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zur Startseite (ecotopia dance productions: Pressestimmen Helena Waldmann - BurkaBondage)

HELENA WALDMANN

PRESSESTIMMEN

FREIHEIT ZWISCHEN FESSLEN
Der Traum vom Fliegen: Eine Tänzerin hängt mit ausgebreiteten Armen hoch oben unter Fallschirmseide und genießt für wenige Augenblicke ihre Freiheit. Wie ein Lenkdrache wird sie von ihrer Gespielin gesteuert und an der langen Leine gehalten. Nur noch wenige Momente, dann stürzt sie ab.

Es ist dies eine der zentralen Szenen in Helena Waldmanns Tanzstück „BurkaBondage“, das im Rahmen der Internationalen Tanztage Münster im Pumpenhaus zu sehen war. Die sexuell konnotierte Fessel - in der japanischen Tradition das Bondage, im Muslimischen die Burka - beschwört in erzwungener Abhängigkeit eine Sehnsucht nach Entgrenzung, wenn es sein muss, mit Gewalt.

Die Berliner Choreografin, die Theatererfahrungen unter anderem bei Heiner Müller, George Tabori und Gerhard Bohner sammelte, hat sich in der Vergangenheit bereits mehrfach mit der Situation von Frauen in muslimischen Gesellschaften auseinandergesetzt. Auch hier macht sie es sich nicht einfach.

Vielmehr beschwört sie bei aller Unterdrückung, die mal lustvoll, mal brutal zum Ausdruck kommt, leise emotionale Nähe herauf. Bondage und Burka können bei Helena Waldmann, die das Stück gemeinsam mit der afghanischen Künstlerin Monireh Hashemi entwickelt hat, nicht nur qualvolle Tradition, sondern auch erotische Hingabe oder gar Schutz bedeuten.

Dominierend allerdings sind Gewalterfahrungen in einer gesellschaftlichen Realität, die hin- und hergerissen ist zwischen Tradition und Moderne. Die Tänzerinnen Yui Kawaguchi und Vania Rovisco zwingen einander Fesseln auf, vergewaltigen, schlagen umarmen sich in starken Szenen. Verwirrend, wie ästhetisch und brutal es gleichzeitig sein kann, wenn Yui Kawaguchi zu Mohammad Reza Mortazavis peitschender Trommel-Percussion, weit zurückgelehnt, zum Schlag ausholt.

Und faszinierend ist das wandelbare, aus Fesseln bestehende Bühnenbild von Jochen Sauer, wenn es gleichzeitig als Plattform für den Musiker wie auch den Tänzerinnen als Boxring dient, und noch als Leinwand bereit steht für Acci Babas ausdrucksstarke Video-Animation. Dazu die bühnenbreite Fallschirmseide, in die versteckt und eingewickelt wird, von einer, die am Schluss gefesselt und verwundet, mit pfeifendem Atem über die Bühne wankt. Ein beklemmend zeitgemäßes Stück.
Isabell Steinböck, Westfälische Nachrichten 27.5.2010

BURKABONDAGE FESSELT
Den Körper mit einer Burka komplett verschleiert, erlangt eine Frau Freiheit. Ebenso, wenn sie nach der japanischen Fesseltechnik Bondage zu einem Paket verschnürt wird, kein Glied mehr regen kann und vor sexueller Lust schreit. Zu solchen Thesen ringt sich Helena Waldmann in ihrer schon im Titel provozierenden Tanzproduktion nicht wirklich durch. Aber sie nähert sich ihnen an, stellt unbequeme Fragen und liest in den Werkzeugen der Beschneidung und Unterdrückung unübliche Geschichten. Im vergangenen Herbst feierte die Choreografie Uraufführung bei den Berliner Festspielen, am Mittwoch war sie bei den Internationalen Tanztagen im Pumpenhaus in Münster zu Gast. Das Publikum war angetan.

Trommeln der Freiheit
Etwa in der Mitte der Bühne schwebt an robusten Gummistrippen ein Kasten, der mit elastischen Bändern bandagiert ist. Er wird als Projektionsfläche für die flackernden Videoanimationen von Acci Baba benutzt, ist aber eigentlich das Herz von Waldmanns brennender Suche zwischen Fesseln und Freiheit. Tatsächlich hüpft und pulsiert er, wenn die beiden Tänzerinnen ihre Körper verzweifelt durch die Bänder in die Freiheit schieben wollen, und Trommelschläge – laut wie Pistolenschüsse – sie wieder zurückreißen. Denn in dem Kasten sitzt, nur schemenhaft erkennbar, der begnadete Trommler Mohammad Reza Mortazavi. Sein Takt folgt sacht dem Erspüren von Grenzen – oder entzündet Seelenbrände. Er umschmeichelt die Körper der Tänzerinnen mit zartestem Pianissimo. Oder peitscht sie hart zu schmerzvollster, orgiastischer Lust.

Wünsche der Jugend
Der Produktion voraus gingen Reisen Helena Waldmanns nach Japan und Afghanistan. Trotz unterschiedlicher Kulturen, schreibt sie in einem Aufsatz über ihr Stück, fand sie bei den jungen Leuten beider Länder die gleichen Sehnsüchte. Da war der Wunsch nach Freiheit, die Suche nach Halt und das Gebundensein an feste Traditionen. Wie Drachen wollten die jungen Generationen sein. Hoch in den Lüften und doch in fester Hand.

Der Drache fliegt
Dieses poetische Bild findet sich auch auf der Bühne wieder. Die zierliche Yui Kawaguchi hängt unter der Decke. Die weiße, zerschlissene Fallschirmseide, die den Bühnenboden zuvor bedeckte, hat sie jetzt wie Drachenflügel ausgebreitet, gelenkt wird sie von Vania Rovisco. Man möchte mitfliegen mit ihr, so glückselig ist ihr Lächeln der Lüfte. Doch Rovisco holt sie aus dem Himmel herunter, lässt sie so weit abstürzen, dass sie nicht nur Halt, sondern auch ihr Gesicht verliert. Und dann bindet Kawaguchi den Körper von Rovisco mit geschickter Knotentechnik. Ein Bein vom Seil strikt nach hinten gezogen, über dem Boden pendelnd, füllt sich nun auch Roviscos Gesicht mit lustvollem Glück.

In immer stärkeren Gesten von Hingabe und Unterdrückung, von devotem und dominantem Verhalten, kreisen die beiden Frauen umeinander, demütigen sich, betteln um Zärtlichkeit, erniedrigen sich, kosten ihre Macht aus. Kawaguchi penetriert Roviscos Mund mit der Faust. Rovisco spuckt Kawaguchi an. Radikal gehen sie über ihre Grenzen, schenken dem Stück durch ihre extreme Körperlichkeit und ihre enorme Ausstrahlung noch mehr Energie und Strahlkraft.

Blutrote Lippen
Wenn Rovisco sich, eng geschnürt in korsettartige Verbände, die Lippen blutrot schminkt und sich in grotesk hohe Plastikplateaustiefel zwängt, wird sie zum geschundenen Tier. Im Takt ihrer hochfrequenten, schmerzverzerrten Wimmerlaute wickelt sie mit letzter Kraft Kawaguchi in die Fallschirmseide ein. Zentimeter für Zentimeter drehen sich die Tänzerinnen in die Unbeweglichkeit. Die Trommel dagegen explodiert und rast wie im letzten Rausch. Danach ist man der Frage, was Freiheit ist, ein Stückchen näher.
Sabine Müller, Münstersche Zeitung 27.5.2010

IST SIE DAS NUN, DIE FREIHEIT?
Von Afghanistan nach Japan, von der traditionellen Verhüllung zur Fesselungskunst, vom Zuviel an Konsum zu den Defiziten einer ultrareligiösen Gesellschaft: Das Feld, das „BurkaBondage“ abschreiten will, ist weit. Die verschiedenen Pole zwischen denen sich das Stück von Helena Waldmann bewegt, liegen Welten auseinander – geografisch, politisch, sozial.

Und doch, so die These der Regisseurin, berühren sich diese Welten, wenn man nur genau genug hinschaut – zum Beispiel auf den Freiheitsbegriff. Hier hat sie ein provokantes Paradoxon ausgemacht: Die Sehnsucht nach größtmöglicher Freiheit vermittelt sich oft gerade über deren bewusste Beschränkung. Für die erotisch konnotierte Fesselungskunst heißt das: innere Befreiung durch körperliche Knebelung. Die afghanische Burka hingegen – als „Ganzkörpergefängnis“ verbrämt – ermöglicht es den Frauen oft erst, sich überhaupt in der Öffentlichkeit, auf der Straße bewegen zu können. Die These könnte aktueller, provokanter kaum sein: In Frankreich ist dieser Tage entschieden worden, dass die Burka aus dem öffentlichen Raum verbannt werden soll – weil dadurch „für die Republik wesentliche Werte“ verletzt würden. Dass man das auch anders sehen kann ohne gleich dogmatischer Verfechter der Ganzkörperverhüllung zu sein, zeigt Waldmanns Inszenierung.

