HELENA WALDMANN
PRESSESTIMMEN
TANZ DAS GLÜCK
Glück kann kein Dauerzustand sein. Denn bald schon beginnt das
eingefrorene Lächeln zu schmerzen. Vom Schmerz des Glücks erzählt die
Choreografin Helena Waldmann in ihrem "GlückStück". Das Zirzensische ist wichtig, das Spiel mit strahlenden Ankündigungen und die Artistik mit
zusammengebissenen Zähnen. Und manchmal kann man auch ganz blöd vor Glück werden. Die Tänzer zeigen das , wenn sie eine witzige Mundchoreografie aufführen.
Hannoversche Allgemeine Zeitung, 4.9.2012
ERBITTERT ERTANZTE EXSTASE HINTER DEM TÜLLVORHANG
Ein Tüllvorhang-Rondell mit mächtig Lametta-Goldkante, so sieht also die Bühne für Glück aus. André Soares, der kleine Expressive, erklimmt die Showtreppe, reckt strahlend die Hände gen Himmel. Schon eilt Matthias M. Draeger herbei, der sympathische Bärtige, und lässt seinen Mittänzer im Wortsinn abheben. Dass ihre Runden sich dehnen, bis ihnen das Strahlelächeln wie angepappt im Gesicht hängt, lässt ahnen: Nur gemütlich wird der Abend nicht.
Choreographin Helena Waldmann schickt ihr Quartett wie in einen Ring. Jedes Musikstück markiert eine neue Runde in Sachen in Sachen Glück. heitere Musik its, viel funkelnde 20er, dazwischen Rock'n'Roll. Und sie rollen und steppen, kreiseln und drehen, schlagen Räder, springen in Spagats, dynamisch, präzise, begeisternd.
Evelyn Beyer, Neue Presse Hannover, 4.9.2012
GLÜCKSTÜCK
Hinreißend vom ersten Ton an - mitreißend und ansteckend, vor allem dieses frostige, ewige Lächeln - oder nicht? Es beginnt mit "Also sprach Zarathustra" von Richard Strauß - Pathos pur - und führt in rasantem Tempo durch die verschiedensten Musikstile und Attitüden der Glitzerwelt, nie langweilig, immer voller Freude, oder? Helena Waldmann verspricht mit ihrem Tanzquartett, was sie sowieso nicht halten kann, in einer Art Varieté mit goldenen Rüschenvorhängen. "Das Glück kommt in zehn Minuten" verheißt eine Schrift im Hintergrund - aber auch der Tod "kommt in zehn Minuten", selbst, wenn man ihm seine Wut entgegenbrüllt. Wenn die Platte einen Sprung hat, erstarren die Gesten.
Hinreißend vom ersten Ton an - mitreißend und ansteckend, vor allem dieses frostige, ewige Lächeln - oder nicht? Es beginnt mit "Also sprach Zarathustra" von Richard Strauß - Pathos pur - und führt in rasantem Tempo durch die verschiedensten Musikstile und Attitüden der Glitzerwelt, nie langweilig, immer voller Freude, oder? Helena Waldmann verspricht mit ihrem Tanzquartett, was sie sowieso nicht halten kann, in einer Art Varieté mit goldenen Rüschenvorhängen. "Das Glück kommt in zehn Minuten" verheißt eine Schrift im Hintergrund - aber auch der Tod "kommt in zehn Minuten", selbst, wenn man ihm seine Wut entgegenbrüllt. Wenn die Platte einen Sprung hat, erstarren die Gesten.
