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zur Startseite (ecotopia dance productions: Repertoire Helena Waldmann - Made in Bangladesh)

HELENA WALDMANN

REPERTOIRE

TANZREGIEHELENA WALDMANN
CO-CHOREOGRAPHIEVIKRAM IYENGAR
TÄNZERIN IM VIDEOBRIT RODEMUND
KOMPOSITION UND MUSIKPRODUKTIONDANIEL DORSCH
MUSIKALISCHE LEITUNG UND KOMPOSITIONHANS NARVA
VIDEO ANNA SAUP
KOSTÜMEHANIF KAISER UND JUDITH ADAM
LICHTHERBERT CYBULSKA
POSTPRODUKTION VIDEOMICHAEL SAUP
SCHNITTGESTALTUNG KOSTÜMTINA LUTHER
PROBENLEITUNGANIKA BENDEL
ASSISTENT IN DHAKAHASNAT BIN KASHEM
DRAMATURGISCHE BERATUNGDUNJA FUNKE
ON STAGE12 TÄNZERINNEN UND TÄNZER AUS BANGLADESH MUNMUN AHMED, SHAMMY AKTER, SHAREEN FERDOUS, MASUM HOSSAIN, URME IRIN, MELA LAMIYA, TRINA MEHNAZ, HANIF MOHAMMAD, TUMTUMI NUZABA, BISHWAZIT SARKAR, SHOMA SHARMIN, LABONNO SULTANA
DAUER DER VORSTELLUNG70 MIN
URAUFFÜHRUNG26. NOVEMBER 2014 THEATER IM PFALZBAU LUDWIGSHAFEN (D)

Was steckt hinter der Aussage "Made in Bangladesh"? Zusammen mit zwölf Kathak Tänzern_Innen aus Bangladesch hat Helena Waldmann in den berühmt-berüchtigten Textilfabriken Bangladeshs recherchiert und die Arbeitsbedingungen, die sie dort vorfand, in Tanz umgesetzt. Den nordindischen Kathak, den die farbenfroh gekleideten Tänzer_Innen in den Boden hämmern, hat Helena Waldmann aller Ornamentik beraubt. Die Füße treten mit den Stichen der ratternden Nähnmaschinen ebenso um die Wette wie ihre Pirouetten mit den Garnspulen. Die schnellen Rhythmen des Kathak-Tanzes machen die Erschöpfung körperlich spürbar. "Ich bin körperlich nicht stark genug für diese Arbeit. Ich erlebe Ausbeutung und Missbrauch." Solche und andere Statements von Näher_Innen erscheinen gelegentlich als Projektion auf der Leinwand. Die Tänzerinnen verkünden dagegen ganz anderes ins Mikrophon: "Ich bin stolz, Teil der Modeindustrie zu sein – stolz, unabhängig zu sein." Auch das sind Sätze der Näherinnen und es sind genau diese nicht aufgelösten und nicht auflösbaren Ambivalenzen, die Helena Waldmann bei den Recherchen herausgefiltert hat und auf der Bühne nebeneinander stellt. Denn was für die eine Näherin Ausbeutung darstellt, bedeutet für die andere einen ersten Schritt zur finanziellen Unabhängigkeit.
Die Analogie zum europäischen Kulturbetrieb mit seinen selbstausbeuterischen Strukturen - im zweiten Teil des Stücks - spitzt das weiter zu. Zitate wie: "Im letzten Jahr habe ich 60 Vorstellungen getanzt – in diesem Jahr 100. Für das gleich Geld", verweisen in aller Deutlichkeit darauf, dass auch europäische Tänzer unter prekären Bedingungen ihr Geld verdienen.
"Made in Bangladesh" ist ein starkes, unbequemes Stück und in seiner Konsequenz und Körperlichkeit genau das richtige Mittel, den rasenden Arbeitsverhältnissen der Gegenwart künstlerisch Ausdruck zu geben.

Stumm stehen sie in Reihe, die zwölf Tänzer_Innen aus Bangladesch, 80 Prozent Frauen, 20 Prozent Männer, ganz wie in der Arbeitswelt an der Nähmaschine. Auf der Videowand fahren Nadeln auf und ab, immer mehr, immer schneller. Gestreckt sind ihre Oberkörper, die Füße rasen. Es sind keine Fabrikarbeiter, sondern Künstler, die sich dem Kathak verschrieben haben, der durch blitzschnelle Fußarbeit und rhythmische Synkopen charakteristisch für die Tanzkunst in Bangladesch ist.

Weil Helena Waldmann und ihr Co-Choreograf Vikram Iyengar auf die sonst üblichen Fußglöckchen bei den Tänzern verzichten, entsteht ein völlig neuer Eindruck, den die welterfahrene Tanzfrau in beeindruckende Tableaus umsetzt. Gleichförmigkeit der Arbeitsbewegungen, erhöhte Schlagzahl, Optimierung, Akkord. Im Hintergrund laufen Tabellen, der zu erbringenden Stückzahlen in Tages-, Stunden- und Minutenleistungen.