Was zeigt sie noch? Ganz zu Anfang stehen sie vor uns auf der Bühne, die fleischgewordenen Klischees der beiden, aus eurozentristischer Perspektive gleichsam fremden Frauenbilder: Hier die Geisha im Kimono (Yui Kawaguchi), da die in eine blutrote Burka verhüllte „Afghanin“. Auch dass die Performerin, die sie spielt (Vania Rovisco), eigentlich Portugiesin ist, zeigt: Hier geht es um Projektionen. Waldmann evoziert sie, um sie wieder einreißen zu können: Unter dem Kimono verbirgt sich ein poppiges Tokiogirl. Und die Burkaträgerin beginnt zu rappen.

In der Bühne liegt ein riesiger weißer Fallschirm: ein zusammengesacktes Zelt, dazwischen lose im Raum hängende Seile. Mittig, in einem einbandagierten Kasten, schwebt Mohammad Reza Mortazavi, der live und virtuos auf einer persischen Rahmentrommel begleitet. Der Zeltstoff erinnert an die Burka, dient als Versteck, Rückzugsort, in einzelnen Bildern auch als Gefängnis. Mit den Seilen knebeln die beiden Performerinnen einander, in langen Szenen werden Fesseln an- und wieder abgelegt. An einer Stelle leckt Vania Rovisco immer wieder über die Hand, die sie bandagiert. Diese Sehnsucht nach Unterwerfung: ein verstörendes Bild. Danach, zu einem Päckchen eingeschnürt, baumelt die Gefesselte einen Moment lang über der Szene. Ist das nun die Freiheit, die ersehnte? Dann wohl schon eher der Moment, wenn Yui Kawaguchi hoch oben unterm Bühnenhimmel schwebt, lachend mit Armen und Beinen rudernd, ein Drachen im Wind, der kurz vergessen hat, dass auch er an einer Leine hängt.

Die Drachenszene ist sehr schön. Wer jedoch nicht im Programm gelesen hat, dass Drachensteigen in Afghanistan ein Volkssport ist, dass man dort so dem Alltag seltene Momente der Freiheit abtrünnig macht, für den bleibt die Szene wie einige andere: seltsam allgemein. An anderen Stellen in diesen beeindruckend getanzten aber von Längen durchzogenen sechzig Minuten wiederum wird „BurkaBondage“ die Klischeehaftigkeit, mit der der Titel ganz bewusst spielt, nicht ganz los. Das mag daran liegen, dass wer die subtileren Anspielungen auf Aspekte der beiden Kulturen nicht erkennt, immer wieder auf die erotische Komponente des Fesselns oder aber Allgemeinplätze zu Macht und Abhängigkeit zurückgeworfen wird. Womit man letztlich bei einer Frage wäre, die auch Helena Waldmann thematisiert: Wie schwierig es ist, sich vom eigenen, in diesem Fall dem europäischen, Blick zu lösen. Diesem jedenfalls geht in „BurkaBondage“ – trotz so vieler gut funktionierender Elemente, trotz der politischen Aktualität und des wichtigen Themas – auf dem weiten Feld zwischen Afghanistan und Japan immer wieder die Dringlichkeit, das konkrete Hier und Jetzt verloren.
Lena Schneider, Potsdamer Neueste Nachrichten 22.5.2010

HELENA WALDMANNS „BURKABONDAGE“ HINTERFRAGT KLISCHEES, DENKMUSTER, VORURTEILE
Im Zentrum der Bühne ein bandagierter Kasten, der über dem Boden schwebt, gehalten von elastischen Bändern. Auf dem Boden fließt weißer Fallschirmstoff. Die Enden des Fallschirmes sind durch Seile zusammen gehalten, die zugleich die Verbindungslinien zum Kubus bilden. Diese Linien werden im Laufe des Stückes von den beiden Tänzerinnen Yui Kawaguchi und Vania Rovisco gelöst, neu geknüpft, als Fesseln dem anderen um den Körper gelegt.

„BurkaBondage“ ist der Titel des Stücks, das die Regisseurin und Choreografin Helena Waldmann nach mehreren Reisen nach Afghanistan und Japan inszenierte, angeregt durch die Begegnungen mit jungen Künstlern in beiden Ländern. Im Oktober vergangenen Jahres uraufgeführt, wurde es nun im Rahmen der Tanztage gezeigt.

Ausgehend von der japanischen Kunst der Bondage und der in der westlichen Gesellschaft heute meist allein mit Abhängigkeit und Unterdrückung assoziierten Burka fragt Waldmann nach der Dualität von Unabhängigkeit und Bindung, Gefangenschaft und Freiheit.

Zu Beginn betreten die Tänzerinnen in traditionellen Gewändern die Bühne – die eine in einem japanischen Kimono, die andere in einer roten Burka. Wenig später schwebt der fragile Körper der japanischen Tänzerin Kawaguchi, der Verhüllung entledigt, wie ein Drache über der Bühne, gelenkt von Vania Rovisco. Vermittelt dieses Bild Ungebundenheit und Freiheit, wird es zugleich eingeschränkt durch die Abhängigkeit gegenüber der Lenkenden, die den Drachen schließlich abstürzen lässt.

Begleitet durch schnelle Trommelrhythmen des iranischen Künstlers Mohammad Reza Mortazavi kämpfen die Darstellerinnen im Kasten um die Sichtbarkeit ihrer Körper. Das Wechselspiel zwischen Schmerz und Lust bestimmt das Stück. Die Fesselung des Anderen bedeutet für einen kurzen Augenblick Lustgewinn und Macht, die Grenzen des Selbst kann es nicht sprengen. So wenig der Körper durch das Gegenüber zu besetzen ist, so sehr ist er an die gesellschaftlichen Fesseln gebunden, denen er im Extremfall nur durch die eigene Vernichtung entgehen kann. Die Eingeschlossenheit des Körpers, nicht dessen Freiheit dominiert.

Immer wieder werden mit dem Fallschirmstoff die Körper verhüllt, die Gesichter unsichtbar gemacht und Bewegungsfreiheit durch Fesseln unterbunden. Dies hinterfragt die westliche Freiheit ebenso wie die überdauernden archaischen Strukturen der Taliban.

Der Befreiungsschlag gelingt allein den zu einem Feuerwerk ansteigenden Trommelklängen Mortazavis, zu denen sich die Bandagen des Kastens öffnen. Die Körper der Tänzerinnen bleiben eng verhüllt zurück. Begleitet vom Ächzen und Stöhnen des inneren Kampfes um Freiheit.
Ulli Wittig, Märkische Allgemeine 22.5.2010

SCHMERZHAFTE SCHLÄGE IN DEN SCHLINGEN DER LUST
Der Anblick ist schwer erträglich: Vania Rovisco wird so eng in Bandagen eingeschnürt, dass ihr die Luft wegbleibt. Nur noch schleppend bewegt sie sich über die Bühne der Tafelhalle, ihr Atem pfeift - und dennoch quält sie sich selbst in weiße Lackstiefel, mit Absätzen, die das Gehen unmöglich machen. Ist es Qual? Ist es Lust?
Die feine Unterscheidung ist Thema der atemberaubenden Performance BurkaBondage der Regisseurin Helena Waldmann.
Abendzeitung, 26.4.2010

FESSELNDES RINGEN UM FREIHEIT
Yui Kawaguchi und Vania Rovisco geben sich sphärischen Trommelrhythmen hin. Diese ertönen aus einer kunstvoll verschnürten Box, die über der Bühne schwebt und immer wieder zum Rückzugsort für die beiden Protagonistinnen wird, aber auch als Projektionsfläche für Videosequenzen dient. Verschnürt werden auch die Tänzerinnen - Macht und Erotik werden dabei miteinander verknüpft, doch die Bande, die eingegangen werden sind nicht zart, sondern hart. Animalische Ekstase macht sich breit, die Berührungen entbehren jeglicher Zärtlichkeit. Gewalt liegt in der Luft, durch die eben noch Kawaguchi geschwebt war. Eingehüllt in ein Meer aus weißen Stoffen hebt sie ab - die Fäden für den Flug hat Rovisco in der Hand. Sie lenkt und leitet das Geschehen, hat aber auch die Macht, den seidenen Fallschirm abstürzen und die Bande abreißen zu lassen.
Am Schluss breitet sich Stille aus - und dann brandet tosender Applaus auf.
Christiane Fasching, Tiroler Zeitung 1.4.2010

MAGIE EINES FESSELNDEN SEILTANZES
Für den Zuschauer gibt es kein Entkommen. In intensiven Bildern, die auch vor Brutalität nicht zurückschrecken, schafft Helena Waldmann ein Universum der Abgeschlossenheit. Eine Abgeschlossenheit, die aber keine Sicherheit bedeutet. Die Burka und die Fesselkunst des japanischen Bondage werden zur Metapher für die Illusion, im Kampf um die Freiheit. Im Spannungsbogen von Tradition und Avantgarde schafft Helena Waldmann einen virtuosen Tanzkanon. Einzigartig!
Moni Brüggeller, Kronenzeitung 1.4.2010

NUR TEIL EINES GEFLECHTS
Was ist Freiheit? Helena Waldmann will mit ihrer neuesten Tanzproduktion, dort ansetzen, wo sie vermeintlich am wenigsten existiert. In Afghanistan, bei den durch eine Burka verhüllten Frauen in Japan dem Land der jede Individualität einschnürenden Traditionen. "Burkabondage" hat sie ihre Produktion genannt, die jetzt in den Burghof kam. Ihr Thema hat sie gleich zu Beginn in klare Bilder gefasst.

