HELENA WALDMANN
PRESSESTIMMEN
HELENA WALDMANN: VODKA KONKAV
Eine ganze Geschichte der Irrealisierung, der Bildwerdung und der Mediatisierung - seit der platonischen Ambivalenz gegenüber dem Schatten - läßt sich in dieser Inszenierung auffinden: Das Schattenbild, das den Körper als Kontur in die Fläche projiziert, irrealisiert seine Binnenzeichnung und Körperlichkeit; das Spiegelbild, das den wirklichen Körper in seinen angeblickten Aspekten irrealisiert, erlaubt seine gleichzeitige Vervielfältigung als Bild; und das Videobild, das das Bild in der Zeit vom Körper unabhängig macht, irrealisiert ihn noch in seiner Gegenwart und erlaubt die Vervielfältigung des Körper-Bildes in der Zeit. Vom Körper immer unabhängigere Halluzinationen erscheinen auf einem äußeren Schirm: Schattenbild auf einer Fläche, Spiegelbild auf einem Spiegel, Videobild auf einem Projektionsschirm.
Johannes Meinhardt, ballett international tanz aktuell 8/9 97
BLICK IN DEN KOPF EINES KAMPFTRINKERS
... Identische Gestalten mit nacktem Oberkörper und weißen Hosen tauchen in den Spiegeln auf und bewegen sich perfekt synchron und mit beeindruckender Körperbeherrschung. Wie Fische gleiten die Zwillinge Giuseppe und Michele de Filippis auf dem Rücken liegend über blauen Untergrund, wie Eidechsen kleben sie an den Wänden in einem Raum, wo niemand weiß, was oben, was unten ist. Herbert Cybulskas Licht erstrahlt in erlesenen Türkistönen, von Blau bis Grün hin zu orange legt er Spuren, die den Tänzern Wege durch das gedankliche Labyrinth zeigen. Anna Saups Video treibt die Virtualisierung der Bühnenwirklichkeit voran, indem sie den Körpern Schatten mit Gesichtern gibt, sie vervielfältigt oder in spiralförmige Muster einbindet, die sich plötzlich verfestigen. Indem Waldmann sichtbar macht, was unausgesprochen zu den Bedingungen jeder Theateraufführung gehört, raubt sie dem Zuschauer ein Stück Teilhabe am Rezeptionsprozeß. Sie enttäuscht ihn im Wortsinn, indem sie die Verführung durch die Tänzer in die Bestandteile zerlegt und vorführt. Vodka konkav ist eine wundersame Reise ins Theaterwunderland, die schnell in den Kopf steigt und sich dort hartnäckig festsetzt.
Gerald Siegmund, Frankfurter Allgemeine Zeitung 26. Juli 1997
NICHTS IST, WIE ES SCHEINT
Neue Blicktechniken im Theater
... und das ist das Geniale der Bühneninstallation von vodka konkav, daß hier nicht ein Guckkasten bespielt wird, vielmehr wird hier endlich einmal konkret erfahrbar: die vierte Wand. Alles, was sich dahinter abspielt, können wir nur im Spiegel sehen. Hier kommt dem Betrachter plötzlich die ganze Geschichte der Bildtechnik entgegen, angefangen von Platons Höhlengleichnis bis zur Virtualität einer Computersimulation. Das Wahn-Sinnige dabei ist, ganz wörtlich genommen, daß sich die einzelnen Quellen nicht identifizieren lassen aus denen sich dieses Bild im Spiegel zusammensetzt: Da sind die beiden Tänzer (Giuseppe und Michele de Filippis) auf der Bühne, ein Zwillingspaar zudem, deren Bewegungen im Raum als zweidimensionale Abstraktion auf der Spiegelwand jegliche Schwerkraft verloren haben. Schwerelos schweben sie von rechts nach links, oben und unten durchs Bild, spiegeln und vervielfältigen sich und verwirbeln immer auf's neue die eigene Präsenz in einem Spiel aus An- und Abwesenheit. Hinzu kommen Videoprojektionen, die in einigen Sequenzen wie Schattenbilder der Tänzer wirken, ein andermal deren Bild überblenden und zusätzliche verschiedene, farbige Lichtquellen, die aus unterschiedlichen Richtungen die Plexiglasscheiben beleuchten. Diese Überlagerungen erzeugen Live-Bilder, wie wir sie noch nirgends zuvor gesehen haben und wie sie rein technisch in keinem anderen Medium als dem Theater denkbar wären.