Helge Mücke, typepad.com 12.9.2012
«Fun ist ein Stahlbad», schrieb der Philosoph Theodor W. Adorno einst. Und wenn auch Fun mit Glück nicht gleichzusetzen ist, so fällt doch auf, dass auch Glück heutzutage beinahe zur Pflicht und Sucht geworden ist, zu etwas, das man mit Drill oder Konsum erreichen zu können glaubt. Dieser Ansicht ist zumindest die Berliner Choreografin und Regisseurin Helena Waldmann. In ihrem «Glückstück » lässt sie die vier Tänzer André Soares aus Portugal, Brit Rodemund aus Berlin, Moo Kim aus Korea und Tobias M. Draeger aus München den Grat entlanggehen zwischen dem, was Glück ist, und dem, was Glück zu sein scheint. Waldmann zeigt, wie die Artisten dem Glück hinterherjagen oder sich von ihm ereilen lassen. «In 10 Minuten kommt das Glück», heißt es. Und wunderbar ironisch kommt die auf das Zelt projizierte Anleitung zum Sterben daher: «Man nehme ein Mittel gegen Übelkeit, 80 Anti-Malaria-Tabletten in Apfelmus, Schlaftabletten und eine aufrechte Haltung ein. Viel Glück!» Besteht das menschliche Glück in der Gewissheit, dass man in den Tod gehen darf, dass das Leben endlich ist? Theodor W. Adorno, sagt, dass erst, wer gelitten hat, fähig ist, Glück zu empfinden. Angewandt auf den Schluss der Choreografie könnte dies heißen, dass nur, wer sich der Endlichkeit des Lebens bewusst ist, im Moment leben kann.
Neue Züricher Zeitung, 27.4.2012, Katja Baigger
Drastisch anders und elaboriert im Theatralen wie im Tänzerischen präsentiert sich Helena Waldmanns „GlückStück“. Die Inszenierungen der Berliner Tanzregisseurin sind ein Politikum erster Ordnung. Ihre Tanzstücke durchkreuzen das Selbstbild und die Wahrnehmung des Zuschauers. Dabei zeigt Waldmann, dass Tanz nicht nur eine Frage der körperlichen, sondern auch der politischen Haltung ist. Ins Auge sticht, dass die Kreationen durchaus als gesellschaftskritische Statements zu lesen sind. Die Botschaften drängen aus der sinnlichen Wahrnehmung in den choreografischen Aufbau und sind dramaturgisch genau gegliedert. Der Tanz wird so zur «Sprache», die für ein aufgeschlossenes Publikum gut lesbar oder besser: erspürbar – ist.
Ester Sutter, Musik & Theater, 12/2011
SEIN UND SCHEIN
Die tänzerischen Darbietungen zeigten stets eine gewisse Rebellion - eine Rebellion der Seele für die Würde des eigenene Selbst und der Selbstbestimmung. Was ist denn nun dieses Glück, was wir alle um jeden Preis suchen? Eine glamouröse Kulisse, in gepflegte Anzüge gekleidete Tänzer und euphorische Musik? Und was ist der Preis dieser Suche? Welche Opfer bringt man? Wie weit geht man mit sich selbst?
Eine Durchforstung der eigenen Wahrnehmungs- und Bewertungsmuster wurde unumgänglich. Subtile, aber immer währende Provokationen wurden gekonnt tänzerisch verpackt. "Das Glück kommt in 10 Minuten" - eingeblendete Phrasen wie diese und eine Anleitung zum Selbstmord vor lauter Überglück und leeren Glücksversprechungen regen zum Denken an.
Anna Willi, Volksblatt Liechtenstein 23.4.2012
DAS GLÜCK KOMMT, WENN DIE ANGST GEHT
Mit schnöder Gefälligkeit hat Waldmann nämlich nichts am Hut, mit ihren Stücken will sie aufwühlen und aufregen, aber auch das Herz zum Tanzen, die Seele zum Hopsen bringen.
