HELENA WALDMANN
PRESSESTIMMEN
In Helena Waldmanns Tanztheater „Der Eindringling – eine Autopsie“ geht es um das Fremde und darum, wie Menschen sich dagegen abzuschotten versuchen. Gezeigt werden Maßnahmen, die zuerst nur nach außen wirken, sich später aber auch nach innen richten und am Ende genau das, was man glaubte, schützen zu müssen, im Keim ersticken.
Das Publikum im Pumpenhaus nimmt den japanischen Tänzer Ichiro Sugae als harmlosen jungen Mann wahr, der in unbeschwerten Ballettschritten über die Bühne hüpft. Für seine Kollegen Tillmann Becker und Mattia Saracino scheint er aber eine Bedrohung darzustellen. Wie Messpunkte eines Radarsystems verfolgen sie seine Position, bis einer von ihnen auf die Bühne springt und den Eindringling mit einem Fußtritt zu Fall bringt. Ihn gewissermaßen erlegt. In einer anderen Szene werden sie ihn mit Hightech-Waffen bedrohen und ihm zu verstehen geben, dass er nicht erwünscht sei.
In Helena Waldmanns Tanztheater „Der Eindringling – eine Autopsie“ geht es um das Fremde und darum, wie Menschen sich dagegen abzuschotten versuchen. Gezeigt werden Maßnahmen, die zuerst nur nach außen wirken, sich später aber auch nach innen richten und am Ende genau das, was man glaubte, schützen zu müssen, im Keim ersticken.
Bei der tänzerischen Umsetzung greift die Berliner Choreographin auf Elemente des chinesischen Kampfsports Kung Fu zurück, bei dem es weniger darum geht, den Gegner zu vernichten als ihn kennenzulernen. Allerdings scheint sich dieser Gedanke bei den Protagonisten nicht durchzusetzen. Statt das Fremde an sich heranzulassen, schützen sie sich mit Schlagkissen, Helmen und gepolsterten Handschuhen, bis sie so unbeweglich sind, dass sie sich kaum noch bewegen können.
Auf diese Weise entstehen aussagekräftige Bilder von mitunter grotesker Komik. Beispielsweise wenn zwei Tänzer sich zu einem Tango aufstellen und sich dabei derart aufpolstern, dass ihre Darbietung jeglicher Eleganz, geschweige denn Erotik entbehrt.
Helmut Jasny, Westfälische Nachrichten 28.11.2019
«DER EINDRINGLING. EINE AUTOPSIE»
Helena Waldmann reist viel und schaut der Gesellschaft gerne in die Seele. Und so ist ihr neues, in Ludwigshafen uraufgeführtes Stück «Der Eindringling. Eine Autopsie» eine Reise ins Innerste des Menschen, in den Kern unserer (derzeitigen) Befindlichkeiten. Eine Stunde lang sind wir aufgefordert, uns selbst zu betrachten, eine Autopsie an uns selbst durchzuführen, mit eigenen Augen auf uns und in uns hineinzuschauen.
Es geht um die Angst, die Angst vor Eindringlingen – in unseren Körper, in unsere Gesellschaft. Und unsere desperaten Versuche, uns vor ihnen zu schützen, sie abzuwehren, von uns fernzuhalten. Auf tragikomische Weise zeigt das Stück, dass unser übersteigertes Bedürfnis nach Schutz in die komplette Schutzlosigkeit führt.
In schneller Abfolge finden brutale, erotische, komische «Meetings» statt, in denen sich die drei Tänzer und Performer Tillmann Becker, Mattia Satacino und Ichiro Sugae angreifen und verteidigen. Als tänzerische Grundlage bedient sich Waldmann der chinesischen Kampfsportart Kung Fu und deren Philosophie: den Gegner nicht vernichten, sondern kennenlernen und an ihm wachsen. Begleitet werden die «Meetings» vom Vokalisten Telmo Branco und Musikfragmenten unterschiedlichster Stile. Zu Beginn ertönt Barockmusik, untermalt eine Ballett-Persiflage. Der Balletttänzer wird im Handumdrehen von einem Kung-Fu-Kämpfer zu Fall gebracht. Cut! Nächste Szene: Ein Mann, nennen wir ihn ruhig Eindringling, grüßt mit einem freundlich-schüchternen «Hallo» und wird umgehend niedergeschlagen. Der Angreifer läuft mit einem holografischen Ventilator über die Bühne, auf dem die Wörter «Welcome» – «Selber schuld» – «Eindringling» kreisen.
