HELENA WALDMANN
PRESSESTIMMEN
PEITSCHENSCHLAG UND FUNKENKNALL
„We love Horses“ hat Helena Waldmann ihr Ausnahmestück für Gauthier Dance überschrieben. Ausnahme deshalb, weil– so betonte Eric Gauthier in seiner launigen Ansprache – sich die Berliner Theaterfrau normalerweise nicht auf 15 Minuten be¬schränkt, um ihren gesellschaftskritischen Themen einen körperlichen Ausdruck zu verschaffen. Tatsächlich erschließt sich dieses Mal die tieferliegende Dimension ihrer wuchtig¬lauten Arbeit nur durch einen Blick ins Programmheft. Dass die peitschenschwingende Lady in Black quasi als moderne Justitia mit jedem Knall ein neues Gesetz erlässt und der Freiheit im-mer engere Grenzen setzt, ist ohne Begleittext nicht zu ver¬stehen. Wohl aber, dass sich die Protagonisten¬-Meute der durch Bein¬Apparaturen übergroßen Domina unter¬ wirft und geradezu danach giert, ihre durch fleischfarbene Attrappen vergrößerten Hintern auf Kommando vib¬rieren zu lassen: die erzwungene Qual als willkommene Lust.
Mit Anleihen aus der BDSM¬Szene und effektvollen Lichtwechseln zeigt Wald-mann in „We love Horses“ einen kollekti¬ ven Gehorsam, der unter der Maske der Disziplin auch im Ballettsaal herrscht. So lässt sich eine an Fußsohlen und Finger¬spitzen tippende Gerte als Korrekturstock eines Ballettmeisters interpretieren. Sol¬che doppelten Lesarten bieten sich jedoch selten an. Und so stakst das kompromisslos und powervoll dargebotene Werk dann letztlich auf der Stelle.
Stuttgarter Zeitung, Julia Lutzeyer, 14.7.2018
GETANZTE ENERGIE
Die peitschende Domina und ihre fünf willfährigen Opfer sind der Schocker im neuen vierteiligen Tanzabend von Gauthier Dance im Theaterhaus. „Grandes Dames“ ist der Ballettabend betitelt, doch nicht diese herrschsüchtige Domina ist eine von ihnen, sondern die Erfinderin des Stücks, Helena Waldmann. Sie ist eine von das vier Choreografinnen, denen Eric Gauthier mit seiner Truppe Reverenz erweist.
Die Choreografin, die in ihren Stücken immer wieder brisante gesellschaftspolitische Themen aufgreift, konfrontiert hier nicht ohne Witz Macht und Ohnmacht auf plakative Weise. Anneleen Dedroog lässt im Scheinwerferspot auf stelzenartigen High Heels unbarmherzig die Peitsche knallen, ihre Opfer wechseln mit ihren plastik-vergrößerten Hintern zum Publikum hechelnd von einer Sadomaso-Position zur nächsten. Eine (Anna Süheyla Harms) wagt aufzubegehren und will selbst das Kommando übernehmen, wird aber von der Domina extra gedemütigt – ein schauriger Viertelstünder mit Anklängen an Pasolinis „120 Tage von Sodom“.
Ludwigsburger Kreiszeitung, Dietholf Zerweck, 17. 7. 2018
SPRING, PFERDCHEN
Die zweite Choreografin, die Gauthier für seinen „Grandes Dames“-Abend gewinnen konnte, ist eine aus der Handvoll deutscher Tanzschöpferinnen von Belang: Helena Waldmann. Sie ist so wandlungsreich wie dezidiert politisch, hat mit Iranerinnen, in deren Heimat kein Tanz erlaubt ist, ein Tanzstück im raffinierten Schutz von Ein-Frau-Zelten erarbeitet („Letters from Tentland“), hat das Schicksal von Textilarbeiterinnen in Bangladesch in einem Tanztheaterstück verhandelt, packte in „BurkaBondage“ die islamische Bekleidung in Beziehung zu japanischer Sex-Verschnürung.
Unerwartet gibt es in „We Love Horses“ – Thema laut Programm: die deutsche Lust am Gesetz und am Parieren – fünf Zirkuspferdchen mit wippender Fasanenfeder und prallem Kunststoffhinterteil, außerdem eine Domina auf Stelzen, die eine Peitsche schwingt und ohrenbetäubend knallen lässt. Viel Ansporn brauchen die Pferdemenschen nicht, gern dressieren und reiten sie sich auch gegenseitig, lassen den Kollegen herrisch im Kreis gehen, stehen auf seinem Rücken oder befehlen ihm, höher und noch höher zu springen (über Gesetzeshürden?). Waldmann liebt die Drastik, „We Love Horses“ spricht eine eindeutige, schräge, oft sexuell konnotierte Bewegungssprache.