Die Japanerin im traditionellen Kimono: Tippelnd betritt sie die Bühne, entspricht in allem dem Bild der Japanerin. Eine Frau unter einer roten Burka tritt neben sie, kniet nieder. Beide befreien sich, von den durch die Gesellschaft, das heißt durch die Männer auferlegten Zwängen und wollen fliegen. Die Burkaträgerin Vania Rovisco schnallt Yui Kawaguchi an einen Fallschirm, zieht sie in die Höhe und lässt sie fliegen. Ballettänzer kommen diesem Traum vielleicht am Nächsten. Wie ein riesengroßer Schmetterling scheint sie durch den Raum zu schweben um lächelnd auf das Publikum zu blicken. Die Bühne ist verspannt mit dicken weißen Seilen, sie werden im Laufe der einstündigen Performance immer wieder Widerstand der beiden Tänzerinnen sein, die sich daran festhalten, dagegen zu prallen scheinen unten ihnen durch schlüpfen wollen.

Im Hintergrund ist ein Käfig, mit den selben Seilen bespannt, die durch den Raum gespannt sind, darin spielt ein Mann, Mohammed Reza Mortazavi, die Trommel. Die Trommelschläge treiben die Tänzerinnen an. Der Käfig selbst wird Ziel, beide wollen hinein und hinaus. Anziehung und Hass bekommen eine deutliche Körpersprache, und sind wieder nur Teil eines größeren Geflechts in dem beide gebunden sind. Nicht dass der individuelle Körperausdruck keinen Platz gefunden hätte in diesem archaischen Spiel aus Gerätschaften und Trommelwirbel.

Vor allem Yui Kawaguchi bricht irgendwann aus aus den Zwängen, wenn sie die Abneigung, die sie spürt, abwaschen will. Wenn sich ihr Körper gegen den Hass zur Wehr setzt, ist dies Energie pur. Auch gleich zu Beginn, als sie sich aus ihrer Geisha-Haltung befreien will, die Verschnürungen öffnet, um dann in die hohen Plateau-Schuhe zu steigen. In der Art einer Rocksängerin singt sie und tanzt. Trotz der hohen Stiefel. Sie scheinen sich nicht zu widersprechen, Einschränkungen und persönliche Freiheit. Der Fallschirm, die Flügel des Beginns, sind am Ende selbst gewählte Einschnürung: Immer enger wird das Paket um Yui Kawaguchi, immer dichter, und Vania Rovisco hilft ihr dabei.

Helena Waldmann gibt in dieser reich ausgestatteten Produktion keine gängigen Antworten, sie liefert Bilder, die den üblichen widersprechen. Frauen, die die äußeren Grenzen suchen, um dann wirklich frei zu sein. Die manchmal nur um wenige Zentimeter über der Erde schweben und doch lieber in der Begrenzung sind, weil sie dort wahrhaft frei sind.

Und am Anfang stand die Sprengung der Buddhas in Afghanistan als Video, die Verbindung zwischen Afghanistan und Japan. Wir erinnern uns, sie erregten damals 2007 die Aufmerksamkeit der weltweiten Öffentlichkeit. Der Hass der Taliban gegenüber den Frauen nicht mehr.
Martina David-Wenk, Badische Zeitung 19.11.2009

BURKABONDAGE
Am schönsten sind sie, wenn sie fliegen. Wenn Vania Rovisco wie bei einem großen Lenkdrachen an Seilen zieht, die zu Yui Kawaguchi hoch oben unter dem Bühnenhimmel führen und die zierliche Japanerin zwischen weit ausgespannten Flügeln aus Fallschirmseide lächelnd durch die Luft schwimmt, ist das ein unbelasteter Moment von Freiheitsversprechen. Wenn später Kawaguchi hingegen Rovisco mit großer Behutsamkeit fesselt und sie am Ende sachte pendelnd an einem Seil schweben lässt, haben sich schon viel mehr Ambivalenzen in den erdabgehobenen Zustand gemischt. Denn dem Schweben geht eine Auslieferung an die Partnerin voraus. In «BurkaBondage», uraufgeführt im Haus der Berliner Festspiele, arbeitet die Regisseurin Helena Waldmann mit Bildern der Freiheitssuche und der Fesselung. Das Bühnenbild von Jochen Sauer hat dafür eindrückliche Chiffren gefunden: Fallschirmseide, die wie ein Meer über den ganzen Bühnenboden fließen kann oder eng wie ein Kokon gewickelt zum Ort des Rückzugs wird; einen an Gürteln aufgehängten Kubus, dessen Wände aus elastischen Bändern bestehen. Dieser Raum vibriert die ganze Zeit von den Daf-Schlägen des iranischen Musikers Mohammad Reza Mortazavi. Manchmal verschwinden die Tänzerinnen hinter seinen Wänden und nur einzelne ihrer Glieder, Hände, Arme, Knie, Köpfe durchbrechen die Fläche, um gleich wieder zurückgezogen zu werden, fast wie auf Befehl der Musik. Das wirkt wie ein Kampf und eine Frage: Wie viel Körper braucht es, um «ich» zu sagen, wie viel Sichtbarkeit braucht es, um präsent zu sein? Dass im Titel von «BurkaBondage» zwei unterschiedliche Kulturräume zusammengebracht werden, spannt einen weiten Horizont der Erwartung auf. Bei Burka denkt man an den gesellschaftlichen Status von Frauen im Islam, bei Bondage an eine japanische Kunst, die als sexuell stimulierende Praktik Karriere gemacht hat. Beide Begriffe gehören zu einer Körperpolitik, die mit dem westlichen Begriff vom autonomen Individuum kollidieren. Dass bei ihrer Bewertung Klischees eine Rolle spielen und dass den persönlichen Freiraum gerade unter diesen Vorraussetzungen zu suchen, eine Herausforderung ist, war ein Ausgangspunkt für Helena Waldmann. Nicht zum ersten Mal verhandelt sie die Dialektik von Rückzug und Freiheitssuche. Bei Arbeitsaufenthalten in Afghanistan und Japan stieß sie auf inspirierende Bilder. Allein, was man in «BurkaBondage» sehen kann, reicht an diese Erfahrungen nur teilweise heran. Die Ideen, die in das Stück eingeflossen sind, verbinden sich zu wenig in den Tanz- und Körpertheaterszenen. Bilder, in denen es etwa um eine libertinäre Interpretation der Bondage oder eine poppige Darstellung des Lebens unter der Burka geht, wirken gesetzt und kaum aus dem Verhältnis der beiden Figuren entwickelt. Bühnenbild und Requisiten unterstützen die Performerinnen mehr als der Verlauf des Stücks. So dass man weniger ein mit Leben gefülltes, denn ein thesenhaft konstruiertes Tanztheater zu sehen meint. Dass Helena Waldmann besser zu arbeiten versteht, zeigten ihre Stücke «Letters from Tentland», «Return to Sender – Letters from Tentland» und «feierabend – das gegengift». Da erhielten die Ideen eine eigene Plastizität. Zumindest bei der Uraufführung im Haus der Berliner Festspiele hatte «BurkaBondage» diese Qualität noch nicht.
Ballet Tanz, Katrin-Bettina Müller Nov 2009

SPRACHE DER ENTWURZELTEN
Berlin - Der Krieg hat die Identität junger Menschen in Afghanistan zerstört, die sich aus dem Morast einer traditionalistischen Gesellschaft befreien wollen, aber nicht können. Doch auch im friedlichen und vermeintlich aufgeklärten Japan glauben ihre Altersgenossen nicht mehr an eine Zukunft. Beiderlei Ängste untersucht die Regisseurin und Choreografin Helena Waldmann in ihrem inhaltlich und formal überzeugenden politischen Tanztheater „Burka Bondage“, das jetzt bei den Berliner Festwochen uraufgeführt wurde.

Eine gemeinsame Sprache haben die Entwurzelten nicht. Waldmann, die ihre Tanzprojekte meist zwischen den Kulturen entwickelt, sucht mit den Tänzerinnen Yui Kawaguchi und Vania Ravisco jedoch Parallelen. Die findet sie in einem kriegerischen Akt, der sowohl für die jungen Afghanen als auch für die Japaner traumatische Symbolkraft besitzt. Im März 2001 zerstörten Taliban-Milizen in Tal von Bamiyan die beiden größten Buddha-Statuen der Welt mit drei Tonnen Sprengstoff. Es blieben nur Trümmer in der leeren Felslandschaft zurück.

