HELENA WALDMANN
PRESSESTIMMEN
FEIERABEND! - DAS GEGENGIFT - VON HELENA WALDMANN & FRIENDS
Diesmal wird alles anders! Das Theater soll wieder werden, was es mal war! Schluss mit dem Vormachen. Feste feiern! Solche Ankündigung samt erahnter Aufforderung zum Tanz ließ die Skeptikerin erschaudern. Dann blickt mir eine lastikmäusemaske ins Gesicht und fragt, ob ich Mut habe. «Ja», lautet die mündliche Vereinbarung; die visuelle folgt: Jeder Besucher sucht sich im Foyer, bei Geplauder und erstem Trunk, eine Plastikmaske aus, darf Versteck mit seiner Identität spielen. Muss aber nicht. Unter der Tierschnauze verfliegt mir der Ärger des Tages. Diese falschen Gesichter machen uns zu einer Gemeinschaft. Sie sortieren Artgenossen: Affen, Mäuse, Löwen, Pferde, Wölfe, Bären. Wildfremde Leute lächeln einander zu. Helena Waldmann, Leithammelin der Gastgeber, hält eine kurze programmatische Ansprache. Dann dürfen wir rein ins Theater.
Mitmachen.
Das Entrée ist ausgeklügelt. Das Performerteam hat alles wiederholt an lebenden Subjekten ausprobiert, immer wieder verändert, unterstützt von den Dramaturginnen Rosi Ulrich und
Célestine Hennermann. Der Ablauf ist geplant, die Musiken, die «Event»- Einlagen, gesteuert werden emotionale Dynamiken - wie bei einem Fest. Wie beim Theater. Das ist durchschaubar und versteckt sich auch nicht. Aber es distanziert sich nicht ironisch oder belehrend. Das beweist Mut. Die Kunst ist, den Gast wirklich mitzunehmen. Die sieben prima Performer stellen sich mit Namen vor, freundlich, unaufdringlich. Sie leiten ihre Rudel in den Theaterraum. Während Raman Zaya die Wölfe Kichererbsenhumus bereiten lässt, erzählt er vom Festefeiern der Iraner. Yui Kawaguchi zeigt, wie Origami aus alltäglichem Papier Besonderes schafft. Eine andere Gruppe lernt ein Lied. So tragen die Gäste zum Fest bei: Speise, Gesang, Deko. Wie sehr sie selbst beitragen, entscheidet über das Gelingen des Fests.
Ist man gern mal Menge? Und klatscht gemeinsam einen Rhythmus, hüppelt zu Balkan Beat und orientalischem Pop. Stimmt lauthals ein in «Für mich soll's rote Rosen regnen», in ein französisches und ein serbisches Lied. Probiert ein paar Derwisch-Drehungen. Wirken das tanzfreakige Zappeln oder die ekstatische Einlage eines Gastes peinlich? Ein Lachanfall?
«Feierabend!» kann damit leben.
Schließlich schürt er Gefühle, nicht nur mit der nomadischen Musikauswahl: Ein hoch hängender Beutel wird mühevoll mit Knüppeln zerhauen. Es regnet Schnipsel und Glitter. Ein virtuoser
Messertanz, ein lauter Stockkampf und wie Mohammad Reza Mortazavi aus seinem Trommelinstrument ein eigenes Klanguniversum herausklopft, machen staunen. Raman Zaya schüttelt Becken und Brust, dass einem anders wird. Sex kommt auch vor, Gewalt, Schmerz - fingiert, doch berührend. Das Opfer, das zu einem traditionellen Fest gehört, ob als Schlachtung, Geld, Hingabe, bringt niemand leichtfertig.
Der «Feierabend!» ist eine Gabe. Wir nehmen und nehmen teil mit allen Sinnen. Sinnbild einer Verwandlung, wie sie, selten, Kunst auf der Bühne auch bewirken kann. Jede Aufführung
beeinflusst die Zuschauer, und jeder Kritiker reagiert subjektiv. Beides stellt das Fest spürbar auf Messers Schneide. Bon Courage!
Melanie Suchy, ballet-tanz 05/08
FEST OHNE ANLASS
Helena Waldmann zelebriert den interaktiven feierabend! in Hamburg
'Die Leute wissen einfach nicht mehr, wie man feiert', erzählte neulich ein in Rente gehender Kollege. Auf Betriebsfesten sei ihm das aufgefallen: kein Schifferklavier, keine Gitarre. Die Leute wüßten nicht mehr, wie man einen Vers reimt, ein Lied umdichtet, eine Rede einstreut - kurz: sich schrittweise kollektiv gehenläßt und dabei selbst etwas zur Dramaturgie beiträgt. Statt dessen gruppieren sich die Leute im Anzug steif um Stehtische. Meint der Kollege.
