HELENA WALDMANN
PRESSESTIMMEN
DAS MEER, DER HIMMEL, DIE HÖLLE
Am Anfang war der Text. Der ist einfach und dennoch grandios. In Helena Waldmanns einstündigen Gesamtkunstwerk wird alles zur Musik - für Ohr und Auge. Die Worte bekommen Rhythmus und Melodie und erzeugen mit Videobildern, Lichteffekten und Schattentänzen Kon- und Dissonanzen. Mit der musikalischen einher geht die räumliche Anordnung des Stücks, die wiederum in der Erzählung angelegt ist. Brecht spielt dialektisch mit den Räumen, dem begrenzten - das Schiff, auf dem die lineare Handlung stattfindet - und dem darüber hinaus weisenden unendlichen - der Himmel, das Meer, die Tiefen der menschlichen Seele. In "glücksjohnny" wird nun die Bühne, der Sehraum weitgehend auf zwei Dimensionen reduziert und so mit dem Hörraum verbunden, daß sich dadurch erst die wesentlichen, die imaginären Räume für
den Zuschauer erschliessen. Die ästhetisch-literarische Qualität der Brechtschen Novelle von Glücksjohnny liegt in der Komposition, im gezielten Hervorbringen von Stimmungen und dies umzusetzen ist Helena Waldmann hervorragend gelungen.
Tina Turner, Neue Zürcher Zeitung 12.12.98
HUNGER AUF ALLTAG
Die Frankfurterin ist fast die einzige, die aus der Tatsache, daß beim so beliebten Zusammentreffen von Darsteller und Videoleinwand stets der reale Körper es ist, der verliert, die richtige Konsequenz zieht: ihn wegzusperren. Wie in einem Rokokokostüm versenkt die Regisseurin ihre Akteue in die Apparate des visuellen Begehrens: bei "vodka konkav" hinter Kaleidoskopspiegel, Projektionen und Lichtillusionen von unglaublichem Raffinement; bei "glücksjohnny" in und hinter ein vielzentriges Breitwandvideo. Der literarische Text, stets die Anregung, formt als Grundmuster den illusionären Raum, was aber von der Sprache am Ende bleibt, ist Sound. Unmittelbar ist für den Betrachter nur das Abbild, der Schein des Körpers des Künstlers, der, vervielfältigt und verzerrt, in die Fläche verschlagen ist, die die Tiefe des Theaterraums versperrt. Was Schein, was Realität ist, bleibt - anders als beim Jahrmarktsvexierspiel, anders auch als beim Film - tatsächlich ununterscheidbar. Ein mediales Spiel um Begehren und Aufschub und die Vorgängigkeit der Apparate, das hingabewillig und zugleich widerständig macht. Denn diese Schauwelten in ihrer tranceerzeugenden Perfektion und Wilson-schen Schönheit zeigen durchaus und irgendwie höhnisch was sie verbergen: die Anwesenheit des Körpers, in unendlicher Ferne.
Ulrich Deuter, Die Zeit 3. Sept1998
ZUVIEL GLÜCK IST KEIN GLÜCK
Helena Waldmann beherrscht die Kunst der Illusion wie keine Zweite.
Gerald Siegmund bi/tanz aktuell 7/98
MULTIMEDIA-POKER
Helena Waldmann hat zu dieser Geschichte vom "Glücksjohnny" ein scheinbar ganz simples, aber in Wahrheit hoch komplexes audiovisuelles Band entworfen. Gleißendes Licht blendet uns, karibisierende Rhythmen beschleunigen die Poker-Fahrt, das Schiff knarrt bedrohlich bei dieser Titanic-Tour. Helena Waldmann und ihre Videokünstlerin behelligen die Zuschauer mit einem Feuerwerk der Farben und schnell wechselnden Bilder, die teils sehr klar und einfach sind, aber plötzlich von psychede-lischen, rauschhaften Mäanderformen verdrängt werden. Wie bei allen ihren Theaterperformances bringt die Regisseurin wieder ganz verschiedene Künste zu-sammen. Tanz und Film, Videoanimation und avancierter Musikmix - und nicht zuletzt die Literatur.