Der japanische Videokünstler Acci Baba fasst dieses Kriegstrauma in packende Bilder, die den Zerfall spiegeln. In dieser Welt kämpfen junge Menschen um Freiheit und um ihr eigenes, unverschleiertes Gesicht. Das hatten ihre Mütter in der strengen islamischen Kultur nicht: Burkas verhüllten sie. Viele Japaner wiederum bändigten ihre Körper mit einer brutalen Foltertechnik, Bondage genannt. Im 17. Jahrhundert banden sich junge Menschen durch diese martialische, auf die Samurai zurückgehende Fesselkunst aneinander und gingen dann gemeinsam in den Tod, um frei von gesellschaftlichen Zwängen zu sein.

Burka und Bondage sind für die Tänzerinnen Ausgangspunkt einer Reise in die Psyche. Erst tanzen sie leicht und unbeschwert auf und unter einem weißen Fallschirm. Dann fesseln sie einander die Hände, hüllen sich in die Burka ein. Mit explosiver Kraft peitschen sie ihre Körper gleichsam an die Schmerzgrenze. Dann bewegen sie sich wieder entspannt durch den Raum. Fesseln und befreien wechseln einander in der Choreografie ab, deren Dynamik besticht. Mit einer persischen Handtrommel, Tombak genannt, begleitet der Iraner Mohammad ­Reza Mortazavi diesen Tanz ins eigene Ich.

In dem Prozess wenden die Künstler aber auch Klischees gegen sich selbst. Die Burka, die nicht nur im Westen als Symbol für die Unterdrückung afghanischer Frauen gilt, wird in „Burka Bondage“ auch zum Ort, an dem sich die Tänzerinnen sicher fühlen und an den sie sich zurückziehen können. Überzeugend spiegelt Waldmann so die Dialektik von Repression und Subversion.
Elisabeth Maier, Eßlinger Zeitung 30.10./1.11.2009

IM KÄFIG DER TRADITIONEN
Sie zählt zu den wenigen Choreografinnen, die den Kopf nicht in der eigenen Seele vergraben. Helena Waldmann, international erfolgreiche Regisseurin, stellt sich Problemen dieser Welt. Besonders ihre teils in Teheran kreierten Stücke um das Leben iranischer Frauen fanden Beachtung. Waldmanns »BurkaBondage« am Haus der Berliner Festspiele arbeitet Aufenthalte in Japan und Afghanistan auf und findet Gemeinsamkeiten zwischen den geografisch fernen Ländern.

Dass die Burka, der ganzkörperlich verhüllende Mantel für Frauen im Islam, Fessel bedeutet, gilt Europäern als Faktum; dass sie in ihrer Abschottung auch Freiheit bedeuten kann, ist die andere Ein-Sicht. »Generation Rain« (»Regen-Generation«) nennt sich in Afghanistan jene Jugend, die darauf wartet, dass der Staub der Taliban-Zerstörung fruchtbar benetzt wird. Auf eine Jugend, die sich als Lost (»verlorene«) Generation empfindet, stieß die Regisseurin in Japan, wo der Spagat zwischen eherner Tradition und westlicher Libertinage die Seelen aufreißt.

Ähnliche Gefühlslagen in verschiedenen Kulturen also beschreibt Waldmann mit der Metapher des Gefesseltseins: in Afghanistan durch die Burka, in Japan durch Kimono und uralte Bondage-Techniken, mit denen Samurai ihre Gefangenen handlich verschnürten, Liebende sich vorm Selbstmord verketteten. Im Stück sitzen die Zuschauer mit auf der Szene.

Schon Jochen Sauers Bühne ist ein beeindruckendes Seilkabinett aus einem mittig an Gazebinden schwebenden Käfig, den weitere Gazestreifen transparent machen. Rechts hängt an einem Zug ein Weißtuch, das erst vielfach gefaltet, sich später über die gesamte Szene ausbreiten lässt. Außerdem überspannen Seile die Spielfläche.

Die Japanerin Yui Kawaguchi und die Portugiesin Vania Rovisco betreten sie einzeln. Kawaguchi ist die kniend singende Geisha in Weiß, Rovisco die unter blutroter Burka betende Muslima. Ein Diener in Schwarz assistiert der Geisha beim Auswickeln aus dem Kimono, und schon wird sie in Stiefeln mit Plateausohle kreischende Karaokesängerin.

Als Rovisco den Schleier lüpft, beginnt ein Spiel der Begegnung zwischen Zärtlichkeit und Aggression, Solidarität und Befangensein, das Mohammad Reza Mortazavis grandios treibende Lautkulisse auf dem iranischen Perkussionsinstrument Tombak befeuert. So schwebt Kawaguchi, angeseilt und gesteuert von ihrer Partnerin, hoch oben: als Engel mit dem Tuch als Flügeln oder Drache im Wind.

Während die Fliegerin abstürzt, wickelt sich die andere das Steuerseil als Burka vors Gesicht. In gegensätzliche Richtungen zerren beide dann am Seil und wollen doch das gleiche, dringen in den Käfig des Musikers ein, Gefangene ihrer Tradition. Wie ein Hund bellt und kriecht Rovisco – ein zu konkretes Bild – umher, ehe sie in langem Ritual gefesselt wird, bis ihr eine Longe den Boden unter den Füßen entzieht.

Dass Waldmann sofort vom Diener entfesseln lässt, ohne diese Szene zu entwickeln, gehört zu den Schwachpunkten einer mit vielen starken Momenten aufwartenden Inszenierung. In dieser schlüpft auch Kawaguchi in die Bedrängnisse der anderen Kultur, zieht sich das Tuch zur Burka über den Kopf. Kawaguchi wird bespuckt, Rovisco im Korsett schminkt sich verzweifelt die Lippen, quält sich in die Plateaustiefel. Immer dicker umkleidet am Schluss das Tuch, das auch Rovisco nicht aufhalten kann, die sitzend erstarrte Japanerin. Wenig Hoffnung bleibt.
Volkmar Draeger, Neues Deutschland 13.10.2009

DIE NAHT DER GEWALT
Helena Waldmann bannt mit "Burka Bondage" den Lustschmerz unserer Tage in einen westöstlichen Bilder-Diwan