Eine Hauptrolle spielt die Pratze, ein großer gepolsterter Handschuh, der als Schutz im Kampfsport-Training ebenso verwendet wird wie das Kick-Pad, ein Schlagkissen. Die Kämpfer-Tänzer schützen sich mit immer mehr Pratzen und Kick-Pads, bis sie schließlich nicht nur clownesk wirken, sondern auch nahezu bewegungsunfähig und damit schutzlos sind. Brillant ist eine Szene, in der sich Sugae ein Kick-Pad in der Größe einer Kindermatratze unters Hemd steckt und wie ein Robotermännchen über die Bühne stakst. Als er schließlich in der Waagerechten hinausgetragen wird, sieht es aus, als läge er in einem Sarg. Um Nähe geht es in einer wunderbar-komischen Tango-Szene – aus der sich vor lauter Pratzen jegliche Erotik verflüchtigt. Im Hintergrund wiederholt eine Stimme monoton: «Precaution!» – «Mind your step!» – «Protection!» Unsere (Sehn-)Sucht nach «Überpratzung» nimmt uns alles, in jeder Hinsicht.
Ein starkes, ein großartiges Stück über die Angst vor dem Fremden und ein Appell, gelassener mit vermeintlichen Gefahren umzugehen. Der Körper stirbt, wenn seine Öffnungen verschlossen werden. Waldmann dient er als Metapher für Gesellschaften, die sich verschließen – und glauben, damit sicher zu sein.
Nadja Encke, tanz 7/19
DER EINDRINGLING“ HAT VIELE FACETTEN, THEMEN UND ZWISCHENTÖNE
“Der Eindringling – eine Autopsie” heißt das neue Stück der Berliner Tanzregisseurin Helena Waldmann, die sich international mit ihren zumeist politischen Arbeiten einen Namen gemacht hat.
Helena Waldmann ist eine gute Beobachterin. Mit sicherem Blick analysiert sie gesellschaftliche oder politische Zustände, legt den Finger in die Wunde und fordert den Zuschauer heraus. Der Titel „Eindringling - eine Autopsie “ ist Programm.
Helena Waldmann: „Autopsie heißt erstmal „selber sehen“ und es heißt auch in einen Körper hineinblicken. Ich finde das wichtig, weil wir dazu tendieren, Meinungen zu übernehmen und Bilder, die man uns vorsetzt, als die Wahrheit zu bezeichnen.“
Vier Tänzer performen das neue einstündige Werk, das viele Facetten, Themen und Zwischentöne hat. Der Eindringling wird personifiziert, abstrahiert, kann negative aber auch positive Inhalte transportieren.
Angst und zu viel Schutzmechanismen sind kontraproduktiv, um das zu zeigen tragen die Tänzer zuweilen am ganzen Körper Schaumstoffmatten, bis sie sich nicht mehr bewegen können. Helena Waldmann will mit ihrem Stück „Der Eindringling - eine Autopsie“ auch dazu aufrufen, anders mit Angst umzugehen, persönlich, wie politisch: „Wenn wir im Kindesalter nie gelernt haben mit Gefahr umzugehen, weil wir immer über-beschützt wurden ist das einfach gefährlich. Weil wenn ich im Kleinen nicht gelernt habe zu kämpfen, kann ich, wenn ein großer Angriff kommt, nicht adäquat darauf reagieren, die Gefahr daran zu sterben ist dann tatsächlich groß.“
Nathalie Kurth, SWR 2
KUNG-FU GEGEN DAS FREMDE
Im sozial und politisch engagierten Tanztheater spielt die Tanzregisseurin Helena Waldmann seit mehr als fünfzehn Jahren in einer eigenen Liga. Die Theaterwissenschaftlerin bezeichnet sich selbst nicht als Choreografin. Sie hat im
dramatischen Fach angefangen und das Genre gewechselt, fasziniert von Offenheit und Aktualität der Tanzsparte. Seitdem hat sie mit verschiedenen Körpertechniken und Tanzstilen gearbeitet, immer angepasst an ihre jeweiligen Fragestellungen. Bei der Themenauswahl für ihre Stücke hat sich Helena Waldmann weder von Widerständen noch von gesellschaftlichen Tabus aufhalten lassen. Sie produziert unter internationaler Beobachtung immer mit einem
neuen Team für ein neues Thema.