Gelungen ist ihr das am Sonntagabend mit dem wunderbaren „GlückStück“. Dabei fegen André Soares, Moo Kim, Tobias M. Draeger und Brit Rotemund mit einer derart erfrischenden Körperlichkeit über die Bühne, dass es eine Freude ist. Eine glitzernde Mini-Manege wird zum Ort des Geschehens, zum Quell des Glücks, dem das Quartett nachspüren will. Und dabei oft den Boden unter den Füßen verliert, um scheinbar schwerelos nach dem wundervollen Moment der Unbeschwertheit zu greifen. „Das Glück kommt in zehn Minuten“ steht da plötzlich in großen Lettern geschrieben. Doch noch bevor man sich darüber freuen kann, erfährt man schon, dass der Tod offenbar auch nicht allzu fern ist. Schwarz und weiß, Glück und Unglück liegen eben nah beieinander, ja sie bedingen einander sogar. Wo nie Tränen flossen, sprießt kein Lächeln, wo nie gewütet wurde, wachsen keine Wunder.
Und so pendelt Waldmanns Kleeblatt-Truppe zwischen Freud und Leid und touchiert dabei auch die Grenzen der Verrücktheit. Denn wahnsinnig glücklich kann nur der sein, der auch ein bisschen irre ist. Im positiven Sinne natürlich. Untermalt wird die knapp einstündige Performance von einem mitreißenden Soundtrack, in dem Elvis genauso Platz hat wie Charleston-Klänge, jazzige Zwischenspiele und Stepp-Stopps. Beim Happy End wird gelächelt. Glücklicherweise.
Tiroler Zeitung 3.4.2012
PHANTOM ZUM KNUDDELN
Wenn eine Aufführung den Titel GlückStück wählt, weht geradezu zwangsläufig ein kräftiger Hauch Ironie von der Bühne. Zumal das denkfreudige Tanztheater für die Pressung von Lottogewinn oder Herzklopfen kaum ein Bein heben würde. Helena Waldmann die Berliner Körpersprache-Autorin, kontert ihre kürzlich Auseinandersetzung mit Demenz durch das gemeißelte Grinsen trügerischer Hochgefühle.
Es könnte fast das getanzte Rahmenprogramm für den Oscar-Sieger 'The Artist' werden, wie hier in einer Baldachin-Arena ein Tänzer-Quartett wort- und atemlos der guten Laune quer durch Swing- und Rockepochen hinterher jagt. Die Tonspur läuft im Evergreen-Modus, die Akteure werfen sich auf Schrittmuster der Show-Nostalgie und per Leuchtschrift wird das Heil verkündet: "Das Glück kommt in 10 Minuten". Der Tod, heisst es gleich danach, werde auch dabei sein. Doch der Schrecken hält sich in Grenzen, allenfalls erstirbt der Lachzwang vorübergehend. Was soll's: "Glück gehabt". sagt ja im Volksmund lediglich, dass man noch davon gekommen ist.
Die Konzept-Cjoreographin Helena Waldmann hat in ihren letzten Stücken nie so viel gewagt, in dem sie so wenig behauptete. Das "GlückStück" ist frei von Attacken-Thesen und voll von augenzwinkerndem Entertainment. Ein Las Vegas-Konzentrat minimalistischer Show-Szenen, deren Original-Esprit zitiert und dann übertourig auf Rundlauf durch Gehirnwindungen geschickt wird. Das Glück als Fingerschnipsen, vom Steh-Charlston zum zappelnden Zittre-Elvis hastend, strahlende Begeisterung in sinnlosen Grätschen manifestierend und urkomische Playback-Lautmalereien ausstoßend, bleibt, was es ist: ein Phantom zum Knuddeln.
Vier Solisten in bester Form und Laune: Brit Rodemund, garniert himmlische Showbiz-Spöttelei mit höllischem Gelächter, ihre drei Partner (Andre Solares, Moo Kim, Tobias M. Draeger) scheuen weder Sprünge noch Grimassen. Tatsächlich funktioniert die Aufführung als Denkanstoß ebenso wie als Revue. Die Zuschauer konnten das Glück fassen und jubelten.