Dirk Fuhrig, Frankfurter Rundschau 18. Mai 1998
MISSGUNST BITTET ZUR LETZTEN POKERRUNDE
Waldmann hat die Geschichte des Spielers - der auf dem Ozeandampfer von Kuba nach New York ein Vermögen gewinnt und am Ende durch die Hand seiner Mitspieler stirbt - auf ihre ganz eigene Art inszeniert. Sie reißt mit, setzt emotional unter Spannung, verfremdet unverschämt und kitzelt forsch die Phantasie ihrer Zuschauer heraus. Eine interessante Interpretation der Brecht-Tragödie, die mit Zigarrenqualm, kalten Getränken und Gelächter beginnt und mit Mord endet: Man wird durch warme, immer schriller werdende Lichteffekte und Musik, die mehr und mehr zum Getöse wird, mitten in das Geschehen gezerrt. Frieder Bachmann legt faszinierende Tänze hin - als Schattenfigur. Die Regisseurin setzt auf Gebrochenheit. Das Begehren, die ganze Figur des tra-gischen Johnny - zunächst ein attraktiver Gewinner und schließlich Opfer der Miß-gunst - direkt zu sehen, bleibt versagt. Johnny ist nie zu fassen. Die tiefe dunkle Stimme von Mechthild Großmann hallt durch den Raum, fesselt die Aufmerksamkeit. Man könnte sie für eine Männerstimme halten. Sie legt assoziativ fest, wohin die Reise der Zuschauer im Kopf gehen soll: In die tropische Langeweile, auf das weite Meer, oder in die Geldgier, den tiefen Haß, den der blanke Neid freilegt. Es gibt scheinbar kein Entrinnen. Wäre da nicht immer wieder diese kühle Distanz. Als sei die Szenerie der Projektionsbilder durch die Frankfurter Skyline gespiegelt.
Ein erregendes Spektakel.
Pia Kurz Frankfurter Neue Presse 19.5.98
GLÜCKSJOHNNY IM SCHATTEN
Alles an diesem Abend ist zweigeteilt wie das Bild auf einer Spielkarte. Alles an diesem Abend ist flach wie das trügerische Schillern einer Oberfläche. Die Bühne ist oben von einer glatten Leinwand abgedeckt, unten erzeugt sie mit perspektivisch geschickt gestellten Folien ein Vexierbild aus räumlicher Tiefe und Flächigkeit. Helena Waldmann verwandelt den dreidimensionalen Bühnenraum in eine zweidimensionale Projektionsfläche, die von vorn und von hinten mit Bildern angestrahlt wird.
Ein leuchtendes Blau, ein knalliges Rot, ein sanftes Grün und strahlendes Gelb, begleitet von lateinamerikanischen Rhythmen und zuckenden Tänzerbeinen im Schattenriß, erzählen vom rauschenden Fest der glücklichen Sieger in Havanna. Später, wenn die Monotonie der Reise alle Unterscheidungen zunichte macht und Mechthild Großmanns rauchige Stimme immer wieder "Der Himmel, das Meer" wiederholt, schwappt eine Welle hoch und runter, um die Leinwand auf der Bühne wieder dem weißen Nichts zu übergeben. Bei Helena Waldmann sitzt der Zuschauer im Theater wie in Platos Höhle mit dem Rücken zur Welt, zu deren Wesen er keinen Zugang hat, und schaut auf Trugbilder und Abbilder, die er für die Welt halten muß. Jede Aussage im "Glücksjohnny" ist eine Aussage über das Theater und seine Bilder. Die Regisseurin erzählt Geschichten mit zeitgemäßen Mitteln, von denen die Sprache nur eines, wenn auch ein unverzichtbares ist. Zusammen mit ihrer Dramaturgin Susanne Winnacker, der Videokünstlerin Anna Saup, dem Musiker Tricky Cris und dem Lichtzauberer Herbert Cybulska hat sie eine Art von neuer visueller Erzähltechnik entwickelt, die ihre ureigene ist. Nichts an technischem Aufwand ist überflüssig, alles durch das einfache Erzählen dieser Geschichte über den Realitätsverlust in der fast wahnhaften Spielsucht gerechtfertigt. Das zufällige Moment in ihren perfekt ausgetüftelten Bilderräumen bleiben die Darsteller.
Gerald Siegmund, Frankfurter Allgemeine 17. Mai 1998