Plötzlich ist es still am Potsdamer Platz: Ein gewöhnlicher Mann geht übers Berliner Trottoir, doch die Frau an seiner Seite ist verhüllt, verschwindet in einem schwarzen Futteral. Wie verhext bleiben die Passanten stehen - eine Burka, ein islamisches Frauengefängnis aus Stoff, mitten in der westlichen Zivilisation? Das Urteil steht fest: Diese Tuch-Käfige sind Unterdrückungsinstrumente. Wer Helena Waldmanns jüngste, im Haus der Berliner Festspiele uraufgeführte Produktion "Burka Bondage" sieht, wird diese Einschätzung wohl nicht revidieren. Womöglich werden ihm aber ein paar unbequeme Einsichten dämmern und Fragen kommen.
Denn in den islamischen und japanischen Körpergrenz-Ritualen, die "Burka Bondage" verklammert, spiegelt sich das Gesicht unserer Gegenwart, die Fundamentalismen näher steht, als sie glaubt. Zwar verneinen wir die Burka und akzeptieren Bondage, also das Einschnüren des Leibes, allenfalls als riskante sexuelle Praxis.
Stille als Sehnsuchtsort
Doch Freiheit, Vernunft und Agitprop gebären, wie Waldmann zeigt, nur andere Zwänge. Statt sich in die Gottes-Falle sperren zu lassen, steuert das aufgeklärte Individuum in die unlösbare Verstrickung mit sich selbst: in schizoide Anpassungsleistungen, denen die Burka-Trägerin im Dunkel ihrer Höhle womöglich entkommt - allerdings um den Preis der Unsichtbarkeit.
Waldmanns westöstliches Labyrinth beginnt mit dem Bühnenbild, einer spinnennetzartigen Seil-Konstruktion, deren Herz ein mannshoher Kubus bildet, weiß bandagiert, als wäre der Knotenpunkt jeder gesellschaftlichen Schwingung versehrt. Trommel-Rhythmen dringen aus dieser Kabine und schwellen vom sachte flüsternden pianissimo zur kreischenden Klangfolter an. Währenddessen lustwandeln die Akteurinnen auf dem schmalen Grat zwischen Ekstase und Schmerz und stürzen immer wieder in die Tiefe des Nichts, der Auslöschung. Was Vania Rovisco und Yui Kawaguchi vorexerzieren, mag noch so hohe Gewalt-Amplituden erzeugen, am Ende will es doch auf dieses eine hinaus: die Stille als Sehnsuchtsort.
Zwei Frauen begegnen sich, die eine in der roten Burka der Afghaninnen, die andere im fest gezurrten Kimono, aus dem sie sich herausschält, um eine Karaoke-Nummer abzuziehen,
bevor ihre schöne neue Video-Welt in Stücke fällt. Acci Babas Animationen, die an Goyas spukhafte "Caprichos" erinnern, beschwören die Zerstörung als globales Menetekel: Der Trümmerstaub, den die Taliban bei der Sprengung der Buddha-Statuen von Bamiyan aufwirbelten, ist eben auch der Staub, den die kollabierenden Twin Towers durch Manhattan fegten oder die Bombardements im Irak freisetzten. In dieser weltweiten Kampfzone gibt es kein Refugium, nur Atempausen.
Wer hat die Kontrolle? Wer dominiert und wer lässt sich dominieren? fragen Waldmanns mythische Tanz-Bilder. Da schwebt eine glückselig am Fallschirm, den die andere wie einen Lenkdrachen manövriert, doch in der nächsten Sekunde stutzt sie der Gespielin brutal die Flügel, lässt sie fallen - ebenso, wie Acci Babas Phönix-Projektion krachend gegen ein Hindernis donnert und sich in blutiges Gekröse auflöst. Keine Hoffnung im Körperkrieg.
Am größten ist der Schmerz, wenn die Frauen sich durch die Kubus-Bandagen zwängen und ihre Haare, Arme, Finger dabei wie Fetische im öffentlichen Raum zurückbleiben, Gefangene der elastischen Bänder. Trotzdem wiederholen und verwandeln die Gemarterten gerade dieses Leid im Zeremoniell der Fesselung, das Macht markiert und Ohnmacht, bis es die gewünschte Erlösung herbei zwingt: die Verschmelzung mit dem Nichts.
Aus der Entrückung freilich steigen die Kriegsparteien umgehend wieder herab in die Niederungen des Schlachtfelds, wo eine gloriose Spuck-Attacke, ein gegnerischer Gesichtsverlust, sofort den Antwort-Hieb in die Eingeweide provoziert. Der Kampf tobt weiter, bis zum letzten Atemzug. Die Burka-Isolation kann dabei zum selbst gewählten pièce de résistance mutieren - dann nämlich, wenn der westliche Kultur- und Konsumkonformismus zuschlägt, was Kawaguchi in einen samtpfötigen Janet-Jackson-Verschnitt übersetzt. Wer sich solchen säkularen Zumutungen widersetzen will, exiliert in den Burka-Zwinger. Oder die Ordenstracht: Das Nonnenhabit, das Vania Rovisco überstreift, bannt die Sinnlichkeit schließlich ebenso, wie es die Verhüllung im Namen Allahs tut.
Am Ziel des Lustschmerz-Marathons streckt Rovisco - halb Mystikerin, halb lacklederne PopMadonna - die Waffen, während Kawaguchi inmitten sorgsam aufgespulter Stoffmassen schier erstickt. Ob Kimono, Burka, religiöse Tracht oder Jeans: Bei Helena Waldmann sind wir einander näher, als wir wahrhaben wollen.
DORION WEICKMANN, Süddeutsche Zeitung, 12.10.2009

SURREALER COMIC
Im Jahr 2005 inszenierte die Regisseurin und Choreografin Helena Waldmann mit fünf Frauen in Teheran das Stück "Letters of Tentland". Die meiste Zeit waren die Akteurinnen dabei gar nicht auf der Bühne zu sehen. Sie agierten stattdessen in kleinen Zelten und sprachen zu den Zuschauern aus halbdurchsichtigen Gazefenstern heraus. Das Stück funktionierte herausragend. Wegen der unglaublichen Energie und wegen der tiefen Wahrheit, die in all den skurrilen, nicht enden wollenden Einfällen steckte, mit denen die Darstellerinnen immer neue Möglichkeiten erfanden, über ihre Zelte mit der Außenwelt zu kommunizieren.

Mit dem Stück tourte Helena Waldmann durch die halbe Welt. Als die fünf großartigen iranischen Schauspielerinnen von einem Tag auf den anderen kein Ausreisevisum mehr bekamen erfolgte die zweite Hälfte der Tournee mit in Deutschland lebenden iranischen Exilantinnen. "Return to Sender" hieß diese Folgearbeit. Denn auch die Briefe, die Waldmann nach Teheran schrieb, kamen alle zurück. Ein wenig schal wirkte das Stück allerdings schon. So, als habe Waldmann damit einen zweiten Aufguss ihres großen Erfolgs versucht.

Jetzt kommt in gewisser Weise Waldmanns dritte Arbeit zum Thema Schleier und Verhüllung ins Haus der Berliner Festspiele. Es ist, so viel lässt sich nach dem Besuch der Generalprobe sagen, eine ziemlich überraschende Wende, die die Choreografin und Regisseurin vornimmt. Das macht allein schon der Titel deutlich: "Burka Bondage". Bondage, also das Fesseln, ist mit sexuellen Praktiken konnotiert und die Burka, der muslimische Ganzkörperschleier, mit dem Gegenteil, der Leugnung, der Auslöschung von Weiblichkeit und Unterdrückung. Doch um Unterdrückung - allerdings um gewollte - geht es ja auch beim Fesselspiel. Auf irgendwelche engen Thesen lässt sich Waldmanns schräge Tour de force sowieso nicht reduzieren.

Eine richtige Burka sieht man in dem Stück nur kurz zu Beginn. Da sitzt auf einem gewaltigen Stück Stoff die portugiesische Tänzerin Vania Rovisco in weißen Hosen und blutroter Burka und auf der einen Seite der Bühne die Japanerin Yui Kawaguchi im Kimono. Im Hintergrund, ein an drei Seilen, schräg in der Luft schwebender, mit Bandagen umwickelter Kasten. Darin: Der iranische Musiker Mohammed Reza Mortazavi, der seinen wiederum in diesem Kasten aufgespannten Trommelinstrumenten die verrücktesten Töne entlockt.

Das Ganze wirkt wie ein leicht surrealer Comic-Strip. Kawaguchi spielt im Kimono Teezeremonie und singt anschließend in schwindelerregend hohen Plastikstiefeln Karaoke. Rovisco hält mit arabischen Songs dagegen - und da explodieren schon die ersten, auf den schwingenden Kasten projizierten Videoanimationen von Acci Baba: Blut, Gewalt, bis von allem nur noch zersplitterte Teilchen bleiben. Es geht um Anziehung und Abstoßung, Unterdrückung und Hingabe, es werden manchmal etwas langatmig Seile geknüpft und von Babas Animationen hätte man gern noch mehr gesehen. Aber ein verrücktes, quer zum Thema stehendes Stück ist Waldmann allemal gelungen.
Michael Schlagenwerth, Berliner Zeitung 11.10.2009