Die reale Erfahrung einer Autopsie hat sich im Untertitel ihres neuen Stücks „Der Eindringling“ niedergeschlagen. Thematisch geht es um die Abwehr von Fremden. Da wird nicht gefackelt, sondern ein Feuerwerk angezündet: Ihr vierköpfiges Tanzteam ist in Martial Arts ausgebildet. Der Inhalt des einstündigen Stücks besteht zum überwiegenden Teil aus Martial Arts, mit abrupten Wechseln zu Ballett, Hip-Hop, Slapstick und Pantomime. Helena Waldmann ist sichtlich fasziniert von der Abwehrmethode, bei der man sich die Kraft des Gegners zu eigen macht, mit der
Schwerkraft als Komplizin. Judith Adam hat die Protagonisten in zweiteilige Kampfsportanzüge in Beige bis Grau gesteckt: Tillmann Becker, den Tänzer mit indonesischen Wurzeln, den portugiesischen Sänger-Performer Telmo Branco, den Italiener Mattia Saracino den Italiener Mattia Branco und den Japaner Ichiro Sugae.
Mit seiner fast femininen Ausstrahlung verkörpert er nicht nur einen Fremden, sondern alles Fremde, das abgewehrt
werden muss. Schaumstoffpolster und Pratzen dienen mal zum Schutz, mal zur Intensivierung, mal zur Behinderung der Kämpfe. Außerdem spielt ein Handventilator als Scanner, Waffe oder Videoprojektionsfläche mit.
Hier schließt sich der kühne Bogen zum Thema „Autopsie“: Die Videobilder (Anna Saup) tauchen ins Körperinnere ein, auch das ein gewaltsames Eindringen. Die Choreografie beendet ein anderer Eindringling, der eher aus der Spielzeugkiste kommt: eine Riesenkrake. Kein Zweifel, das Stück beeindruckt – vor allem durch die Risikobereitschaft der Tänzer, die plötzlich ausbrechende Gewalt nicht nur vorspielen.
Das Premierenpublikum in Ludwigshafen spendete reichlich Beifall und strömte in hoher Zahl zum Nachgespräch.
Isabelle von Neumann-Cosel, Stuttgarter Nachrichten 12.6.2019
ANGRIFF ODER VERTEIDIGUNG
Gleichzeitig mit einem barocken musikalischen Auftakt springen drei Tänzer ins plötzliche Licht der Bühne. Im abrupten Verstummen der Musik fallen sie zu Boden. Wie einen Angriff aus dem Nichts platziert die Tanzregisseurin Helena Waldmann das erste Szenenbild aus ihrer neuen Produktion „Der Eindringling – eine Autopsie“. Und wie immer ist die choreographische Arbeit von Waldmann motiviert von ihrem Blick auf gesellschaftliche und politische Verhältnisse. Sie geht dabei aber meistens weiter und versucht die Themen ihrer Arbeiten auf einen allgemeineren Nenner zu bringen.
Öffnung ins Unendliche
Inzwischen haben sich in „Der Eindringling“ die Tänzer neu formiert. Als einer der Akteure mit der Hand winkt und „Hallo“ ruft, ist das wieder ein Auftakt in eine neue Situation. Denn jetzt wird gekämpft. Erst folgt der Angriff auf den „Eindringling“, dann seine Verteidigung. Schlag führt zu Gegenschlag, eine Verrenkung folgt auf die nächste. Immer mehr rüsten die Kämpfer auf mit Schutzmitteln aus dem Kampfsport und polstern sich gegen die Schläge.