Kathrin Tiedemann, Freitag 32, 1. Aug 97
IN DER NÄHE, SO FERN
... So klar gesprochen die Sätze sind, so abschweifig ist der Inhalt; so exakt und scharf die Bewegungen der beiden Tänzer, so unbegrenzt sind die Räume, die durch die vielfache Brechung und die Kombinati-tion mit vorproduzierten Videosequenzen entstehen. An den schönsten Stellen entwirft die Regisseurin zusammen mit ihrem Lichtmeister Herbert Cybulska und der Videospezialistin Anna Saup tiefe, weit in die Ferne gehende Perspektiven, eine Art 3-D-Animation im realen Theatersaal. Die Künstlichkeit der Computerbilder wird dabei immer ein Stück weit aufgehoben durch die Präsenz der beiden Tänzerkörper. Auch wenn man fast nie ganz sicher sein kann, welche Aktion jetzt gerade in Echtzeit hinter der Trennwand abläuft und was elektronisch erzeugt oder vorproduziert ist. Die Verbindung der verschiedenen Elemente, die durch eine dschungelige Club-Musik zusätzlich gestärkt wird, erzeugt mitunter einen Cyberspace der rotierenden Schatten und verzerrten Gliedmaßen, der kletternden Beine und sich wölbenden Leiber.
Dirk Fuhrig, FR 26. Juli 1997
DELIRIEN AUS DEM KOPF EINES SÄUFERS
Ein Trinker vor dem Herrn: Wenitschka, den Jerofejew in seinem Poem "Die Reise nach Petuschki" auf eine wahnwitzige Odyssee durchs eigene Delirium schickt, bemißt alles in Alkohol.
Verständlich, daß in einem promillegetränkten Bericht einiges durcheinander gerät; die Grenze zwischen Wirklichkeit und Hirngespinsten zum Beispiel.
Verständlich auch, daß dieser Text auf das Interesse von Helena Waldmann stoßen mußte. Denn die Theater-Experimen-tatorin aus Frankfurt, die in Zusammenarbeit mit den Schloßfestspielen, dem Mousonturm Frankfurt und dem Pumpenhaus Münster nun die Uraufführung ihrer neuen Produktion vodka konkav in Ludwigsburg zeigte, inszeniert in ihren Performances immer wieder ein raffiniertes Spiel mit Realität und Trugbild.
So auch in der Karlskaserne: Helena Waldmann erlaubt uns keinen direkten Blick auf das Geschehen im Bühnenkasten, sondern leitet ihn auf fünf große Spiegellinsen um. Licht- und Filmprojektionen mischen sich dort so perfekt mit dem vielfach reflektierten Bild von Tänzern, daß man bis zum Schluß von vodka konkav über das Wahrgenommene keine exakten Aussagen machen kann: Wieviele Männer tanzen hinter der Bande? Tanzen sie überhaupt? Oder sehen wir nur ein in der Mischung aus realen und animierten Bildern perfekt gemachtes Videoclip, zu dem DJ Tricky Cris live einen Soundtrack aus wabernden Djungle-Klängen und dem von Schaubühne-Mitglied Thomas Thieme gesprochenen Text spinnt?
Das Delirium aus dem Kopf eines Säufers hat Helena Waldmann mit vielen Kunstgriffen und hohem technischen wie ästhetischem Aufwand auf Bühnengeschehen und unsere Wahrnehmung übertragen. Daß Licht, Sound, Tanz und Film als eigenständige Beiträge bestehen könnten, sich jedoch perfekt synchron zum Gesamtkunstwerk fügen, ist das Faszinierende an vodka konkav.
Andrea Kachelries, Stuttgarter Nachrichten 28. Juni 97