FESSELN UND BEFREIEN
Die Burka als Begrenzung und Fessel, aber auch als Rückzugsort, als Form der Freiheit: Diese Dialektik thematisiert Helena Waldmann in ihrer aktuellen Choreografie BurkaBondage.
Zwei Frauen tanzen mit, auf und unter einem weißen Fallschirm. Sie wickeln sich in Tücher. Die eine bindet der anderen die Hände zusammen, die Füße. Schließlich wickelt sie den ganzen Körper ein. Hinter halb durchsichtigen Stoffbahnen sitzt ein Mann und trommelt.
BurkaBondage nennt Helena Waldmann ihr neues Stück, das in den Endproben steckt. BurkaBondage?
"Man denkt erstmal, dass es diametral entgegensteht. Wenn man es sich genauer anguckt. In Kabul zum Beispiel. Für unseren Blick: Wenn wir Frauen unter einer Burka sehen, erschrecken wir. Gleichzeitig ist es aber auch so, wenn wir das Wort 'inkognito' hören, dass das unglaublich befreiend klingt. Man kann Dinge tun, die man sonst vielleicht nicht tun würde."
Eine auf den ersten Blick ungewöhnliche These: die Burka der afghanischen Frauen als Rückzugsort; Verhüllung als Form der Freiheit.
"Die Burka, als ich sie zum ersten Mal anhatte, natürlich hatte ich geschwitzt und wollte darin tanzen und es ging nicht. Aber eigentlich ist das Ding auch ganz großartig. Man fühlt sich darin unbeobachtet."
Die 47 Jahre alte Regisseurin streicht sich ihre langen dunklen Haare, die von grauen Strähnen durchzogen sind, zurück. Gerade hat sie mit Monireh Hashemi noch einige Details besprochen. Monireh Nashemi ist Regisseurin in Afghanistan und für die Proben zu BurkaBondage nach Berlin gekommen. Helena Waldmann hat sich oft mit ihr über das Wesen der Verhüllung unterhalten.
"Sie will das Ding nicht aufhaben. Aber sie beschreibt auch, dass, wenn man mit der Burka rausgeht, dass man in Afghanistan, in Herat oder Kabul, Dinge tun kann, die man nicht glaubt, dass das afghanische Frauen tun. Das wollen sie aber tun, weil: Sie sind auch Mädchen, die leben wollen. Und die wollen auch nicht dauernd den Koran runterbeten, sondern Jungs kennenlernen."
Eine Frau, die sich ohne Verhüllung in der Öffentlichkeit zeigt, wird auf Schritt und Tritt beobachtet und von Männern bedrängt. Nur unter der Burka können die Frauen sich frei bewegen: eine paradoxe Situation, mit der die afghanischen Frauen spielen, wie Helena Waldmann bei ihren Besuchen festgestellt hat.
Helena Waldmanns Aufenthalte im Nahen Osten haben sie mit Erfahrungen konfrontiert, die ihr die etablierte Theaterwelt in Deutschland nicht mehr bieten kann. Für die Menschen in Afghanistan zum Beispiel hat Kunst eine existenzielle Dimension, erzählt Helena Waldmann:
"Die Taliban sitzen ihnen im Rücken. Mein Übersetzer ist eigentlich Sänger. Der sagte: Wenn die Taliban kommen, das ist sein Tod. Das sind junge, ganz nette Leute. Die wollen singen, die wollen Theater machen. Und wenn man dauernd hört, dass sie ihr Leben riskieren müssen. Die Regisseurin, die jetzt hier in Berlin ist, sie bekommt so krasse Anrufe, Briefe. Die sagen: Wenn sie nicht aufhört, dann würden sie weit gehen. Weit gehen heißt: Tod."
Helena Waldmann wurde 1962 in Burghausen in Oberbayern geboren. Sie studierte in Gießen Angewandte Theaterwissenschaft - an jenem Institut, das seit den 80er-Jahren so viele Avantgarderegisseure und -dramaturgen hervorgebracht hat. Das große Vorbild: der Licht- und Raumpurist Robert Wilson. In den 90er-Jahren inszenierte Helena Waldmann regelmäßig am Künstlerhaus Mousonturm in Frankfurt am Main. Damals ging es ihr um das virtuose Spiel mit physikalischen Phänomenen, mit Spiegelungen und Sinnestäuschungen. Heute interessiert sie sich stärker für Menschen.
"Früher, da kamen die Neuen Medien auf. Das war alles superinteressant. Das wollte man ausprobieren, ich auch. Ich habe aber das Gefühl, das haben wir jetzt alles gemacht. Was mich jetzt interessiert, das ist der Mensch, mit allem, was er kann. Aber ein Element, das schon bei meiner ersten Arbeit 'Die Krankheit Tod' da war, die schon sehr stark damit gespielt hat, dass man etwas verdeckt, um etwas zu zeigen. Dieses Entdecken durch das Verhüllen war schon 1992 ein großes Thema von mir."
Die Regisseurin und Choreografin lebt mittlerweile überwiegend in Berlin, vor Kurzem hat sie ihren langjährigen Freund geheiratet. Sie ist in den vergangenen Jahren aber durch die ganze Welt gereist; nach Südamerika und zuletzt nach Japan. Dort hat sie die Fesselungskunst studiert, die jetzt als Bondage in ihrem neuen Stück auftaucht. Immer ist sie auf der Suche, wie sich mit den Mitteln des Theaters kulturelle Fremdheit überwinden lässt.
Helena Waldmann war Regisseurin an den Theatern in Bochum, in Luzern, in Darmstadt und Saarbrücken. Sie lehnt das Stadttheater nicht ab, hat aber immer weniger Lust, für die etablierten Bühnen zu arbeiten.
"Ich hab gemerkt, dass, wenn ich frei arbeite, ich einfach freier bin. Alle meine Stücke sind Suche nach Freiheit; auch dieses jetzt wieder. Und wenn die Stücke schon um Freiheit gehen, warum soll ich mir die Freiheit wegnehmen?"
Dirk Fuhrig, Deutschlandradio 8.10.2009

FLÜGEL UND FESSELN
Haus der Berliner Festspiele
Helena Waldmann zeigt emotionale Zerreißproben in „BurkaBondage“

Diese eine Nacht in Kabul wird Helena Waldmann nie vergessen. Die Berliner Regisseurin und Choreografin und ihre iranischen Darstellerinnen waren mit der Produktion „Letters from Tentland - return to sender“ 2007 zum Nationalen Theaterfestival nach Afghanistan eingeladen. In einer Karawanserei sah Waldmann
die Aufführung „Cry of History“: Lauter Mädchen, alle weiß gekleidet, gingen im Kreis, ihre Hände waren mit Ketten verbunden. „In der Mitte stand ein neunjähriges Mädchen, das eine solche Wehklage ausgestoßen hat, wie ich es noch nie gehört habe“, erzählt Waldmann. „Sie hat mich mitten ins Herz
getroffen.“

Monireh Hashemi, die Regisseurin dieser aufrührenden Inszenierung, sitzt nun neben Helena Waldmann in einer Kreuzberger Fabriketage, die als Probenraum für ein außergewöhnliches Theater dient. Bei „BurkaBondage“ arbeitet sie als Coach und Beraterin für alle Dinge, die Afghanistan betreffen. Waldmann, die unerschrockene Theater-Pionierin, und die so zarte wie couragierte Hashemi bilden ein reizvolles Gespann. „BurkaBondage“ spannt zudem zwei Begriffe
zusammen, die schon für sich als Reizwort taugen und beide sexuell konnotiert sind: Die Burka ist ein afghanischer Mantel, der verhüllt. Bondage ist eine japanische Technik, die fesselt.
Der Titel ist eine Provokation, dessen ist sich Waldmann bewusst. Aber zwingt sie nicht etwas zusammen, was nicht zusammen gehört? „Bei der Burka denken wir sofort an Unterdrückung, sie kann aber auch Freiheit bedeuten. Bei Bondage ist es dasselbe: Die Seile binden den Körper so extrem, dass er völlig bewegungs- und machtlos wird. Die Kontrolle über den eigenen Körper wird einem anderen übergeben – auch dieses Gebundensein wird von vielen Japanern als Freiheit verstanden.“
Das Stück bewegt sich also im Spannungsfeld von Fesseln und Entfesselung, von Kontrolle und Begehren. Das Theater von Helena Waldmann ist oft eine solche Gratwanderung, denn es verändert unseren Blick auf die andere Kultur und auf den Körper. Dass sie immer wieder Wege gefunden hat, in islamischen
Ländern zu arbeiten und das Los der Frauen, ihr Unsichtbarsein zu thematisieren, hat ihr viel Respekt und Bewunderung eingetragen.
In Monireh Hashemi hat sie nun eine Verbündete gefunden – und es ist schön zu erleben, wie die beiden sich über alles Trennende hinweg verständigen.
Hashemi widerspricht westlichen Feministinnen, wenn sie erklärt: Die Burka ist oft die einzige Chance, eine gewisse Freiheit zu erfahren. Sie selber aber weigert sich standhaft, eine Burka zu tragen, stattdessen bedeckt sie ihre Haare mit einem Kopftuch. Der Wunsch nach weiblicher Autonomie verbindet sich mit einer
wilden Theaterleidenschaft. Hashemi ist eine Kämpferin, doch wenn sie von den Gefahren erzählt, denen sie permanent ausgesetzt ist, kommen ihr fast die Tränen. Wiederholt hat sie anonyme Anrufe oder Drohbriefe erhalten, in denen sie beschuldigt wurde, unmoralisch zu leben. Doch sie sagt : „Theater ist meine Sprache - und die lasse ich mir nicht verbieten.“
Hashemi war Waldmann auch deswegen aufgefallen, weil sie eine Regisseurin ist, die stark mit dem Körper arbeitet. Was ungewöhnlich ist für Afghanistan. Sie bringt nun ihre künstlerische Sensibilität ein, ist aber auch brennend interessiert an westlichen Ausdrucksformen. Zwei Tänzerinnen stehen im Mittelpunkt der
Inszenierung: die Japanerin Yui Kawaguchi und die Portugiesin Vania Rovisco wagen sich vor in ungeschütztes Gebiet. Wenn aber die Seile zum Einsatz kommen, dann nicht nur, um voyeuristische Gelüste zu befriedigen. Bei „BurkaBondge“ geht es um die Freiheit, die beide suchen – nicht gegen, sondern durch die Burka, durch die Fessel des Bondage, durch die Abhängigkeit voneinander.
Das ist der Kontflikt mit denen das Stück spielt. Und eins sollte klar sein: Trotz des exotisch anmutenden Setting handelt das Stück von uns.
Sandra Luzina Tagesspiegel Spielzeit 10.09, 24.9.09

KÖRPERLICH GEBUNDEN
Die Fallschirmseide ist zerschlissen, der Stoff hat Löcher. Dennoch reicht er, um den Boden der Bühne zu bedecken, auf der die Regisseurin Helena Waldmann "BurkaBondage" probt. Wenn Vania Roviso den Fallschirm, der bis dahin halb hochgezogen von der Decke hing, über der ganzen Fläche ausbreitet, verändern sich die Konnotationen der Bilder. Was eben noch nach kriegerischer Handlung und Eroberung eines Landes aussah, beginnt jetzt dem Profil einer Landschaft zu ähneln, von feinen Wellenlinien durchzogen.
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Irgendwann fängt die Tänzerin Yui Kawaguchi an, sich von einer anderen Ecke aus in den Stoff einzudrehen, wie in einen Kokon. Wirbellinien durchziehen die Seide in alle Richtungen. Sie korrespondieren mit den Klangwellen, die Mohammad Reza Mortazavi aus einem mit Stoffbändern umwickelten Kubus mitten auf der Bühne aussendet. Und was eben noch eine Bewegung des Ausdehnens war, kehrt sich um in eine des Zusammenraffens und Verengens.