Frankfurter Rundschau, Sylvia Staude, 20.7.2018
Lautes Peitschenknallen: Pferdebeinartige, gefährlich hohe Stelzen machen aus der Tänzerin Anneleen Dedroog eine unerbittliche Leder-Domina. Fünf halbnackte Opfer schütteln uns in Helena Waldmanns «We Love Horses» ausladende Plastikpferdehintern ins Gesicht, auf ihren Köpfen wippen überlange Zirkusfedern. Mit krassen, eindrücklichen Bildern blendet die Tanzregisseurin Bewegungsmuster von Dressurreiten, Sado-Maso und Ballettsaal ineinander. Der Mensch genießt das Gehorchen, ja sogar das Gequältwerden mindestens genauso wie das Befehlen, gelungener Zirkustrick und Orgasmus fallen in eins. Erst am Ende der heftigen Bilder ertönt ein kollektiver Schrei.
Angela Reinhard Tanz 10/18
We love Horses raises the awkward questions we expect from a work by Helena Waldmann. Acknowledging the human propensity to be tamed and domesticated she makes a fervent plea for more bad behaviour. The ‘taming’ is conducted by magnificent dominatrix, Anneleen Dedroog, aided by a fearsome whip which she cracks with relish. Her height is increased by wildly exaggerated platform boots giving an almost equine look to her legs and, of course, the regulatory corseted body. But in the manner of the brazen sexuality of ancient Greek satiric drama there is enjoyment in the ‘pleasure, with pain for leaven’ to quote Victorian poet Algernon Charles Swinburne, an aficionado of such sports, as a row of plumped up pink buttocks jiggle in anticipation.
Conformity in modern society more often reveals a grey, inhibited and chilling aspect but delivered as a rambunctious antisocial romp it made an intriguing theatre spectacle. This was rebellious conformity to the cracking of the whip, a delight in subjugation acknowledged in the tremulous plumes emanating from the bald caps in Judith Adam’s inventive costumes.
Maggie Foyer, July 19, 2018 In: Europe, Reviews
VON FRAUEN FÜR FRAUEN
Das sei doch gar nicht schön, das sei doch so hässlich, ruft eine Zuschauerin in den Saal, als sich gerade für einen Moment Stille einstellt in der ansonsten von kräftigen Beats des Komponisten jayrope unterlegten Arbeit von Helena Waldmann mit dem Titel „We Love Horses“. Recht hat die empörte Dame, denn die Berliner Choreografin und Tanzregisseurin hat sich nie um den 'schönen' Tanz gekümmert. Sie bringt in immer neuen Varianten genau das auf die Tanzbühne, was ganz und gar nicht schön ist in der Wirklichkeit.
Diesmal lässt sie die Peitsche knallen. Die Tänzerin Anneleen Dedroog als Domina auf hohen Stelzen wie ein lüsterner Satyr macht drei ihrer Kolleginnen und zwei Kollegen zu regelrecht kadavargehorsamen Zirkustieren wie Pferde in der Manege mit wippenden Federn auf den Köpfen und einem breiten Hintern dieser in die Unnatürlichkeit gepeitschten Wesen im Kostümdesign von Judith Adam. Die Dressur des Alltags, der sich Menschen willig hingeben, weil ja angeblich Ordnung sein müsse, wo kämen wir denn hin, wenn sich jeder und jede nach ihrer oder seiner Facon bewegte. Nein, wir brauchen sie, die Peitsche des Gesetzes, der Ordnungen, der Unterdrückung der Persönlichkeit, der wir uns wie dressierte Pferde untergeben. Nein, schön ist das nicht anzusehen wenn die dressierten Wesen genau auf den Knall der Peitsche ihre Hintern schwingen, wenn sie sich in genormten, sexuellen Praktiken ganz ohne Poesie und Zärtlichkeit einer ganz und gar nicht tierischen Lust hingeben und sich mit den Häppchen lähmender Zuckerbrot-Ideologien abspeisen lassen. Ja, das ist hässlich. Das tut auch weh, und davon angewidert zu sein, darauf entsetzt zu reagieren, das wäre vielleicht ein erster Schritt in die Freiheit außerhalb der Manegen mit ihren Begrenzungen und Ausgrenzungen, mit denen wir meinen alles, was fremd ist, was uns wild erscheint, bannen zu können.
Tanznetz, 24.07.2018, Boris Michael Gruhl