HELENA WALDMANN
PRESSESTIMMEN
BILDHAFT WIE EIN EXPRESSIONISTISCHES GEMÄLDE
In der achten Choreografie des Tanztheater Ensembles Viladança, Headhunters, die
noch bis morgen im Vila Velha Theater (Passeio Público) im Programm sein wird,
ist nichts so, wie man es vom natürlichen Lauf der Dinge erwarten würde. Es gibt
immer wieder einen harten Schnitt, einen unerwarteten Neubeginn, ein
fürchterliches Klapprasiermesser, welches die ganze Zeit die Personen im Stück
bedroht und den Blick des Zuschauers hypnotisiert.
Dies beweist, dass die von den Choreografinnen Cristina Castro und Helena
Waldmann (Deutschland) unternommene Bearbeitung des Themas, deren
Ausgangspunkt die symbolische Darstellung der Haare war, die Grundidee von
Schnitten und Verlust als Metapher für das menschliche Leben, gelungen ist. Das
Gefühl der Unvollkommenheit zieht sich durch das ganze Stück.
Headhunters verrät eine deutliche Annäherung an die bildenden Künste, die bei der
abwechslungsreichen Kostümen Adriana Hitomis, bei dem gleichermaßen
interessanten, von den Choreografinnen entworfenen Bühnenbild, sowie bei der
kreativen Lichtregie Fábio Espirito Santos und Herbert Cybuskas sichtbar wird.
Eigentlich würde der Verdienst des technischen Gelingens des Werkes als Ganzem
noch über einem Dutzend weiterer Namen gebühren, deren Mitwirkung, wie
deutlich zu merken war, bei dem Schaffensprozess unerlässlich war, deren
Aufzählung jedoch den Rahmen einer einfachen Rezension sprengen würden.Von
der Vorbearbeitung des Themas, bis hin zu der Tonregie bemerkt man eine
vollständige Verwobenheit von Bild / Ton / ästhetischem Entwurf. Es ist
beispielweise schwierig zu unterscheiden, wodurch bei der Beleuchtung die
Bewegung suggeriert wird, oder was bei einer Szene vom Bühnenbild herrührt. Der
Übergang zwischen Video und Tanz ist von einer seltenen Subtilität - was
normalerweise für Stücke dieses Genres eine Herausforderung darstellt.
Die fragmentierten, für kurze Momente synchronen Bewegungen, beweisen eine
gute Beherrschung der Elemente des Tanztheaters seitens der Choreografinnen,
welche der noch ungleichmäßigen Darstellung des Ensembles (Bárbara Bárbara,
Clênio Magalhães, Danilo Bracchi, Jairson Bispo, Leandro de Oliveira, Sérgio Diaz,
Maitê Soares und Yu Kamishigue) Qualität verleiht.
Ein bewegendes Werk ausdrucksreicher Bilder und eines ununterbrochenen und
eindringlichen Rhythmus.
Sandro Lobo Correio da Bahia, 25.10.2003
"HEADHUNTERS" - EIN RICHTIGES THEATERSPEKTAKEL
Noch während des Einlasses fällt unser Blick auf eine Leinwand vor dem
Bühnenvorhang, auf der Menschen zu sehen sind, die sich beim Frisör vor dem
Spiegel zurechtzupfen und rupfen, um sich selbst zu gefallen. Wenn sich der
Vorhang hebt, wirft ein Spot von hinten den Kopf eines Tänzers als Schatten auf die
Leinwand, wo er einem Avatar gleich, als Platzhalter für die Gesichter auf den
Videofilmen dient, die auf ihn projiziert werden. Doch plötzlich wird die Leinwand
zerstört. Eine Schere zerfetzt das Papier und mit ihm die Gesichter und Identitäten
der Menschen, die eben noch friedlich beim Frisör saßen.
Ums Schneiden geht es viel in Headhunters", Helena Waldmanns neuem Stück,
auch ums Abschneiden alter Zöpfe, denn die Szenen mit der Leinwand, deren
Rahmen mit üppigen Federn verziert ist, sind nahezu die einzigen Momente, die an
Waldmanns frühere Stücke anknüpfen.