An dieser kurzen Sequenz, reich an äußeren und inneren Bildern, fehlt noch der Feinschliff, die Synchronisierung der Abläufe. Auf Deutsch und Englisch redet Helena Waldmann mit ihren Performern, die aus Portugal, Japan und dem Iran kommen, teils aber schon länger in Berlin leben. Sie haben an "BurkaBondage" bisher in einem Kreuzberger Probenraum gearbeitet, jetzt geht es um die Einpassung an der Bühne der Uraufführung am 9. Oktober im Haus der Berliner Festspiele.

Helena Waldmann ist nicht nur eine Regisseurin mit Wohnsitz in Berlin, sondern auch Weltreisende. Mit ihrem Stück "Letters from Tentland" für und mit iranischen Performerinnen erhielt sie seit 2005 viele Einladungen, auch vom Goethe-Institut aus Kabul. Ein Workshop schloss sich an, elf Tage lang arbeitete sie mit jungen Frauen in Kabul, schwer beeindruckt von deren Liebe zu einer Kunstform in einem Land, in dem theaterspielende Frauen sehr leicht Diskriminierung und Bedrohung ausgesetzt sind.

Ausgangspunkt Kabul

Auch wenn Waldmanns Aufenthalte in Afghanistan nicht lang waren und sie außer Theater, Workshop und Hotel nicht viel sehen konnte - das Goethe-Institut wacht über die Sicherheit seiner Gäste - beginnt mit dieser Erfahrung die Vorgeschichte ihres Stücks "BurkaBondage". Aber anders als "Letters from Tentland", das über die Möglichkeiten des Theatermachens und das Leben junger Frauen in Teheran erzählte, sei "BurkaBondage" kein Stück über Afghanistan und Japan, betont Helena Waldmann im Gespräch.

In Kabul und in Japan seien ihr vielmehr kulturelle Phänomene aufgefallen, für die es dort starke Bilder gibt, die aber, und das ist ihr wichtig, woanders auch gelebt, nur weniger gesehen werden. Das ist das Bedürfnis nach Rückzug, Privatheit, Ausklinken aus allen Forderungen. Das Gewand der Burka und die Kunst der Fesselung sind für sie unterschiedliche Formen, durch Beschränkung Freiheit zu gewinnen, im Rückzug aus der Öffentlichkeit einen anderen Raum zu suchen. "In der Bondage", glaubt Waldmann zum Beispiel, "gibt man Kontrolle ab, wenn man körperlich gebunden ist. Damit befreit man sich auch von der eigenen Verantwortung." Dann schwärmt sie von der alten japanischen Knotenkunst, die auch das Einknüpfen einer Melone, um sie vom Markt nach Hause zu tragen, oder das Binden eines Kimono umfasst.

Es ist sehr verführerisch, Waldmanns Umgang mit den politisch und sexuell besetzten Images von Burka und Bondage als politischen Kommentar zu lesen. Damit kokettiert der Stücktitel. Aber beide Bilder sind nur Ausgangspunkt einer Reise, die in der konkreten Zusammenarbeit der Performer ihre eigene Dynamik entfaltet hat. Da geht es in erster Linie "um zwei Menschen, zwei Körper, die nicht die gleiche Sprache sprechen, aber doch voneinander abhängig sind", sagt Helena Waldmann. "Die Notwendigkeit, das Gegenüber zu spüren", das sei dabei die Herausforderung gewesen, sagt Waldmann, und diese Erfahrung bildet den Gegenpol zu den Tendenzen des Rückzugs. Sei es in einem Bild, in dem Vania und Yui mit Schnüren konkret verbunden sind, die eine als Drache in der Luft, die andere als ihre Lenkerin, sei es, wenn die beiden in Aufteilung des Raumes miteinander klarkommen müssen.

Was im Reden über Rückzug und Freiheit, das Verschwinden oder die Sichtbarkeit der Körper oft sehr theoretisch klingt, gewinnt in den Bildern, die zwischen den Performern entstehen, dann eine ganz andere Plastizität und Plausibilität. Und auf die kommt es schließlich an.
Katrin Bettina Müller, taz 9.10.2009

„ICH LASSE MIR MEINE SPRACHE NICHT VERBIETEN“
Die Situation mutet surreal an: Eine deutsche und eine afghanische Regisseurin sitzen in Berlin zusammen und reden über Burka und Bondage. Wie ist das möglich? Begonnen hat alles vor zwei Jahren in Kabul. Helena Waldmann und ihre iranischen Darstellerinnen waren mit der Produktion „Letters from Tentland – Return to Sender“ 2007 zum Nationalen Theaterfestival nach Afghanistan eingeladen. In einer Karawanserei sah Waldmann eine Aufführung aus Herat: „Mädchen, alle weiß gekleidet, gingen im Kreis, ihre Hände waren mit Ketten verbunden. In der Mitte stand ein neunjähriges Mädchen, das eine solche Wehklage ausgestoßen hat, wie ich es noch nie gehört habe“, erzählt Waldmann. „Sie hat mich mitten ins Herz getroffen.“

Monireh Hashemi, die Regisseurin dieser aufrüttelnden Inszenierung, arbeitet nun neben Helena Waldmann in einer Kreuzberger Fabriketage an einem außergewöhnlichen Theaterprojekt. Hashemi ist bei „Burka Bondage“ für alle Fragen zuständig, die Afghanistan betreffen. Waldmann, die unerschrockene Theater-Pionierin, und die so zarte wie couragierte Hashemi bilden ein reizvolles Gespann. „Burka Bondage“ spannt zwei Begriffe zusammen, die schon für sich als Reizwort taugen und beide sexuell konnotiert sind.

Der Wunsch nach Autonomie verbindet sich mit einer wilden Theaterleidenschaft

Hashemi widerspricht jedenfalls westlichen Feministinnen, wenn sie erklärt: „Die Burka ist oft die einzige Chance, eine gewisse Freiheit zu erfahren.“ Denn nur so seien die Frauen vor den zudringlichen und kontrollierenden Blicken der Männer geschützt. „Body check“ nennt es Hashemi, die fließend englisch spricht. Sie selber weigert sich allerdings standhaft, eine Burka zu tragen, stattdessen bedeckt sie ihr Haar mit einem Kopftuch. Der Wunsch nach weiblicher Autonomie verbindet sich bei ihr mit einer wilden Theaterleidenschaft. Monireh Hashemi, die nie Theater studiert hat, erregte schon mit ihrem ersten Stück Aufsehen. Die Inszenierung fand an einer Mädchenschule in Herat statt, den Text schrieb sie in einer einzigen Nacht, er ruft Maria und Fatima an. „Wir haben doch große Frauen in unserer Religion“, erklärt sie, „und die Frauen hatten einmal ihren Platz in der Gesellschaft.“

Dieser Platz wird ihnen heute, Jahre nach dem Ende der Taliban-Herrschaft, immer noch streitig gemacht. „Die afghanischen Männer sperren die Frauen zu Hause ein, wo sie lebendig begraben sind,“ sagt Hashemi und berichtet von den geringen Bildungschancen der Mädchen und von der immer noch verbreiteten Praxis der Zwangsheirat.

Als Schauspielerin und Regisseurin im heutigen Afghanistan braucht man sehr viel Mut, das macht das Gespräch deutlich. Monireh Hashemi mit ihrem sanften Lächeln ist eine Kämpferin, doch wenn sie von den Gefahren erzählt, denen sie permanent ausgesetzt ist, kommen ihr einmal fast die Tränen. Wiederholt hat sie anonyme Anrufe oder Drohbriefe erhalten, in denen sie beschuldigt wurde, unmoralisch zu leben. Doch sie sagt mit trotziger Entschlossenheit: „Theater ist meine Sprache, und die lasse ich mir nicht verbieten.“
Die 24-Jährige ist eine Ausnahmeerscheinung. Ihre Familie halte fest zu ihr, erzählt sie. Und ihr Mann teilt ihre Passion: Der Filme– und Theatermacher hat die Produktionsgesellschaft gegründet, die ihre ersten Arbeiten ermöglichte und für die sie weiterhin tätig ist. Dass sie so furchtlos auftritt, hat sicher auch damit zu tun, dass sie während der Taliban-Jahre im Iran gelebt hat. Helena Waldmann berichtet von einem Workshop mit afghanischen Frauen, den sie auf Initiative des Goethe-Instituts abgehalten hat: „Monireh war nicht durch den Krieg traumatisiert wie alle anderen. Sie war die einzige, die sich konzentrieren konnte.“

Das Stück ist ganz gewiss eine Gratwanderung

Hashemi war Waldmann auch deswegen aufgefallen, weil sie eine Regisseurin ist, die stark mit dem Körper arbeitet, was ungewöhnlich ist für Afghanistan. Sie bringt nun ihre künstlerische Sensibilität ein, ist aber auch brennend interessiert an westlichen Ausdrucksformen. Mit großer Neugier hat sie verfolgt, wie Waldmann mit ihren beiden Tänzerinnen, der Japanerin Yui Kawaguchi und der Portugiesin Vania Rovisco, das Bewegungsmaterial erarbeitet. Für sie war das alles Neuland. „Ich verstehe euer Theateralphabet nicht“, gestand sie anfangs. Nach drei Wochen verstand sie einzelne Worte, dann ganze Sätze.