Stoll, Abendzeitung 19.3.2012
GLÜCKSTÜCK VON HELENA WALDMANN
Vier hervorragende Tänzer treiben auf der kleinen Fläche eines Varieté-Zelts die Welt der großen Sehnsüchte vor sich her. Man erlebt eine Artistik wie auf dem Hochspannungsseil.
Claus Clemens, Rheinische Post 10.3.2012
GLÜCK, BIS DAS MASS ÜBERVOLL IST
Ist das schön. Ein nostalgisches Varieté-Theater, umsäumt von einem Samtvorhang mit goldenen Fransen. Drei ansehnliche Männer lächeln, während sie beschwingt in ihren Tanznummern dahingleiten. Vorhang auf: Sie sehen – das Glück!
Schaut man sich das „Glück-Stück“ der Berliner Tanzregisseurin Helena Waldmann an, so glaubt man zunächst, Menschen in ihrem Element zu erleben. Die hinreißende Fingerschnips-Choreografie des Männer-Trios oder die atemberaubenden Soli von Brit Rodemund machen happy. Helena Waldmann inszeniert Lindy-Hop, einen swingenden Tanzstil aus den 1930er Jahren der USA, der sich unter anderem aus Charleston, Stepptanz und Jazz entwickelte.
Glück ist bekanntlich vergänglich und Helena Waldmann eine Unbequeme. Jemand, der Themen wie Alzheimer („revolver besorgen“) oder die islamische Totalverschleierung und japanische Fesseltechnik („BurkaBondage“) auf die Bühne bringt, setzt dem Publikum kein Gute-Laune-Stück vor.
Tänzer als aggressive Fratzen der Wohlfühlgesellschaft
Das Ensemble aus drei Männern und einer Frau wird immer unruhiger, zappeliger. Das Lächeln ist misstrauischen Blicken gewichen, sie sind zu grotesken Glücks-Marionetten geworden. Aggressive Fratzen einer Wohlfühlgesellschaft, die jedem Glücksversprechen hinterherhechelt. Was die entspannte Stimmung hat kippen lassen, erschließt sich allerdings nicht vollends. War genug nicht genug? Alles war doch so wunderbar.
Es gibt, so scheint es zumindest, einen Weg aus der Krise. Beim kollektiven Knieschlottern finden die Vier zum Lächeln zurück. Wie entfesselt tanzt das Ensemble im finalen Breakout. Keine unterhaltsame, artige Revue-Choreografie mehr. Totale Verausgabung bringt den Glückskick
Das Fazit: Helena Waldmanns jüngstes Werk, uraufgeführt im Dezember 2011 in Berlin ist es ein sehenswertes Stück, das swingt, das verschwörerisch ins Publikum grinst und selbstironisch zwinkert.
Bettina Trouwborst, Westdeutsche Zeitung 9.3.2012
KURS ZUM GLÜCK
Helena Waldmanns Dekors sind genauso streng filetiert wie alle anderen Inszenierungszutaten. Getreu der Faustregel: "Das Fett wegschneiden, bis nur noch die Essenz auf dem Tablett liegt." Deshalb stehlen Sprache, Tanz, Multimedia und Musik einander hier nie die Show, sondern steuern fein dosiert ihre unverwechselbare Note zum Gelingen bei.
Das jüngst präsentierte "GlückStück" liefert dafür ein Paradebeispiel. Regelmäßig getaktet, verkünden weiße Lettern auf schwarzem Grund, in jeweils zehn Minuten komme das Glück, die Freiheit, der Tod. Unterdessen trotteln, trippeln und trilieren vier Performer durch eine güldene Raffgardinen-Arena, bis sich - dank famoser Lichtregie - die Lamettagirlanden in düstere Trauerflore verwandeln. Die mopsfidelen Herrschaften hampeln weiter dem Glück hinterher, dessen Rockschoß sie freilich niemals zu fassen kriegen. Immer grotesker reißen sie ihre Ensor-Fratzen auf, um schließlich in den Abgrund des Stillstands zu torkeln. Wer den Augenblick verpasst, den bestraft das Leben - mit Erstarrung, Herzenskälte, Anästhesie. Mit Tod beim lebendigen Leib.
tanz, 3/2012 Dorion Weikmann
Fats Domino und all die anderen 40er bis 60er Jahre Hits an diesem Abend machen echt gute Laune.
