsetzt ob seiner Qualen. Leiden und Schmerz, Heiligkeit und Erotik - Theater macht Lust... Die Haut der Darstellerin ist geöffnet. Denn dort, wo sie der Blick des Zuschauers trifft, liegt der Mensch bloß. Theater geht unter die Haut. Die androgyn wirkende Tänzerin aus Jamaica, Angélique Willkie, bewegt sich auf einer kleinen Tanzplatte in der Bühnenmitte. Die Zuschauer gruppieren sich auf einer Drehbühne um sie herum. Von den vier Raumecken richten sich verschiedene Impulse auf die Mitte. Gesang, Musik und Licht durchdringen den Raum wie Pfeilschüsse. Helena Waldmanns Theater trifft und verrückt die Zuschauer.
Gerald Siegmund, Journal Frankfurt

Im Mund der Sängerin braut sich etwas zusammen. Tönende Drohgebärden tanzen aus ihrer Kehle. Sie stößt Knacklaute heraus; wütende Klanggnome, die sich in demselben Moment, in dem sie angriffslustig aus ihr herauspreschen, sich auch schon wieder in tonlose Luft auflösen. Plötzlich ein hoher Schrei, erst zittrig, dann klirrend scharf. Er trifft die Tänzerin Angélique Willkie in der Mitte auf der Drehbühne. Zaghaft tastet sie ihren Hals ab, als suche sie nach einem Splitter. Ihr Gesicht zeigt keinen Schmerz, nur eine Irritation. Ruhig nimmt sie ihre Bewegungen wieder auf, biegt langsam ihre Arme auf den Rücken, streckt ihren Körper und modelliert mit ihm Skulpturen. Ein erneuter Schrei. Diesmal läßt seine Wucht die jamaikanische Tänzerin förmlich implodieren
Birgit Glombitza, AZ Frankfurt

Blutrote Bänder überziehen den Raum, kreuzen sich in der Mitte der kreisrunden Bühne, dort, wo auf einem Tisch, gefangen und gefesselt, eine Frau steht. Ihre Arme sind an den Körper geschnürt, ein Knie ist gebeugt, der Kopf über die Schulter geneigt: So haben die Renaissancemaler das Martyrium des heiligen Sebastian dargestellt. Langsam setzt sich die drehbare Bühne in Bewegung, und mit den Kreisen fallen die Fesseln von der jamaikanischen Tänzerin Angélique Willkie, deren Blick, ungläubig, sanft und voll Einverständnis, über das Publikum streift. Wie eine Schlange, die sich häutet, wie eine Wiedergeburt wirkt diese langsame Befreiung ihres athletischen Körpers, der in dem hellen Trikot wie nackt wirkt. Wiegend und sich drehend scheint dieses reptilienhafte, geschlechtslose Wesen seinen Körper zu entdecken, während es mit Pfeilen aus rotem und weißem Licht beschossen wird. Und was eben noch wie das zarte Tasten eines neugeborenen Tieres wirkte, wandelt sich im nächsten Moment zum Todeskampf. Sich windend unter den Strahlen, wirken ihre Bewegungen getrieben. Gepeinigt und panisch wirft sie sich auf ihrem winzigen Podest um den eigenen Körper, als seien Gitterstäbe um sie herum, die eine Flucht unmöglich machten. Und über den Schmerzen scheint eine Lust zu liegen, die untrennbar vom Schmerz ist. Waldmann hat in der einen Ecke des Raumes eine Halbkugel installiert, aus der ein riesiges Auge, den Blick der Zuschauer aufnehmend, teilnahmslos das Geschehen beobachtet. Erst vor dem letzten verzweifelten Aufbäumen verschließt es sich, und als Sebastian sich unter den Stimmen eines Chorals erhebt - erlöst, befreit und aufrecht -, da wird das Auge blind.
Ulrike Moser, Frankfurter Allgemeine Zeitung 2.4.1995

nach oben