Immer wieder bricht in den rasenden Maschinen- und Verkehrslärm jäh Stille herein: so steht über einer plötzlich einsam auf der Bühne stehenden Tänzerin nachhallend "Bitte boykottieren Sie unsere Produkte nicht."

Und Waldmann spannt den Bogen an diesem beeindruckenden wie klugen Abend weiter. Neben dem textilen Weltwahnsinn gilt ihre Aufmerksamkeit auch den Alltagsbedingungen einer Branche, die selten im Fokus von Reportagen steht - der Berufswelt der Künstler selbst: Zwei Monate Probenzeit ohne Honorar, pro Show 45 Euro, wer krank oder schwanger wird, fliegt und um das im Vorjahr mit 60 Auftritten verdiente Geld zu ertanzen, muss - ganz wie in der Fabrik - heuer 100 mal getanzt werden. . . Lächeln und Optimieren. Immer schneller dreht sich das Karussell: "Wir sind stolz, Teil der kapitalistischen Weltordnung zu sein." Noch so ein Satz wie Donnerhall.

Waldmann zieht das Tempo an, dreht die Schraube weiter. Line Manager heißt der Aufseher über in nummerierten Reihen stehende Nähmaschinen und Tanzpositionen. Entsteht an der einen ein Hemd, wird an der anderen Position die nächste kommerzielle Flamenco- oder Chorus-Line-Show geprobt. Und immer schön lächeln, "Wir haben Besucher", teilt der Manager mit. Selten reißt oder rastet einer aus: Du kannst, weil du willst, was du musst. Wenn er oder sie es aber tun, entstehen die eindringlichsten Momente des Abends. Denn die Menschen wissen, dass sie ihre Gesundheit ruinieren: "Aber ich arbeite so hart ich kann."

Tabellen über Stückzahl pro Arbeitsplatz lassen uns ebenso schaudern wie der Griff der Tänzer zum eigenen Hals - und die Umrechnung des Funktionierens in Zeit- und Geld. In 77 Minuten Aufführungsdauer hat ein Arbeiter 28 Cent, die deutsche Textilindustrie 1,4 Millionen Euro verdient, beschämendes Wissen, dem furioser Applaus folgt.

Mannheimer Morgen, Ralf-Carl-Langhals


Helena Waldmann
Weltreisende in Sachen Tanz: Sogar gemessen an den Standards einer durch und durch international arbeitenden Szene dürfte ihr Aktionsradius kaum zu übertreffen sein. An der Schnittstelle von Regie, Choreografie und soziologischer Feldforschung produziert, tourt und engagiert sich Helena Waldmann weltweit – vom Nahen Osten über Lateinamerika bis nach Asien und Afrika. Als künstlerischer Kompass dient ihr ein ausgeprägtes Sensorium für die Widersprüche unseres Lebens und die Fragilität unseres Glücks, überall. Deshalb bewegen Helena Waldmanns Stücke so sehr. Waldmanns Verlangen danach, sich auf andere Kulturen voll und ganz einzulassen, ohne den kritischen Abstand aufzugeben, ist in all ihren Arbeiten mit Händen zu greifen. Ihre Themen reichen von der erschreckend anarchischen Freiheit der Demenz (revolver besorgen) über das lustvolle Spiel mit Abhängigkeiten (BurkaBondage) bis hin zu den äußerlich eingeschränkten und doch innerlich so souveränen Frauen in islamischen Staaten (Letters from Tentland). Die Projekt-Ensembles, die sie in der Regel vor Ort castet, verleihen ihren Inszenierungen eine Authentizität und Eindringlichkeit, die zum Markenzeichen ihrer Arbeit geworden sind. Neben Produktion und Regie führen Helena Waldmann auch Workshops und Lehraufträge zu Institutionen und Hochschulen auf der ganzen Welt.

Made in Bangladesh
ist eine Produktion von Helena Waldmann und ecotopia dance productions

In Zusammenarbeit mit
SHADHONA – A Center for the Advancement of Southasian Culture (BD) und dem Goethe-Institut Bangladesh

in Koproduktion mit
Theater im Pfalzbau Ludwigshafen (D)
Les Théâtres de La Ville de Luxembourg (L)
Goethe-Institut Bangladesh (BD)
Burghof Lörrach (D)
Forum Freies Theater Düsseldorf (D)
Tollhaus Karlsruhe (D)
Kurtheater Baden (CH)

gefördert durch die
Kulturstiftung des Bundes


Besonderen Dank an Nazma Akhter, die 13 Arbeiterinnen als Paten der Tänzer und an Green Ink aus Dhaka

Das Buch zum Stück bei leesmagazijn.nl

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