Doch diese fetzige Musik täuscht nicht darüber hinweg, dass es sich bei diesem GlückStück eigentlich nicht um ein GlückStück handelt, auch nicht um ein UnglückStück. Das ist es nicht. Es ist mehr eine rhetorische Frage der Choreografin an ihr Publikum und die lautet: Das nennt ihr Glück? Diese falsche Heiterkeit?
Da kommen eine Frau und drei Männer in eleganten Anzügen eine elegante Showtreppe herunter, sie tanzen fröhlich wie Fred Astaire in seinen besten Zeiten. Sie swingen und jazzen und steppen und lächeln. Im Hintergrund werden ab und zu Sätze an die Wand geworfen, die zwischen Ironie und Ernst schwanken; zB in „10 Minuten kommt das Glück“ oder „In 10 Minuten kommt der Tod“. Dazu gibt es eine Anleitung zum Selbstmord. Glück bedeutet für die bekannte Berliner Choreographin Freiheit. Und damit auch jene, bestimmen zu dürfen, wann man seinem Leben ein Ende setzt.
Immer häufiger gibt es in den knackigen 60 Minuten Momente wo die Nummernrevue kippt. Zu Elvis Presley zappeln die Arme und Beine wie wild. Die Tänzer drehen sich in Hochgeschwindigkeit um die eigene Achse Die großartig präzise Brit Rodemund lacht diabolisch verzweifelt. Ein anderer röhrt seine Wut heraus. Aber, alles bleibt im Rahmen, den das Bühnenbild steckt. Ein luftig drapierter Vorhang ist fast zu einem Rund gezogen und gibt den Tänzern nicht viel Platz. An ihm dran hängen lange Glitzerfransen und Glühlämpchen. Auch das ist eher ein Glücksversprechen als echtes Glück. Das ist eine Bühne, sei ein Star!
Helena Waldmann schaut in ihren oft gefeierten Stücken unserer Gesellschaft auf die Finger. Sie hat mit Frauen aus dem Iran gearbeitet, und im vergangenen Jahr ein Stück über Demenz auf die Bühne gebracht. Die Ironie mit der die Choreografin ihr neues Stück inszeniert ist schön. Auch gut, dass sie auf jegliche Symbole verzichtet und auf alles Theatrale. Dennoch bleibt am Ende der schale Eindruck, dass sie ums echte Glück drumherum tanzen lässt. Aber vielleicht ist das die Erkenntnis den Abends, denn was ist schon echtes Glück?
Anna Pataczek, Frühkritik rbb inforadio 16.12.2011
HELENA WALDMANN INSZENIERT IN BERLIN EIN GLÜCKSSUCHER-QUARTETT
In der Bonner Republik war die Ado-Gardine - 'die mit der Goldkante!' - der Inbegriff häuslichen Glücks: kein ordinärer Volant, sondern Ausdruck bürgerlicher Schutz- und Trutzmentalität. Zwanzig Meter goldene Ado-Gardinen, als publikumsseitig geraffte Manege arrangiert, begrenzen Helena Waldmanns 'GlückStück' im Berliner Radialsystem. Die vier Herrschaften, die hier ins Varieté ihrer Privatobsessionen laden, sind jedoch bei lebendigem Leib begraben. Vor lauter Glückssucherei verpassen sie den entscheidenden Augenblick, und deshalb verdüstert sich das lamettaselige Ambiente allmählich zur anthrazitfarbenen Sargauskleidung.
