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zur Startseite (ecotopia dance productions: Repertoire Helena Waldmann - Gute Pässe Schlechte Pässe)

HELENA WALDMANN

REPERTOIRE

TANZREGIE, BÜHNE UND KONZEPTHELENA WALDMANN
MUSIKMIKA VAINIO, ARNE DEFORCE, JEAN-PHILIPPE RAMEAU, RICHARD WAGNER
DRAMATURGIE UND MUSIKALISCHES KONZEPTTOBIAS STAAB
LICHTHERBERT CYBULSKA
KOSTÜMEJUDITH ADAM
PROBENLEITUNGJOHANNA HWANG
PREMIERE4.3.2017 THEATER IM PFALZBAU LUDWIGSHAFEN (D)
DAUER DER VORSTELLUNG60 MIN
ON STAGESARA ENRICH BERTRAN,, ANTONIA MODERSOHN, ENRICO PAGLIALUNGA, TJORM PALMER, LYSANDRE COUTU-SAUVÉ, DECLAN WHITAKER, CARLOS ZASPEL UND 22 FREIWILLIGE MAUERBAUER

Die Tanzregisseurin Helena Waldmann ist seit vielen Jahren auf nahezu allen Kontinenten unterwegs – nicht nur, um weltweit ihre Stücke aufzuführen, sondern auch, um künstlerische Kollaborationen zu betreiben und daraus Inspiration für ihre Arbeit zu ziehen (Letters from Tentland, Tehran; emotional rescue, Palestina Westbank, Gaza; BurkaBondage, Kabul, Tokyo; Made in Bangladesh, Dhaka). Aus diesem globalen Blickwinkel heraus entsteht Gute Pässe Schlechte Pässe.

Welchen Wert hat Ihr Pass? Glück gehabt. Als deutscher Staatsbürger haben Sie einen guten Pass, mit dem Sie höchste globale Bewegungsfreiheit genießen. Aber wer oder was bestimmt den Wert eines Passes? Und was erzeugt seinen Ramschwert? Good or bad gouvernance?

Während Deutsche mit ihrem Pass ohne Visum oder einem Visum on arrival in 177 Länder dieser Welt einreisen können, wird Afghanen, die derzeit den schlechtesten Pass der Welt besitzen, nur in 25 Ländern vorbehaltlos die Einreise gewährt. Die scheinbare Selbstverständlichkeit von Grenzen und des überkommenen Nationalismus des 19. und 20. Jahrhunderts (Francois Mitterand: “Le nationalisme, c'est la guerre“) führt zu der Frage: Was markieren die Grenzen wirklich?

Im Mittelpunkt von Gute Pässe Schlechte Pässe – und ebenso zentral auf der Bühne – steht eine Mauer aus Menschen, die zwei sehr unterschiedliche Ensembles, eine zeitgenössische Tanzkompanie und eine aus der Welt des Nouveau Cirque, voneinander trennt.

Mit der Gegenüberstellung zweier Kulturen, deren Sprachen grundverschieden funktionieren, auch durch ihre deutlich voneinander abweichenden Arbeitsstrukturen, zeigt das Stück, in welchem Verhältnis zueinander nationale Grenzziehungen und damit einhergehend die Sehnsucht nach geschlossenen Gesellschaften steht. Es zeigt, wie selbstverständlich uns unsere Grenzen erscheinen und wie sehr der Nationalismus und damit das Verharren in der jeweiligen comfort zone, die Menschen daran hindert, die Welt außerhalb ihres closed shop denken zu können.

Gerade in einer globalisierten Welt gilt: Je mehr die Tänzer und Artisten als zwei grundverschiedene Theaterkulturen dazu übergehen, sich spiegelbildlich in ihren Bewegungssprachen anzunähern, desto dringlicher ziehen sie ihre Grenzen. Die einmal errichtete kulturelle Differenz scheint umso nötiger zu werden, desto deutlicher wird, dass die Grenze gar nicht oder nur virtuell existiert. Die Sehnsucht nach einer geschlossenen Gesellschaft führt zur Heiligsprechung ihrer eigenen Sprechweisen, sie insistiert auf eigene Körpertechniken, selbst wenn beide Nationen vor Minuten kein anderes Ziel kannten als ihre Grenzen zu überwinden.

Grenzen schützen. Und werden angegriffen. Diese Bühnengrenze wurde am 11. Dezember 2014 im Theater des Institut francais d'Afghanistan in Kabul radikal überschritten durch ein von Taliban verübtes Selbstmordattentat. Es geschah während der Aufführung des Stückes „Heartbeat: The Silence after the Blast“. Nach der Explosion herrschte panische Stille. Geschehen war eine politisch motivierte Grenzverletzung, die grausam mit einer ästhetischen Grenzerfahrung kollidierte.

Eben diese Kollision, die sich in unterschiedlichen ästhetischen Überzeugungen ebenso manifestiert wie in divergenten Glaubensrichtungen, in wirtschaftlichen Sanktionen und der Verfolgung von Asylsuchenden, lässt sich in Helena Waldmanns neuer Inszenierung auf die Bühne und ihre Gesetze selbst übertragen.

Ihre aus Körpern gebildete Grenze ist nie absolut, sondern äußerst beweglich. Sie ist einschüchternd, sie kann eine „vierte Wand“ genau so bilden wie einer „Mauerschau“ dienen, die der jeweils anderen Nation Eigenschaften zuschreibt, die diese nicht verdient. Artisten gegen Tänzer, Stumpfsinn gegen Freiheit, Religion gegen Religion, Ästhetik gegen Ästhetik – immer bestimmt hier eine Schieflage, eine fehlende Akzeptanz, eine bloße Zuschreibung die Sicht auf den anderen. Der Pass, seine Gültigkeit, sein Ansehen, seine Bewegungsfreiheit, die er garantiert oder nimmt, ist dabei der Casus knacksus. Der Pass, als erster Repräsentant des Nationalismus, wird auf Helena Waldmanns Bühne zum bloßen Fetisch degradiert.


eine Produktion von Helena Waldmann und ecotopia dance productions

In Koproduktion mit Theater im Pfalzbau Ludwigshafen (D), Hessisches Staatsballett im Rahmen von Tanzplattform Rhein-Main, ein Projekt des Hessischen Staatsballetts im Staatstheater Darmstadt und Hessisches Staatstheater Wiesbaden und Künstlerhaus Mousonturm, Frankfurt (D), Les Théâtres de la Ville de Luxembourg (L), Colours International Dance Festival Stuttgart (D), Kaserne Basel (CH), Kurtheater Baden (CH), Forum Freies Theater Düsseldorf (D), Tafelhalle Nürnberg (D)
gefördert durch den Fachausschuss Tanz und Theater BS/BL

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