Waldmann jedoch belässt es nicht beim Kampf allein. Vielmehr wandelt sie unaufhörlich die Sicht auf den „Eindringling“, in dem sie berührende Bilder mit starken Sounds kombiniert. Bald ringt ein Tänzer mit einem vielarmigen Krakenwesen; bald liegt einer nackt unter ihm begraben wie eine organische Masse, in die ein weiterer mit den Händen eintaucht wie bei einer Autopsie. Dazu kommentiert ein Vierter mit lautmalerischem Gesang und öffnet die Bilder und die Sicht auf das Eindringende ins Unendliche.
Nora Abdel Rahman, Mannheimer Morgen 11.6.2019
DAS EINVERLEIBEN DES ANDEREN
Viele würden sich am liebsten verbarrikadieren: gegen Einwanderer zum Beispiel. Oder Viren. Mit dem vermeintlich Bedrohlichen kann man sich aber auch impfen lassen, wie die Tanz-Regisseurin Helena Waldmann im neuen Stück "Der Eindringling" im Pfalzbau zeigt. Dafür hat sie sich von Kung Fu inspirieren
lassen. Ein Kampf-Tanz mit Barockgesang.
Wenn ein Kampfsportler lernen will, so richtig zuzuschlagen, dann schützt sich der Gegner mit einem Schaumstoffpolster, einer Pratze. Man kann es damit allerdings übertreiben: Helena Waldmann panzert einen ihrer vier Tänzer mit so vielen Polstern - am Arm, am Bein, am Rücken, um die Hüfte, am Kopf, dass er
bewegungsunfähig wird. "Total überpratzt, nennen wir das bei den Proben", erzählt die 57-Jährige. "Zu viel Schutz, ist kein Schutz. Unsere Gesellschaft ist sehr gut darin, solche Schutzwälle aufzubauen. Als hätte man am Finger eine Schürfwunde und würde beim Arzt einen Gips verlangen."
Reflexartig sieht man dabei den US-Präsidenten Donald Trump vorm geistigen Auge, der sich eine Mauer gegen Einwanderer wünscht. Die Gedanken schweifen weiter zu Großbritannien, das mit dem Brexit seine Grenzen wieder dicht machen will und landen bei der Alternative für Deutschland, die vor Überfremdung warnt. Die
Berlinerin wird allerdings auch auf dem Spielplatz fündig, wo sie Helikopter-Eltern beobachtet, die ihr Kind mit Helm auf die Rutsche setzen und unten auffangen. "Man muss auch die Chance haben, Gefahr in kleinen Dosen zu erleben. Wenn man das Fremde oder den Angreifer kennt, kann man besser damit umgehen."
Genau genommen beschreibt die Tanzregisseurin damit die Wirkweise des Impfens, und tatsächlich spannt sie in ihrem Stück, den Bogen vom Politischen zum Medizinischen, vom Staat zum Körper und vom Kampfsport zum Ballett und Barockgesang.
Provokant und vielschichtig sind die Werke der Tanzregisseurin meist: für das Prinzip aus Angriff und Verteidigung wählt sie den chinesischen Kampfsport Wing Tsun-Kung, daran interessiert sie vor allem, wie er die Energie des Gegners nutzt, und beide dadurch stärker werden. "Der Gegner ist nicht mehr etwas Negatives. Man muss ihn nur kennen."
Wenn der andere einverleibt wird, wenn einer in den Körper des anderen hineinzufassen scheint, dann hat das etwas Schockierendes, aber auch Erotisches. "Der Beischlaf ist ja auch ein Eindringen und eine schöne Einverleibung des Fremden", sagt Waldmann. So entstehen Kinder, und das kann man auch wieder auf
Nationen übertragen: "Um Inzucht zu vermeiden, braucht man möglichst fremden Samen. Der Körper und der Staat müssen sich öffnen, um zu überleben."
Antje Landmann, Die Rheinpfalz 24.5.2019