Hier setzt Helena Waldmanns Kur an: feierabend! - das gegengift - nennt sie ihre neue Inszenierung, die aus Zuschauern Feierabendlaunige macht. Zunächst gilt es, die erste Hürde zu nehmen: über eine Absperrung. Eine maskierte Performerin spricht jeden Eintretenden einzeln an, fragt ihn, ob er Mut habe. Und öffnet ihm schließlich die Kette mit einem in der Ferne gezündete Knall und ermutigenden Worten. Der akustische Effekt funktioniert: Der Eintritt ist eine Entscheidung. Ein freundlicher Mann weist den Weg zur Garderobe, spricht wohlklingende Worte in charmant klingendem, französisch angehauchtem Deutsch. Es gilt, eine Gruppe zu wählen. Es gibt Wölfe, Bären, Affen, Mäuse und Löwen. Drinnen, auf der Bühne, wartet bereits ein Tisch, ein schafgesichtiger Maskierter wandelt in der Nähe, immer mehr Maskierte finden sich ein.
Alle Gruppen tragen etwas Eigenes bei zu diesem Abend: Die Bären singen, die Affen fotografieren, die Wölfe zaubern ein köstliches Essen für alle. Essen, das später , nach Table Dance und rasantem Messertanz, genußvoll verspeist wird. Entspannend unspektakulär ist das Klima dabei: Es gibt Höhepunkte, die manchmal kaum wahrgenommen werden. Und es gibt eine wunderbar träge Phase, die fad ist und perfekt zum Runterkommen. Wer mag, kann zum Schluß noch Sufidrehen im Dutzend probieren, und Mohammad Reza Mortazavi stellt sich als der heimliche Drahtzieher dieses Fests heraus: Seinen live dargebotenen Trommelrhythmen können sich nur wenige entziehen, auch die Sitzenden nicht.
Jedes dieser vom Publikum aufgeführten Feste fällt anders aus, das liegt in der Natur der Sache. Nach der Uraufführung in Hamburg blieb eine schmerzliche Wehmut. Zwar hat Helena Waldmann ein feines Gespür für Timing: Wann das Fest in seine nächste Phase umbricht, diese Übergänge stimmen bis ins Detail. Und doch das Herzstück des Fests fehlt: die Intention - der Wechsel im Leben eines individuellen Menschen, einer Gruppe, einer Umgebung. Es ist, als habe man das Skelett des Fests Wirbel für Wirbel abtasten können. Das Fleisch aber fehlt.
Liebe Gabriele Wittmann,
das Herzstück des Fests fehlt nicht: es ist das Fest selbst.
Sie schreiben es doch am Anfang. In einer Gesellschaft, die das Feste feiern verlernt, ist die Intention von 'feierabend! - das gegengift -' die Notwendigkeit des Fests wiederzuerkennen - Fest ist Gemeinschaft und Fest ist Widerstand gegen das Funktionierenmüssen, gegen die Kontrolle, die Angst, die Verfleißigung und den Sicherheitswahn - und das zu feiern, ob fleischfressend oder vegetarisch.
Helena Waldmann
Tanz-journal 02/08, Gabriele Wittmann
mit einem Kommentar von Helena Waldmann
MITTENDRIN
Helena Waldmann & Friends laden ein: „feierabend! - das gegengift“
Eigentlich hatte sie ein Stück über Arbeit und Arbeitslosigkeit machen wollen, war zu hören, dann landete sie beim Feierabend. Helena Waldmann ist berühmt für ausgeklüngelte Inszenierungen auf der Kante zwischen Tanz und Theater; ihre mit iranischen Frauen erarbeite„Letters from Tentland“ wurden landauf und landab gezeigt und gelesen. Womit sie nun auf Gastspieltour geht, ist ganz anders, ist überhaupt das Andere. Sie und ihre ausgesuchten Performer feiern buchstäblich das Nicht-Alltägliche – auch des Theaters: das Fest. Wer hingeht, ist dabei, mittendrin und lässt sich nicht, wie sonst, einen Bühnenabend lang etwas vormachen.