Die Berliner Regisseurin und Choreographin hat ihr Stück im brasilianischen
Salvador de Bahia mit der dort ansässigen Companhia Villadança und deren
Leiterin Cristina Castro erarbeitet - eine Begegnung, die sie wohl heraus geführt hat
aus ihrem kontrollierten Spiel mit der Optik der Zuschauer. Statt die Bühne wie in
Glücksjohnny" oder Vodka Konkav" auf Leinwandformat zu verflachen, nutzt sie
sie diesmal in ihrer ganzen räumliche Tiefe souverän aus und inszeniert eine Art
Ritual, das die Körper der Tänzer nicht nur als Bild auf der Netzhaut der Zuschauer
erscheinen läßt, sondern auch deren Körperlichkeit ins Spiel bringt. Mit
tranceartigen Schüttelbewegungen erheben sich vier der acht Tänzer und
Tänzerinnen auf der Bühne des Burghofs in Lörrach, wo das Stück uraufgeführt
wurde, allmählich vom Boden, ein riesiges Bündel Haare als Symbol erwachsender
Stärke und Potenz zwischen die Beine geklemmt. Auf der linken Bühnenhälfte
hängt eine Figur mit einem grünen Tutu-ähnlichen Rock an einem Seil, das sich als
Strähne einer unbändigen Mähne eines Mannes entpuppt, der unter ihr auf dem
Boden liegt. Spreizt sie eben noch ihre Beine in der Luft wie eine Schere, wird sie
ihm später die Haare vom Kopf reißen so wie einst Delila Samson mit der Schere
kastriert hat.
Steine fliegen durch die Luft, Scheren werden unter Funkenflug geschliffen und
schnappen im Rhythmus auf und zu. Ein abgeschnittener Kopf mit heraushängender
Zunge baumelt vom Schnürboden, eine Tänzerin trägt eine riesige Perücke aus
farblich changierenden Fäden auf dem Kopf. Manchmal unterteilt Herbert
Cybulskas Lichtregie die Bühne in drei Zonen, so daß ganz plötzlich
Tänzerformationen vor uns auftauchen, um genau so plötzlich wieder von der
Dunkelheit verschluckt zu werden. Die Musik von Muslimgauze und Ubaka Hill,
die das einstündige Stück ununterbrochen vorantreibt, spielt mit industriellem Krach
ebenso wie mit Trommeln, mit verfremdeten Stimmen und wummernden Bässen,
die den Boden des Theaters vibrieren lassen. Zum Schluß wachsen die Haarstränge
baumhoch in den Bühnenhimmel und verwandeln die Szene in ein Dickicht aus
Fäden und Seilen, in dem sich die Tänzer ebenso verfangen und verstricken wie die
Blicke der Zuschauer.
Headhunters" versetzt uns in Staunen und überrascht uns mit Bildern.
Die Verbindung zwischen dem Haareschneiden und dem Beschneiden persönlicher
Freiheiten, wie es Helena Waldmann in einem Interview vor der Premiere
angekündigt hat, löst das Stück allerdings nicht ein. Das freiwillige Haarelassen, um
ein bestimmtes Selbstbild zu schaffen, und das unfreiwillige sich Fügen in
gesellschaftliche Zwänge wird auf der Bühne kaum sinnfällig. Nur einmal spielt das
Stück darauf an, wenn vier Tänzer mit dem Rücken zum Publikum an der Rampe
stehen und ihre Zungen herausstrecken, die kurz darauf abgeschnitten zu Boden
fallen.
Auch in diesem Sinn ist Headhunters" ein richtiges Theaterspektakel geworden:
Grand Guignol und archaisches Maskenspiel mit allen Mitteln des Theaters.
Gerald Siegmund ballet-tanz 11/2003
DAS AUFBEGEHREN IM TANZ GEGEN DIE NORM
Beinahe leitmotivisch taucht da auf Ebene 1 in einem Bildschirm immer wieder ein Kopf auf, der im Frisörsalon beschnitten und in Form gebracht wird. Auf größerer Ebene, auf riesiger Bühne, in die starke Seile herabhängen, tummeln sich Wesen, die animalische Züge tragen, zuweilen gesichtslos sind und sich in kleinen Gruppen sammeln. Das Geschehen ist von brasilianischen Trommelrhythmen unterlegt und gewinnt beinahe kultischen Charakter.
Es ähnelt einem wütenden Aufbegehren gegen Gewalt, die von außen kommt, aufgeregt, lebhaft, sinnlich und aggressiv. Haartracht, überriesig, schillernd, überlang scheint immer gefährdet, ist bedroht von denen, die daran reißen oder von Riesenscheren abgeschnitten zu werden. Alles vibriert vor wuchtig starke Bildern, mit raffinierter Licht- und Farbwahl eigentümlich und faszinierend zugleich. In tragikomischen Tanzszenen wird festgestellt: Die Wesen sind zwar von einer unglaublichen Vitalität, aber deren Lebendigkeit scheint in Gefahr, ihre Erotik befremdend und reduziert. Stärkstes Bild am Ende, wie eine der Figuren von einem Seil von ganz oben herab den anderen Vorgaben macht, wie sie sich zu bewegen haben. Sie gehorchen, lautlos und stumm, in beklemmender Fremdbestimmung gefangen - obwohl sie zuvor in überschäumender Bewegung explodiert waren.
Die Parabel über den Umgang mit eigener Ursprünglichkeit lässt vieles offen, Bilder fallen kraftvoll ins Publikum, intensiv und verstörend. Sie wollen Auseinandersetzung und stellen Fragen nach menschlicher Identität und Lebensweise.
Oberbadisches Volksblatt 13.9.03