Die Berliner Choreographin Helena Waldmann hat vielen Kollegen eins voraus: Statt Steckenpferde zu Tode zu reiten, holt sie für jedes Stück einen neuen Gaul aus dem Themenstall und lässt ihn über den Zeitgeist-Parcours galoppieren. Von der Demenz ('revolver besorgen', 2010) ist sie umgehend zu jenen Glückshürden gewechselt, über die uns unzählige Ratgeber-Autoren zu hieven versuchen - meist vergeblich. Nach Waldmanns Lesart gibt es für diese Blockade eine simple Erklärung: Wer in steter Nach- oder Vorlust schwelgt, verbringt das Leben im Wartestand, bis er emotional skelettiert ins Grab sinkt.
Eine Frau und drei Männer trudeln wie einst Ginger Rogers und Fred Astaire durch die Arena und treiben den Herzschlag des Wohlgefühls ans Hochfrequenz-Limit. Aber Technicolor-Showbiz war vorvorgestern, und alle weiteren affektbetonten Versprechungen - 'Freiheit, Wut, Tod' - lassen auf sich warten.
Im Niemandsland zwischen Vergangenheit und Zukunft fällt das Quartett (als Statthalter der Gesellschaft) auseinander, weil die Momente wechselseitiger Wahrnehmung und gemeinsamer Schwingung auf Millisekunden schrumpfen. Jeder seines Glückes Schmied? Heißt hier: den kollektiven Glückssargnagel schmieden.
Dorion Weickmann, Süddeutsche Zeitung 17.12.2011
MANEGE DER HOFFNUNGEN
Eine kleine Manege steht auf der Bühne des Radialsystems. Mit dem goldbesetzten Vorhang, den Lamettafransen sieht sie aus wie eine riesige Weihnachtgeschenkschatulle. Vielleicht hat Helena Waldmann ihr neues Stück tatsächlich als ein Geschenk an die vom Adventshopping gestressten Zuschauer gedacht. Zuletzt sorgte sie mit „Revolver besorgen“, einem Stück über Demenz und Vergessen, für Diskussion. In „GlückStück“ legt sie zunächst eine unverschämte Leichtigkeit an den Tag. Doch der Ausgangspunkt der Choreografie war die Überlegung, warum sich in dieser Wohlstandsgesellschaft so viele Menschen „irgendwie tot“ fühlen. Einen „existenziellen Mangel an Lebendigkeit“ diagnostiziert der Philosoph Peter Strasser – das ist die Krankheit unserer Zeit.
Durchs Manegenrund traben keine bemalten Clowns, keine dressierten Ponys, vier Tänzer schlagen hier ihre Kapriolen. André Soarez stürmt als erster über das Treppchen, wie durch Knopfdruck erscheint ein breites Lächeln auf seinem Gesicht. Sie müssen ausdauernd ins Publikum lächeln, die Tänzer, die hier zu wahren Heiterkeitsathleten werden. Zu Beginn der Proben hat Waldmann ihre Darsteller gefragt: „Macht Tanzen glücklich? Und wenn ja, warum erscheint der Tanz auf der Bühne so viel unglücklicher als in einem Ballsaal?“
Von DJ Jayrope hat Waldmann sich dann einen Soundtrack mit Swingmusik zusammenstellen lassen, überwiegend Bigbandsounds, aber auch recht skurrile Nummern. Von Elvis kommt das geheime Motto des Abends: „A little less conversation, a little more action.“ Was soll das ganze Gegrübel? Besser die Beine in die Hand nehmen! Die Choreografie lehnt sich bei Tänzen aus den dreißiger und vierziger Jahren an. Und so steppen und schieben und gleiten die Tänzer über die Bühne, machen X- und O-Beine, springen in einen angetäuschten Spagat, schlagen ein Rad. Bei den Tap-Dance-Andeutungen denkt man an die amerikanischen Filmrevuen mit Fred Astaire und Ginger Rogers zurück – und wird ein bisschen wehmütig. Denn Waldmann lässt nur minimalistische Varianten mit simpelsten Schritten zu, die rhythmisch oft nicht richtig zünden. Zur Swing-Seligkeit reicht es nicht. Zwar hat der Abend manchmal die Ausgelassenheit eines Kindergeburtstages. Doch das Vergnügen wird eingetrübt, mitunter wirken die Tänzer wie gedrosselt. Nur das Glück des befreiten Körpers, der alle Disziplinierung abschüttelt, vor Augen zu führen – so einfach macht Waldmann es sich nicht. Sie setzt sich auch kritisch mit all den eilfertigen Glücksversprechen auseinander, mit denen wir tagtäglich bombardiert werden.