Ja, ich war skeptisch, trotz der weit ausholenden Recherchen und Überlegungen, die Waldmanns Dramaturginnen und der Tanzpublizist Arnd Wesemann im Vorfeld im Frankfurter Mousonturm präsentierten. Modische Mitmachanimationen im Theater wirken oft albern und angestrengt. „feierabend!“ geht ein großes Risiko ein. Doch das Team tappt weder in diese Fallen, noch präsentiert es mit seinen Mitspielern aus unterschiedlichen Kulturen süßliche Exotismus-Klischees. Die Dramaturgie im einfach ausgestatteten Bühnenraum gibt Rahmen, innere Struktur und Freiheit.
Der zeitliche Verlauf vom Eintreffen bis zum ausklingenden Ende, mit Stationen, Übergängen, die Wechsel von Zuschauen und Tun, Zuhören und Mitgehen, Tanzen und Tanzen-Lassen, Spannungen und Entspannungen nimmt einen freundlich mit, kommt immer als Angebot, nie als Zwang. Das Element der Gabe, im ursprünglichen Fest-Sinne religiös-zeremoniell auch als Opfer verstanden, ist durchgängig zu erkennen in wandelnder Gestalt: als Plauderei übers Feiern im Iran, als musikalische und tänzerische Darbietung, beim Essen und Trinken, bei einer angedeuteten Abendmahlszene, wo das doppeldeutige Wort „Gericht“ fällt. Wer sich selbst der Atmosphere und dem Miteinander hingibt, steht am Ende mit dankbarem Gefühl unterm
nächtlichen Himmel.
Melanie Suchy, K.West, 03_08
HEMMUNGSLOS HINTER MASKEN FEIERN
Im Stück „Feierabend! – Das Gegengift“ verwandelt sich der Zuschauer in einen Schauspieler – und umgekehrt.
Helena Waldmanns Inszenierung ist ein tierischer Maskenball, bei dem Grenzüberschreitungen möglich sind.
Düsseldorf. „Haben Sie Mut?“ – auf diese Frage würden die meisten Menschen normalerweise mit „ja, natürlich“ antworten. Doch am Donnerstagabend zögern die Tanzhausbesucher bei der Frage des maskierten Türstehers. Es ist einschüchternd, keine Gesichtszüge zu sehen.
In dem Stück „Feierabend! – Das Gegengift“ verwandeln sich Zuschauer in Schauspieler und umgekehrt, hier wird das Inszenierte zur Überraschung.
Gleich zu Anfang legen die Gäste tierische Masken an. Anonymität als Sicherheit; wer Schauspieler und wer Gast ist, bleibt vorerst verborgen. Die Mäuse, Pferde, Wölfe, Bären rotten sich hinter ihrem „Alphatier“ zusammen und kreieren gemeinsam etwas Neues: Essen, ein Musikstück, einen Tanz. Die Bühne verwandelt sich in einen Aktionsraum.
Wohin das Auge blickt: Auf der Bühne tanzen ekstatische Gäste
Danach wird der Mensch zum Herdentier – die Schauspieler beginnen auf der Bühne den Festtanz, nach und nach greift die Stimmung auf die Gäste über. Einer fängt an zu klatschen, einer bewegt die Füße. Die Trommel des Opferschafes schlägt schneller, die Musik geht ins Blut über – viele der Gäste verlieren ihre Hemmungen.
Die Tiere tanzen miteinander und gegeneinander. Blitze erhellen die Bühne. Ein Wolf wirft sich auf den Boden, zuckt mit den Beinen. Löwen drehen sich wie rasend mit erhobenen Armen. Mäuse kriechen auf dem Boden: ekstatische Tänzer, wohin das Auge blickt.
Mitten in diesen Grenzüberschreitungen erscheint der Affe – wird geschlagen, bis aufs Fleisch entkleidet. Die Gäste schweigen verstört, Unsicherheit macht sich breit. Währenddessen beginnen die sieben Schauspieler unter den Gästen unbekümmert das Abendmahl – und laden zum Mitmachen ein. Beim Essen sprechen die Schauspieler mit den Tänzern, die Stimmung wird wieder lockerer.
Jetzt ist die Grenze zwischen Bühne und Zuschauerraum komplett aufgehoben, die Besucher demaskieren sich, die Darsteller sind mitten unter ihnen. „Man weiß gar nicht, was man hier denken soll“, murmelt ein Gast. Das muss auch so sein, sagt Choreografin Helena Waldmann, die unbefangen mitfeiert.
„Feste bestehen aus einem Auf und Ab der Gefühle. Sie sind in Phasen unterteilt, die überall auf der Welt gleich sind. Das sollen die Gäste hautnah erfahren.“ Das Stück solle provozieren und polarisieren.