Helena Waldmann findetr immer wieder Wege, mit Künstlerinnen aus islamischen Ländern zu arbeiten. Hashemi hat sie beim neuen Projekt freie Hand gelassen: Mit Yui Kawaguchi hat sie einen orientalischen Tanz einstudiert, mit Vania Rosco einen afghanischen Song geprobt. Allerdings geht es in „Burka Bondage“ beileibe nicht um Folklore. Das Theater von Helena Waldmann will unseren Blick auf die andere Kultur – auch die japanische – und auf den Körper verändern.

Das Stück bewegt sich im Spannungsfeld von Fesseln und Entfesselung und ist ganz gewiss eine Gratwanderung. In Monireh Hasehmi hat Waldmann eine Verbündete gefunden. Die junge Afghanin geht mit offenen Augen durch Berlin, hat sich viele Tanzaufführungen angeschaut und ist keineswegs geschockt von den hiesigen Sitten und Theatermoden. Was ihr besonders aufgefallen ist? „Frauen und Männer gehen hier so zwanglos miteinander um, das hat mich positiv überrascht“, sagt Monireh Hashemi und lächelt ihr sanftes Lächeln.
Sandra Luzina, Tagesspiegel 7.10.2009

THEATERSPIELEN IST GEFÄHRLICH
Ein weiter Raum im Obergeschoss eines typischen Berliner Klinkerbaus, darin, an diversen Seilen, ein Fallschirm, daneben ein Gestell, über das Gazebinden gespannt sind. Die Choreografin und Regisseurin Helena Waldmann und ihre Tänzerinnen Vania Rovisco und Yui Kawaguhi proben an diesem heißen Augustnachmittag eine Szene des Stückes "BurkaBondage". Der dünne und doch üppig sich bauschende Fallschirmstoff ist den beiden Darstellerinnen Burka, unter der sie sich berühren, und Landschaft, in der sie verschwinden können, während am Rand Mohammad Reza Mortazavi, Spieler der persischen Tombak, und die afghanische Schauspielerin und Regisseurin Monireh Hashemi sitzen und behutsam trommelnd beziehungsweise singend die manchmal noch tastenden Bewegungen begleiten.

Helena Waldmann hat sich wie vielleicht kein anderer in den vergangenen Jahren mit der Theatersituation in muslimischen Ländern auseinandergesetzt, auch indem sie für das Goethe-Institut Kurse gab im Iran und in Afghanistan. Nun arbeitet sie an einem Stück, das sich mit den Gesellschaftsentwicklungen in Japan und Afghanistan beschäftigt, Titel: "BurkaBondage - no ordinary experience".

Monireh Hashemi ist ihre Beraterin in allen Dingen, die Afghanistan betreffen. Von der Gefahr, der sie sich in Kabul durch ihre Theaterarbeit aussetzt, erzählt die junge Frau mit einer Munterkeit, hinter der viel Mut stehen muss. Sie erzählt, wie 2006 alles begann, als sie mit einem in einer Mädchenschule erarbeiteten Stück beim nationalen Theaterfestival den ersten Preis erhielt. (Es ist die Inszenierung, von der Helena Waldmann im Interview spricht.) Sie erzählt aber auch von Droh-Anrufen und -Briefen.

Die Drohungen sind anonym. Nie, sagt Monireh Hashemi, komme jemand zu ihr und sage ihr ins Gesicht: Das darfst du nicht. Aber als sie als Filmschauspielerin begann, seien frühmorgens um drei, vier Uhr Briefe eingeworfen worden an ihren Vater, die seine Tochter beschuldigten, unmoralisch zu leben, viele Männer zu haben, irgendwann sicher schwanger zu werden ... kurz, eine Schande zu sein. Doch ihre Familie habe sie stets unterstützt.

Die Dinge werden besser, versichert Monireh Hashemi: "Vor fünf Jahren konnte ich nirgendwo allein hingehen, jetzt kann ich mich auch allein auf der Straße bewegen." In Kabul mit Kopftuch, an anderen Orten, Herat etwa, mit Burka. Die ältere Generation, meint die afghanische Regisseurin, verliere langsam an Einfluss. Helena Waldmann, die neben ihr sitzt, blickt skeptisch.

Frau Waldmann, nachdem Sie bereits im Iran gearbeitet hatten, hat Sie das Theater in Kabul überrascht? Was sind die Unterschiede?

Der große Unterschied zu Iran ist, dass es in Kabul ja erst seit sechs Jahren wieder Theater gibt. Das ist in Iran anders, man hat dort eine lange Theatertradition, viel besser ausgebildete Schauspieler. In Kabul spürt man den unglaublichen Wunsch, Theater zu spielen. Denn es ist fast die einzige Möglichkeit, sich frei auszudrücken. Es gibt in Kabul seit jetzt sechs Jahren das nationale Theatertreffen. Die Theatergruppen sprießen, seit die Taliban weg sind, wie die Pilze. Aber es ist wahnsinnig gefährlich. Besonders für Frauen. Ein Mädchen in meinem Workshop erzählte, dass es immer die Onkel väterlicherseits sind, die so weit gehen, die Mädchen umzubringen, weil sie Theater spielen. Auch Monireh, die ich in Kabul als Regisseurin kennenlernte, hat mir gesagt: Sie weiß, dass sie es das Leben kosten kann. Trotzdem sind sie wild entschlossen, Theater zu machen. In Afghanistan hat man das Gefühl: Die Menschen wissen, was es bedeutet, Theater zu spielen. Sie wissen auch, was es bedeutet, es anzuschauen. Das ist in Europa verloren gegangen.

Sie sprachen gerade von Zensur, ist das Theater denn nicht zensiert?

Wie in Iran darf auch in Afghanistan in der Öffentlichkeit nicht getanzt werden. Singen ist möglich, aber Tanz ist verboten. Monireh ist eine Regisseurin, die wenig mit Sprache arbeitet und viel mit dem Körper. Und die Leute kommen nach der Aufführung zu ihr und sagen, dass sie das nicht verstanden haben, weil viele Menschen dort diese Art von Theater nicht lesen können, denn Film und Theater basieren, ähnlich wie in Iran, stark auf Sprache. So aber kann natürlich nicht jede Kritik ausgesprochen werden. So finden die Künstler, wie in Iran, immer wieder Wege, mit dem Körper das auszudrücken, was ihnen wichtig ist, wenn es mit Sprache allein nicht geht.

Was ich gerade in Ihrer Probe gesehen habe: zwei Verschleierte, die sich berühren, in den Arm nehmen, könnte man das in Afghanistan zeigen?

Ja, wenn die Körper versteckt sind. Je mehr ein Regisseur erfüllt, was gefordert ist, nämlich die völlige Bedeckung der Körper durch die Burka, desto mehr Freiheiten hat er. Die Frauen in Monirehs Stück sahen ganz ähnlich aus wie die beiden in meiner "BurkaBondage", nur, dass sie ganz in Weiß waren und Fesseln trugen. Und in der Mitte stand ein neunjähriges Mädchen und hat eine solche Wehklage ausgestoßen, wie ich es noch in keiner Medea-Inszenierung gehört habe. Das Kind hat wohl seine Erfahrungen - auch damit, wie Frauen behandelt werden - mit in diese Klage hinein genommen. Die Aufführung war nachts und ich habe mich gewundert, dass die Zuschauer Sonnenbrillen aufsetzten - bis ich merkte, dass sie weinten, auch die Männer.

Zur Person
Helena Waldmann, geboren 1962, studierte in Gießen Angewandte Theaterwissenschaft und assistierte bei Jürgen Gosch, Frank-Patrick Steckel und dem Choreografen Gerhard Bohner. Einige Stücke brachte sie zunächst am Frankfurter Künstlerhaus Mousonturm heraus, inzwischen lebt sie in Berlin. Mit iranischen Schauspielerinnen inszenierte sie 2005 "Letters from Tentland".

"BurkaBondage" wird am 9. Oktober im Haus der Berliner Festspiele Uraufführung haben.
Sylvia Staude, Frankfurter Rundschau 2.9.2009

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