„Das Glück kommt in 10 Minuten“, steht anfangs auf einer Leinwand zu lesen. Das Dauergrinsen verzerrt sich bei den Vieren schon mal zur Fratze. Der feinnervige Koreaner Moo Kim verfällt in einen Zittertanz. Und die steppende Brit Rodemund rutscht auf dem Frohsinnsparkett aus, rappelt sich aber wieder auf, um ins Happy End zu gleiten. Alle steigern sich schließlich in eine stumme Wut oder schlottern mit den Knien, was fast schon wieder lustig ist.
Letztlich tanzen André Soares, Brit Rodemund, Moo Kim und Tobias Draeger gegen die Angst vor dem Tod an. Wir verpassen das Glück, wenn wir ihm verzweifelt hinterherlaufen – will uns Waldmann sagen. Ihren furchtlosen Entertainern sieht man aber mit Vergnügen zu.
Sandra Luzina, Der Tagesspiegel, 17.12.2011
AUF DER SUCHE NACH DEM GLÜCK
Wo das Glück beginnt, endet die Kunst. Das ist auch in Helena Waldmanns "GlückStück" nicht anders.Die Choreografin widmet sich einem sehr kunstfernen Thema und macht sich in ihrer neuen Tanzperformance auf die Suche nach dem Glück.
Die Kunst endet dort, wo das Glück beginnt. Meistens jedenfalls. Kein Mensch dreht einen Film über das Happy End hinaus; die Theater- und Tanzbühnen der Welt sind seit Jahrhunderten bevölkert von Liebe, Tod, Tragik - und Unglück. Aber Glück? Ganz selten.
Glittervorhang, kleine Treppe, Spotlight: die vier Tänzer - drei Männer und eine Frau - suchen ihr Glück in der Show, im Rampenlicht, in der Aufmerksamkeit anderer, mitunter auch in der Gemeinsamkeit im Tanz. Sie swingen, steppen und twisten, schwingen die schmalen Hüften und werfen sich in Pose. Eine große Entertainmentnummer mit Anleihen an die Formen von Revue, Zirkus und Kirmes. Wenn Glück Lebendigsein bedeutet, dann kommen die Tänzer ihm ganz nah. Ihre Dynamik ist umwerfend. Vor allem die drei Männer Moo Kim, Tobias Draeger und André Soares, der in seiner Expressivität ein bisschen an Klaus Kinski erinnert, lassen ihre Energien nur so hin und her fliegen.
Dass sie bei alledem dennoch nicht glücklich sind, erkennt man bald: Im lässigen Schritt-vor-Schritt-zurück macht sich irgendwann Anspannung bemerkbar. Das Lächeln friert ein, Zähne werden zusammengebissen. Strahlende Gesichter erstarren. Der Kopf wippt im Takt der Musik, bis es schmerzt. Immer weiter wird getanzt, doch ohne Leichtigkeit. Etwas Angestrengtes, ja Gequältes, mitunter sogar Bitteres, Erschöpftes und Leeres scheint immer stärker auf.
Das Glück ist ambivalent, keine Frage und die Suche danach gleicht einer Jagd, die in Verzweiflung enden kann. Oder gar im Tod.