Das Fazit: Wer das Theaterstück nicht liebt, wird es hassen. Am Ende des Stückes brennt ein Feuer hinter dem Tanzhaus, das reinigen soll – und die Gäste sagen hier etwas lauter: „Ja, ich habe Mut. Mut zu etwas Neuem.“
Wesdeutsche Zeitung , Frauke Konzak, 8.3.2008
FEST DER MASKEN IM TANZHAUS
Das Theater soll wieder Fest werden. Man gibt an der Garderobe die Zuschauerrolle ab, bekommt eine Maske und kann Identitäts- wechsel spielen. Wildfremde Leute werden zu Artgenossen, Löwen, Mäusen, Wölfen. Die Gruppen bereiten Festbeigaben vor, angeleitet von den Gastgebern, sieben Künstlern aus aller Welt. Raman Zaya erzählt beim Humus-Bereiten vom Feiern der Iraner; Yui Kawaguchi zeigt, wie Origami aus alltäglichem Papier das Besondere schafft. "Feierabend! - das gegengift -?" ist freundlich. Das mit dem FFT koproduzierte Stück der bekannten Theater- und Tanzregisseurin Helena Waldmann wagt den Kontakt - und gewinnt.
Auch beim Ur-Merkmal des Festes: die Ordnung umzukehren. Von der Bühne schaut man hoch zu den Zuschauerrängen. Dort klopft Mohammad Reza Mortazavi aus seinem Trommelinstru- ment ein eigenes Klanguniversum heraus. Beim Festefeiern, wie im Theater, bekommt der Gast etwas dargereicht und nimmt. Hier nimmt er teil mit allen Sinnen. Wie man Essen schmecken müsse, so soll man Tanz auch lieber selber erleben, sagt Zaya. Bei serbischer Zigeunermusik und orientalischem Beat packt es jeden. Das rituelle Moment von Opferung und Kampf baut die geschickte Dramaturgie auch noch ein, die ihre Gäste am Ende durch die Hintertür ins Freie führt.
Melanie Suchy, Rheinische Post, 8.3.2008
TÄNZE SOLL MAN TANZEN
Und Feste feiern, wie sie fallen: Helena Waldmann & friends zeigen in den Sophiensælen ihre grandiose Arbeit "Feierabend - das Gegengift"
"It signifies nothing!", verkündet eine Tänzerin, bevor sie vor einer kahlen Wand im Schwarzlicht zu tanzen beginnt. Es ist einfach nur ein Körper, der lebt.
Helena Waldmann ist bekannt dafür, politische Themen auf dem Feld des Körperlichen zu untersuchen. Aufsehen erregte 2005 ihre Arbeit "Letters from Tentland", die sie in Teheran inszenierte. Ihre Performerinnen kamen in bunten Zelten mit Sichtfenster auf die Bühne, um von Freiheit zu erzählen. Die Parallele zum Schleier war so wenig zu übersehen wie - da Waldmanns Theater ein sehr tänzerisches ist - das Übertreten des Tanzverbots im iranischen Theater. Trotzdem boxte sie ein paar Aufführungen vor Ort durch.
Auch in ihrem neuen Stück "Feierabend - das Gegengift" geht es um das Fehlen von Freiheiten, diesmal in Berlin. Feste fehlen, analysiert sie. Das Fest als Ausnahmezustand sei lebenswichtig. Im Fest, das sich Leistung, Funktionieren und der Sinnfrage verweigere, liege rebellische Kraft. Das Theater dürfe nicht vergessen, dass es dem Fest entstamme, wird uns zu Beginn erzählt. Da tragen wir alle bereits Tiermasken.
Die Regisseurin selbst scheint die Sprecherin dieser einstimmenden Informationen zu sein - doch es kommt eine männliche Stimme vom Band. Die verschiedenen Zeichensysteme des Theaters - Bewegung, Stimme, Licht, Ton etc. - auseinanderzupflücken und neu zusammenzusetzen, ist eines von Waldmanns Mitteln: die Männerstimme zum Frauenkörper.
Die Einleitungsrede klänge platt, würde sie nicht durch Aktion verifiziert: Nicht Theater passiert hier in den Räumen der Sophiensæle. Helena Waldmann und ihre sieben Tänzer haben zu einem Fest geladen. In kleinen Grüppchen werden wir miteinander bekannt gemacht und bekommen von unseren Gastgebern Schnaps.
