HELENA WALDMANN
REPERTOIRE
VON UND MIT | YUI KAWAGUCHI (TANZ), VANIA ROVISCO (TANZ), ACCI BABA ('BLACK PERSON' UND VIDEOANIMATION), MOHAMMAD REZA MORTAZAVI (KOMPOSITION UND LIVE-MUSIK) |
KONZEPT, REGIE, CHOREOGRAFIE | HELENA WALDMANN |
DRAMATURGIE | DUNJA FUNKE |
BÜHNE | JOCHEN SAUER |
LICHTDESIGN | ANDREAS FUCHS |
KOSTÜME | MARI KRAUTSCHICK |
WISSENSCHAFTLICHE MITARBEIT | TAIYA MIKISCH |
COACHING AFGHANISTAN | MONIREH HASHEMI |
TECHN LEITUNG UND LICHT ON TOUR | CARSTEN WANK |
BÜHNE UND VIDEO ON TOUR | ROMAN FLIEGEL |
TON ON TOUR | STEPHAN WÖHRMANN |
PRODUKTIONSLEITUNG | ECOTOPIA DANCE PRODUCTIONS |
URAUFFÜHRUNG | 9.10.2009 BERLINER FESTSPIELE (D) |
DAUER DER VORSTELLUNG | 60 MIN |
ON STAGE | 2 TÄNZERINNEN, EIN MUSIKER UND EINE 'BLACK PERSON' |
«BurkaBondage» ist ein leidenschaftlicher Lustschmerz für zwei Tänzerinnen, die unter der Burka, der islamischen Totalverschleierung, und gefesselt im japanischen Bondage um ihre Freiheit ringen.
Im scheinbaren Widerspruch von extremer Bindung und Maskierung treibt Helena Waldmann die binäre Logik von Macht und Ohnmacht, Schmerz und Lust auf die Spitze einer west-östlichen Sehnsucht nach Freiheit und Selbstverlust.
Wer dominiert? Wer lässt sich dominieren? Da schwebt eine Tänzerin glückselig am Fallschirm, den die andere wie einen Lenkdrachen manövriert, doch in der nächsten Sekunde stutzt sie der Gespielin brutal die Flügel, lässt sie fallen. In Helena Waldmanns fesselnder Performance «BurkaBondage» verstrickt sich die Freiheit in ein westöstliches Labyrinth. Hinter einem Schleier scheint sie so absurd wie bei der Fesselkunst des japanischen Bondage - und doch ist Freiheit ohne Bindung ein Verlust. Die Bandage der Verletzten und das Bondage der Geliebten verschaffen dem Körper einen Schutz, der ihn vom Rest der Welt abschirmt. Gibt der Halt der Fessel nach, ist die Hingabe dahin. «BurkaBondage», ein leidenschaftlicher Lustschmerz-Marathon für zwei Tänzerinnen, ist eine temporeiche Meditation über Bindung und Abhängigkeit.
BurkaBondage
ist eine Produktion von
Helena Waldmann und ecotopia dance poductions
In Koproduktion mit Berliner Festspiele, Burghof Lörrach, Fabrik Potsdam, Forum Freies Theater Düsseldorf, Festival Theater in Bewegung Jena, Pumpenhaus Münster,Tafelhalle im KunstKulturQuartier Nürnberg, V.FESTSPIELE im Theater im Pfalzbau Ludwigshafen
mit freundlicher Unterstützung von ITI Germany und Goethe Institut
Gefördert durch: Hauptstadtkulturfonds
Der Zwang zur Freiheit
Ein Junge auf einem Hügel von Kabul lenkt einen Papierdrachen durch die Windböen, umschifft geschickt Hausdächer und Stromleitungen. Immer wieder geht der Blick am Drachen vorbei in die Weite des Himmels. Im Roman «Der Drachenläufer» des afghanischen Autors Khaled Hosseini erlebt der Junge seine Freiheit durch die Kunst, den Drachen an sich zu fesseln. Zugleich versucht er, mit seiner rauen Drachenschnur die Drachen der anderen Jungs in der Luft zu zerschneiden, sie von ihrem Halter zu befreien, sie zu entfesseln, ihren Drachen die Freiheit zu geben. Sieger ist, wer seinen Drachen bis zuletzt an den Himmel knüpfen kann.
Gewonnen hat, wer die Kunst der dauerhaften Bindung beherrscht und wer genügend andere dazu zwingen kann, loszulassen. Freiheit ohne Bindung ist ein Verlust. Das lernt der Junge ebenso wie das Geschick, seinen Drachen nach seinem Willen zu lenken. Setzt man für den Drachen die «Frau», hat man alles verstanden von der Beziehung der Menschen, nicht nur des Orients. Die Kunst der Fesselung ist eine Kunst der menschlichen Bindung.
Die Schnur, die Fessel ist ein Objekt, das für Unterdrückung und Gefangenschaft steht. Die japanische Kunst des Shibari (Bondage) versucht dem anderen im Akt der Bewegungslosiglkeit ein Gefühl von Freiheit zu geben. Freiheit entsteht tatsächlich durch Abhängigkeit, wie wir es auch im Westen genießen: gefesselt zu werden von einem Film, einem Buch, einem Menschen, um in dessen Umarmung, die wie gewaltige Fesseln wirken, zu versinken, im Kuss mit dem anderen zu verwachsen. So sucht der Mensch auch seinen Käfig, in dem er sich des anderen sicher sein kann. Er sucht den Staat, die Heimat, die Firma, die ihn an langer Leine haltend Schutz gewährt. Je kürzer die Leine, desto weniger frei der Drache fliegt, auch: je süchtiger ein Mensch nach Geborgenheit ist, desto grausamer erscheint dieselbe Fessel, die bei ausreichender Länge Zugehörigkeit und Sicherheit vermittelt.
In der betäubenden Spannung, die ein Film vermittelt, die durchaus der Spannung einer Fessel entspricht, kann man sich wunderbar selbst vergessen. Gerade die kurze Leine löst wie eine feste Umarmung große Gefühle aus. Wir wollen gefesselt, wir wollen am anderen geheilt werden. Die Bandage der Verletzten und das Bondage der Geliebten verschaffen dem Körper einen Schutz, der ihn vom Rest der Welt abschirmt. So verhält es sich auch mit der Burka. Im Wind wehend erinnert das weite Gewand der Afghaninnen an einen Drachen, der an der unsichtbaren Schur der Familie ihre Geheimnisse in sich trägt. Zu einfach ist es, nur zu denken, dass die Burka wie eine Fessel allein für den Raub der Freiheit steht. Aber es stimmt: Sie lädt dazu ein. Die Selbstverbrennung afghanischer Frauen ist ein Hilfeschrei, um dem Raub ein Ende zu bereiten, um die Schnur des Drachen endlich zu kappen, der für Momente noch wie ein Vogel erscheint, aber unweigerlich abstürzt. Dabei gibt es, weder im Westen noch im Osten, ein wirkliches Gleichgewicht zwischen Bindung und Freiheit. Es ist ein ewiges Zerren an der erotischen Fessel, eine Lust an der Hingabe und ein Lustschrei nach Freiheit zugleich. Überall dasselbe: Gibt der Halt der Fessel nach, ist die Hingabe dahin.