Elisabeth Nehring, Dradio -Kultur, 17.12.2011
GLÜCKSSUCHER
Das Thema Glück in den Mittelpunkt eines Stückes zu stellen, steigert fast automatisch die Erwartungshaltung, handelt es sich doch um eine existenzielle Lebenszutat. Freudig-gespannt wirkt auch das Publikum im RADIALSYSTEM V, als es von einem festlich glitzernden Miniatur-Zirkuszelt und heiterer Hintergrundmusik empfangen wird. Einen Raum der augenzwinkernden Verheißung hat man hier errichtet, scheint die Botschaft zu sein. Als Erster steigt André Soares zu Richard Strauss´ Monumentalmusik „Also sprach Zarathustra“ von der Showtreppe, reckt die Arme nach oben und überzieht sein Gesicht mit einem Freudestrahlen. Tobias M. Draeger gesellt sich zu ihm und beide schieben und wippen zu Swingmusik über die Bühne. Moo Kim und Brit Rodemund machen schließlich die Mannschaft der Glückssucher komplett. Und schnell wird klar: Mit dem Glück ist es so eine Sache. Während die vier vorn Ausgelassenheit vorführen, erscheinen hinten auf dem Vorhang Kommentare wie „Das Glück kommt in zehn Minuten.“ oder „Der Tod tritt in zehn Minuten ein.“ Die Choreografin Helena Waldmann bezieht sich auf Adorno, der sagte, dass Glück sich erst am aufgehobenen Leid entfalte. Wer nie unglücklich ist, kann auch kein Glück empfinden. Und so geben die Performer die gutgelaunten Spielbälle, die zwischen den beiden Polen hin- und herfliegen. Mal springen sie in grotesker Synchronie in den Spagat, mal lösen sie sich zu furiosen Soli heraus, wie Moo Kim, der sich zu „A little less conversation“ von Elvis Presley die Seele aus dem Leib tanzt. Grimassieren, irres Lachen und wild zuckende Körperteile stehen wohl für den normalen Wahnsinn, den man Leben nennt. Das Bühnenbild ist bei dieser Glücksschau Vorteil und Beschränkung zugleich: Eine Manege lässt sich immer auch zu einem surrealen Panoptikum stilisieren, zu einem Ort, an dem Zuspitzungen aller Art erlaubt sind. Leider führt der zirzensische Kontext auch dazu, dass das Stück stellenweise wie eine Nummernrevue daherkommt. Doch die Akteure sind hervorragende Darsteller, die das Ganze bis zum Ende tragen. Glücklicherweise!
Annett Jaensch, tanzpresse.de 20.12.2011
GLÜCKSTÜCK VON HELENA WALDMANN
In dem neuen Tanzstück von Helena Waldmann thematisiert sie das alltägliche Glücksempfinden und überzieht es ins Unermessliche indem sie dem Glück eine passende Bühne schenkt. Eine prunkvolle Manege voll Feierlichkeit. Nach dem Motto “Ein bisschen Wahnsinn tut immer gut” lässt die Tanzregisseurin ihr vier Protagonisten die „Ups and Downs” einer Emotions-Achterbahnfahrt durchleben mit an Irrsinn grenzender Schonungslosigkeit. In Überschriften aufgegliedert wird zeitlich versetzt die darauf folgende Gemütsbewegung auf die Minute genau angekündigt. Dabei handelt es sich um eine ganze Bandbreite von extremen Gefühlen zwischen katastrophalste Abstürze und eindrucksvollen Höhenflügen. Ein atemberaubender André Soares, der dem jungen Kinski erschreckend ähnelt und sich mit rollenden Augen wahnsinnig in Rage tanzt, verrückt und umwerfend komisch, ein sehr beherrschter Moo Kim, der während des Stücks immer mehr seine Fasson verliert und am Ende total entgleist, sowie ein sehr natürlicher und in seiner Ehrlichkeit eindrucksvoller Tobias M. Draeger und „last but not least” die extrem souveräne Steptänzerin Brit Rodemund verwandeln die Darbietung in ein ausgesprochenes Glückstück.
dance-unity.com 5.1.2012