Dann tritt ein Musiker mit einer Daf, einer iranischen Trommel, auf die Bühne, in einem Schafskostüm. Das Schaf gibt den Rhythmus des Festes vor. Die Tänzer singen "La vie en rose", das Schaf trommelt. Keiner muss mittanzen oder mitsingen, aber über kurz oder lang erobert der Rhythmus einfach jeden Körper.
Ohne ein ausgelassenes Publikum würde hier allerdings nichts funktionieren - und wir alle haben diese peinlichen Momente erlebt, wo wir plötzlich im Theater zum Mitmachen überredet werden und uns doch nur lächerlich vorkommen. Hier ist es anders. Waldmanns Gefühl für Zeit, ihre Konsequenz, ihre Ausdauer, ihre Schlichtheit ermöglichen es den Darstellern, das Publikum tatsächlich in Bewegung zu versetzen. Wir schlagen mit edel verzierten Stöcken auf ein glitzerndes Paket ein, das von der Decke baumelt, und es ergießt sich ein Regen aus Konfetti, Luftballons und kleinen Papierchen über uns. Es steht der Text zu "La vie en rose" darauf. Einzelne Tanzende werden von den Akteuren in den Zuschauerraum geführt. Aber sie sollen sich nicht auf die Stühle setzen, sondern darauf stellen, um besser sichtbar zu sein in ihrer Bewegung. Das ist Theater: das Zeigen des eigenen Körpers und das bewundernde Betrachten fremder Leiber in ihrer Virtuosität, ihrer Vitalität.
Andere Tänzer gruppieren sich um eine lange Tafel in den Zuschauerreihen. Eine Mitspielerin, die vorher wie im Rausch von einem Mann angegriffen wurde, nähert sich mit Stöcken als Krücken. Sie geht langsam, verkrümmt. Ihr langes Haar, ihr dünner, gebeugter Körper, die Stöcke, ihre Nacktheit auf der einen, die sorglosen Tänzer vor ihrer reich gedeckten Tafel auf der anderen Seite - ein nicht misszuverstehendes Bild: Während die einen feiern, leiden die anderen.
In diesem Bild aber befreit Helena Waldmann das Theater von seinen Pflichten als moralische Bildungsanstalt oder intellektuelle Diskursplattform und gibt es den Leibern, der Lebendigkeit, dem Fest zurück.
Cornelia Gellrich, taz
DIE MIT DEN WÖLFEN TANZEN
Echt schweißtreibend, dieser Abend. Irgendwo zwischen Theater, Party und einem Essen mit unbekannten Freunden rangiert „Feierabend! - das gegengift“ -. Es gibt viel zu sehen, noch mehr Gelegenheit, selbst zu tanzen – und zwischendurch ein leckeres Essen mit Wasser und Wein.
Helena Waldmann, Choreografin und Regisseurin, huldigt einem neuen Format: über drei Stunden hinweg, die einem nicht lang werden, kann sich jeder Zuschauer als Tänzer, Koch, Partygast und Sänger erleben - oder eben Zuschauer bleiben.
Musiker Mohammad allerdings macht es fast unmöglich, nicht wenigstens im Knie zu wippen, denn die Rhythmen des persischen Trommlers fahren direkt in die Beine. Damit es leichter fällt, sich zum Beispiel als tanzend-drehender Derwisch auszuprobieren, werden am Eingang Masken verteilt: Als Wolf, Bär oder Affe „verkleidet“ kann man relativ unerkannt erst einmal die Hüften kreisen lassen. Das Essen wird dann gemeinsam zubereitet und mit viel Gerede verspeist, danach tanzen wiederum die Profis von „Helena Waldmann & friends“ auf den wenigen Tischen.
Ein Feierabend, der ohne aufdringliche Animation und mit klarer Struktur zum Mitmachen motiviert - also das pure und wirkungsvolle Gegengift zum üblichen Theater-Verhalten: sitzen, schauen, klatschen und verstanden haben. Ein tolles Theater-Fest, das man sich nicht entgehen lassen sollte.
