HELENA WALDMANN
PRESSESTIMMEN
DAS GRINSEN AM FUSS DER LEITER
CheshireCat ist ein Spiel mit der Wahrnehmung und ihren Bildern, die nie das sind, wofür wir sie halten. So schließen wir von dem schwebenden Mund der Katze auf deren Anwesenheit, obwohl wir sie nicht sehen, glauben an die Dreidimen-sionalität von Gegenständen, obwohl wir stets nur perspektivisch verkürzte An-sichten auf Dinge haben. Wenn auf der bildspeichernden Wand die Schattenbilder von Chris Ho Chau Wah gespenstisch stehen bleiben, während die Tänzerin sich längst weiter bewegt, hat sich das Abbild in Zeit und Raum gänzlich von seinem Original adgelöst. Die im Spiegel gebrochenen Videobilder schatten sich ab und ver-schmelzen zu einer Totalität, die stets nur im Auge des Betrachters ihren Fluchtpunkt findet.
Gerald Siegmund, Ballett International/Tanz Aktuell 7/99
MIT DEM EIGENEN SCHATTEN GEKÄMPFT
Eine faszinierende Flut von Formen und Farben, ein regelrechter Bildersturm um-fängt den Betrachter. Bilder entstehen, spiegeln sich und verschwinden wieder. Die Künstlerin setzt auch dieses Mal auf ihr bewährtes Team - und gewann. Auf seltsame Gestalten trifft Alice im Wunder-land - und immer begleitet sie die weiße Katze, oft nur sehr schemenhaft als Grin-sen mit gebleckten Zähnen auf der Video-wand. Der phantasievolle Pas de deux der Zwillinge (Tweedledee und Tweedeldum) ist zweifelsfrei das tänzerische Herzstück der Performance. Mit einem dynamisch-wuchtigen Pas de trois der Zwillinge mit der Tänzerin, den ironisch-witzigem "Lobster-Tanz", klingt die freche, frische und fröhliche Performance aus.
Bettina Kneller, Main Echo 20.5.99
DER WILLE ZUR KUNST
So konnten die Festivalmacherinnen nicht der Versuchung widerstehen zum Klein-feldgerangel der Performer eine Inszenierung aus der Oberliga der Freien einzuladen. Die Frankfurter Regisseurin Helena Waldmann verfolgt seit Jahren in exakt choreographierten und technisch aufwendigen Video-Tanz-Inszenierungen ein Theater der getäuschten Wahrnehmungen. Zwischen Spiegel, Videoscreens und Tän-zerkörper spielt sie mit dem Blick des Zu-schauers, bis sich schließlich der reale Tänzerkörper im Spiel seiner Schatten und Spiegelungen auslöst. Die Aura eines philosophischen Theaters umkleidet, was auch bei CheshireCat vor allem ein genuß-volles Spiel mit Farbe, Licht und Tanz ist.
Michael Freundt, Berliner Zeitung 20.5.99
DIE GRINSENDE KATZE
Waldmann kommt vom Schauspiel, aber die Sprache konnte ihr nie die Fülle der Bühnenkünste ersetzen. Dennoch blieb die Struktur des Textes für sie Ausgangspunkt: Duras, Jerofejew, Brecht. Diesmal Carrolls "Alice in Wonderland", woraus Motive - die weitschweifige Maus, die Hummer-Quadrille, die Teeparty mit Hutmacher und Schlapphase - im englischen Original aus dem Off ertönen. Doch im Gegensatz zu früheren Inszenierungen wie "face ... à", "glücksjohnny" oder "vodka konkav", in denen sie ihre Zuschauer in das namenlose Zwischenreich von Theater, Tanz, Video, Architektur entführte, hat sich die Frankfurterin in ihrer neuen Produktion "CheshireCat" allein für den Tanz entschieden. Tanz nicht mehr hinter raffinierten optischen Konstruktionen, sondern vor einer mit lichtspeichender Farbe bestrichenen Wand, vor perfekt gleitenden Videoprojektionen, vor und hinter halbdurchlässigen Spiegeln.
Ulrich Deuter, Tagesspiegel 17.5.99
WENIG ANGST IM WUNDERLAND
Die Musikkompositionen von DJ Tricky Cris, Anna Saups Videosequenzen und Herbert Cybulskas blaue, rote und weiße Licht- und Farbeffekte sowie die Texte aus Carrolls Erzählung verbinden sich mit dem Spiel der Tänzer zu einem multimedialen Werk, das die Verwirrungen des Mädchens und die Traumlogik der Ge-schehnisse nachvollzieht. Tee wird nicht einfach getrunken..., über die Leinwand flitzen Eidechsen, verschiedene Farben tauchen die Bühne in immer neues Licht und Helena Waldmann zeigt Alice in einem rauschhaften, mitreißenden Traum.
Katharina Deschka Frankfurter Allgemeine Zeitung 11.5.99
SCHATTENSPIEL VOR DEN SPIEGELN
Zwei Lichtstreifen in grünlich-fahlem Weiß sausen über die schrägstehende Bühnenwand, ein Bass brummt, bald ergänzt von Schlagzeug und Synthesizer-Klang. Vor der Wand tanzt eine kleine Frau in rotem Hemd und schwarzer Hose, ihr Gesicht ist abgewandt vom Publikum. An der Stelle der Wand, wo die Tänzerin eine kleine Weile verharrt, bleibt ihr Schatten zurück, wie eingebrannt.
"CheshireCat" ist der Titel der neuen Produktion von Helena Waldmann, erneut hat sie im Mousonturm produziert, und wieder geht es ihr um Wahrnehmung und Sinnestäuschung, um die Identität des Sehenden wie des Gesehenen, also auch um unseren Begriff von Theater. Cheshire Cat ist der Name des Wesens, das Lewis Carrolls Romanfigur Alice bei ihrem Besuch im Wunderland auf einem Baum sieht, eine Katze, die sich meist nur zum Teil zu erkennen gibt, etwa durch ihr sardonisches Grinsen. Helena Waldmann hat Fetzen aus dem Text Carrolls, die Klänge des Musikers DJ Tricky Cris, die Bewegungen der Tänzerin Chris Ho Chau Wah und ihrer beiden Kollegen, der Zwillinge Michele und Giuseppe de Filippis, und eine besondere Konstruktion der Bühne zu einem Spiel über die Wahrnehmung verwoben. Die weiße Wand als Projektionsfläche für Farben, Zeichen und Schrift und ein halbdurchlässiger Spiegel, der dazu im 90-Grad Winkel angebracht ist, erlauben ihr die Gestaltung von Schatten-Rissen wie die Doppelung der Figuren. Auch Alice befand sich in Lewis Carrolls zweitem Buch hinter den Spiegeln. Hier plazieren sich die Zwillinge so vor und hinter dem Spiegel, daß sie zu einer Person werden, die sich scheinbar gleichzeitig auf verschiedene Arten bewegt. Wir trauen da unseren Augen nicht recht!
Daland Segler, Frankfurter Rundschau 10.5.99