Dagmar Fischer, Hamburger Morgenpost, 15.2.2008
DEN AFFEN MAL IM RUDEL MACHEN
Die Regisseurin ist der Leithammel. Eine Widdermaske vorm Gesicht, lädt Helena Waldmann die ziemlich verdutzten Theaterbesucher ein, mit ihr "Feierabend!" nach altem Brauch zu feiern. Für die interaktive Performance - so nennt man heute das gute alte Mitspieltheater - sollen, aber müssen sich nicht alle eine Plastiklarve übers Gesicht stülpen. Jeder kann sich frei entscheiden, ob er Affe, Löwe, Maus sein oder unmaskiert bleiben will. Der bissige Kritiker möchte Zähne zeigen, wählt Hundespitzohren, gibt den "alpenländischen Wolf" und heult in bester Rudel-Gesellschaft mit Kampnagel-Intendantin Amelie Deuflhard, der "schwäbischen Wölfin".
Waldmann ist bekannt dafür, mit Theater Grenzen innovativ und kritisch auszureizen. Diesmal gibt sich die Berlinerin mit ihrer Animateur- und Tänzer-Truppe verblüffend retro. Trotz tierischer Verkleidung fällt das Festspektakel recht zahm und sehr gezügelt aus - obwohl es an die vergessenen, ausschweifenden Dionysien - bekanntlich der Ursprung allen abendländischen Theaters - anknüpfen will.
Um s-teife Hamburger aus der Reserve zu locken und zum Tanzen zu bringen, bedarf es geschickter Verführung: Die gelingt der Regisseurin und ihren charmanten multikulturellen Gastgebern. Über die Gruppenbildung nach Masken - die Affen fotografieren, die Löwen singen, die "vegetarischen Wölfe" stampfen Kichererbsen zu Humus für das "Abendmahl" - nähern sich die Gäste an, kommen ins Gespräch und in Feierlaune. Auch werden sie durch Acts und Spiele unterhalten. Die Trommel-Rhythmen des "weißen Schafs" Mohammad Reza Mortazavi bringen schließlich noch den letzten Müden zum Kopfwippen und Gliederschlenkern.
Im Feiern will Waldmann wilde Rebellion und Rituale erneuern. Das kann natürlich nur in Grenzen und Zitaten - einer choreografierten "Sexorgie" oder dem Messertanz im zweiten Teil - gelingen, ehe einige selig lächelnd und "Ohhhm" rufend im meditativen Sufi-Drehtanz kreiseln. Zum Abschluss versammeln sich alle nochmals unter freiem Himmel am Lagerfeuer, um der Glut ihre geheimsten Wünsche anzuvertrauen. Die Performance ist nur dann Gegengift für Langeweile, wenn man willig ist, daran teilzunehmen. Ansonsten lieber lassen.
Klaus Witzeling, Hamburger Abendblatt 15.2.2008
WAS ZU BEWEISEN WAR
Wie am Schnürchen: Helena Waldmann zeigt "Feierabend! - Das Gegengift"
Vermutlich haben viele den Satz gelesen, der in der Ankündigung des Abends stand: "Das Theater war ein Fest, bevor der Teufel unsere Seelen an die Arbeit verkaufte." Derlei forsche Behauptungen muss man als vergnügungs- und überraschungswilliger Theaterbesucher schlucken. Schließlich ist man theoriegestählt, geübt im Durchqueren von Debattenminenfeldern und Metametaebenen. Im Frankfurter Mousonturm kann man sie jetzt brauchen, die Techniken des Zuschauens, Mitmachens, Nachdenkens.
Helena Waldmann hat eine neue Produktion auf die Beine gestellt: "Feierabend! - das gegengift" heißt das "Fest", das sie als Vorpremiere in Frankfurt ihren "Gästen" gezeigt hat, bevor es nach Hamburg, Berlin und wieder Frankfurt geht. Für ein Fest ist das eine recht hohe Auflage und für eine Probe eine gut besuchte - Waldmann ist in Frankfurt keine Unbekannte, und ihre "Letters from Tentland" waren ein internationaler Erfolg.
Außerdem hat sich die Stiftung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau als Produzentin beteiligt. Ist nicht der Gottesdienst auch ein Fest, die Religion feste Nahrung, wo die lose Speise des Alltags nicht genügt? Weswegen Kirchenpräsident Peter Steinacker nicht nur eine Einführung zu Waldmanns "Fest", hielt, sondern auch gleich mitfeierte: als Bär.
Denn die erbetene, weil dringend nötige Beteiligung der Gäste am Fest beginnt damit, eine Maske ausgehändigt zu bekommen - Affe, Wolf, Bär oder Löwe. Man bekommt zu trinken und macht Smalltalk im Foyer, bis ein Schaf, gestikulierend zu einem eingesprochenen Text, in groben Zügen erklärt: Das Fest sei das Gegengift zu einer von der Arbeit bestimmten Welt und das Theater war ursprünglich mal ein Fest-Ort. Wer feiern will, muss sich reinschmeißen.
Waldmann hat sich nichts weniger vorgenommen, als das Theater an den Ursprung zurückzuführen, indem sie ein Fest feiern lässt. Was bedeutet, dass alle die Vereinbarung einhalten müssen, sich einzulassen: kein Fest ohne Ordnung. Während die Affen eine CD vorgespielt bekommen, die alphabetisch alle bekannten Phobien vorliest, dürfen die Wölfe Hummus für alle kochen. Die Bären erhalten von einem französischen Bären namens Claude kleine Zettel und müssen zu Trommelmusik in der Mitte des Saals "La vie en rose" in einer Art Salsa-Rhythmus singen. Und weil alle so wild entschlossen sind zu feiern, tanzt und singt bald ein großer Teil des Publikums paritätisch die Weltkulturen entlang, es gibt Konfetti aus einer Piñata, Popmusik, Balkanrhythmen, Orientalisches, und sogar die deutsche Unterhaltungskultur ist vertreten, wenn auch ausgerechnet mit einem Grüppchen, das unter Rosenschleudern Hildegard Knefs "Für mich soll's rote Rosen regnen" mitsingt.
Es ist wie bei einer richtigen Party: Ein paar beobachten nur, ein paar haben richtig Spaß, und ein paar werfen sich mit solch tierischem Ernst in die lustige Sache, dass es bisweilen peinlich wird, hinzuschauen. Mitzumachen oder allenfalls teilnehmender Beobachter zu sein schützt vor derlei Unbehagen, bringt aber weniger Spaß - auch das ist eine Vereinbarung des Festes. Es müsste an diesem Abend nicht rote Rosen regen, sondern Fußnoten: Foucault, Elias, Assmann, Le Roy Ladurie, Lévi-Strauss, Geertz, Poetik & Hermeneutik, zum Beispiel. Alle jenen schönen wissenschaftlichen Arbeiten, die sich seit langem mit dem Fest befassen, mit Alltag und Ausnahme, Gedächtnis und Ritual, Ordnung und Exzess, Gemeinschaft. Und mit dem, was das Theater und das Fest verbindet - sind doch die Dionysien, religiöse Feste der griechischen Antike, der Ursprung des Theaters: Dort wurden um 500 vor Christus die ersten Tragödien und Komödien gespielt.
Seither hat sich einiges getan, nicht nur die Sache mit der Arbeit und dem Teufel. Es wurde und wird wieder eifrig geforscht am Fest. Arnd Wesemann zum Beispiel, der Künstlerin verbundener Herausgeber der Zeitschrift "Balletttanz", hat im Kontext von Waldmanns Produktion nun das Buch "Immer Feste Tanzen" veröffentlicht. In Waldmanns Fest-Inszenierung kommt das alles vor, als habe die Theorie das Drehbuch zu "Feierabend" geschrieben: der ganze Abend ein einziges "Was zu beweisen war".
Deshalb bricht plötzlich ein Streit zweier Tänzerinnen aus, schlägt die Jagd einer Tänzerin im Affenkostüm in Misshandlung und Vergewaltigung um, die in ein wie von selbst entstehendes Abendmahl münden, bis schließlich symbolisch ein Tier getötet wird. Alles da, die ganze Palette abgearbeitet, das Fest als Exzess, als Heraustreten aus der Ordnung oder, umgekehrt, als deren Bestätigung, das Fest als religiöses. Die Gastgeber haben es in der Hand, die Gäste teilen gerne Fladenbrot, Hummus und Wein. Und die Masken verdecken, ob nicht manchem ob dieser wortwörtlichen Umsetzung von Theorie in Praxis dann doch mal die Gesichtszüge entgleisen.
Wenn der hervorragende Percussionist Mohammad Reza Mortazavi die Leute dazu bringt, wie fromme Sufis mit verzücktem Lächeln und geschlossenen Augen um sich zu kreisen, was die "Gastgeber" oder Performer Charlotte Braithwaite, Claude Chassevent, Yui Kawaguchi, Susanne Ohmann, Sanja Ristic und Raman Zaya und auch Waldmann selbst tun, weil sie wissen, dass es an diese Stelle ihres "Festes" gehört, schaut eine nicht mehr ganz kleine Schar, die die Vereinbarung aufgekündigt hat, den bestrumpften Westeuropäern beim Weltmusik-Taumel zu.
Doch immer hart vor der Grenze zur Peinlichkeit und zum Gutmenschen-kitsch gibt es einen Schnitt, den die Mitspieler willig vollziehen. Schließlich ist dieses "Fest" ein inszeniertes, für das sich der Gast ein Theaterticket gekauft hat und auf das er sich, den Formen des - heutigen - Theaters gemäß, einlässt: Ein Exzess ist nicht zu erwarten. Oder doch? Vielleicht nimmt ja jemand mal dieses "Fest" ganz wörtlich, das die Analysen von Fest und Theater ins Theater übersetzt. Immerhin erstaunt es, wie gut das funktioniert, was an der unbestrittenen Präzision der Regisseurin liegt. Am Ende steht nicht nur ein Lagerfeuer in der kalten Nacht. Man kann sich ja auch so schön wärmen an den kulturellen Errungenschaften von gut 2500 Jahren Theater, Fest und Wissenschaft. Fragt sich nur, ob damit jemand "freier" wird, in den Zeiten der "Diktatur der Leistung".
Eva-Maria Magel Text: F.A.Z., 11.02.2008, Nr. 35 / Seite 44
WOLF UNTER WÖLFEN
Am Ende ist auch "Feierabend! - das Gegengift" ein sich selbst reflektierendes Fest, aber ein Fest. Man hätte es wissen müssen. Es steht auf der Einladung. Wer sich auf Festen wohl fühlt, wird sich wohlfühlen. Wer zuschaut, wird sich fühlen wie ein Mensch, der dem Leben zuschaut. Oder, noch schlimmer, wie ein Mensch, der das Leben rezensieren soll.
Man könnte auch sagen: Das neue Theaterprojekt von Helena Waldmann & friends, der Choreografin und sieben Tänzerinnen, Schauspielern, Musikern aus aller Welt, stellt eine Situation nach, die sich sowieso regelmäßig ergeben sollte. Ein Fest. Dass der Gast im Frankfurter Mousonturm dafür Eintritt bezahlt hat, spielt irgendwie keine Rolle mehr, als die Dame mit dem Tierkopf als sanfter Cerberus ihn fragt, ob er Mut habe. Mut? Im Foyer sucht man sich eine Tiermaske aus. Zum Beispiel: einen Wolf…
Und schon kommt ein Tänzer hinter der Wolfsmaske und sucht sein Rudel zusammen. Und schon wird ein Gruppenfoto gemacht. Und schon scharen sich die Wölfe um einen Tisch und bereiten eine Mahlzeit zu, die unter anderem aus zu schälenden Kichererbsen besteht. Das ist eine Tätigkeit, bei der man unfeierlichen Ehrgeiz entwickeln kann. Der Tänzer erzählt von Festen im Iran. Dann beginnt der Tanz. Die Gastgeber führen ihn an. Es kommt zu dem unglaublichen Moment, in dem die derzeitige Wölfin mit den Wölfen mittanzt.
Was soll man dazu sagen. Manchmal sind die Tänzer unter sich und tanzen die Geschichte zu einem Ritus, den wir nicht kennen. Der Übergang zur Disco wird jeweils so nonchalant überschritten, dass man es kaum mitbekommt. Klar wird: Ohne Ritus gäbe es auch keine Disco. Dann beginnt das Essen. Wer möchte, kann an diesem Abend etwas erleben. Wer nicht möchte, kann sich auf und davon machen. So ist das bei einem Fest - niemand wird gezwungen.
Zu den Kooperationspartnern für "Feierabend!", der am nächsten Wochenende in Hamburg Premiere hat, jetzt aber schon einmal ausprobiert werden konnte, gehört auch die EKHN-Stiftung. Seit Dezember bietet sie mit dem Mousonturm zusammen Projekte zum Thema Kunst und Religion an. In einer "Feierabend!"-Einführung machte Kirchenpräsident Peter Steinacker unter anderem darauf aufmerksam, dass Feste als dehnende Zeiteinteiler ein "Gegengift" zum Tod darstellen. Interessanterweise scheint es für die meisten Anwesenden keine Rolle zu spielen, dass es sich doch zuallererst um eine Begegnung mit der Gruppe handelt.
Neben der Sehnsucht danach (ich bin ein Wolf unter Wölfen gewesen) gibt der Abend Gelegenheit, das Gegenteil zu preisen und eine Gesellschaft, die uns die Wahl lässt. Es war noch nie so schön, anschließend still und einsam neben anderen stillen, einsamen Typen auf die Bahn zu warten.
Judith von Sternburg www.fr-online.de