GAUTHIER DANCE//DANCE COMPANY THEATERHAUS STUTTGART
PRESSESTIMMEN
MITREISSEND, BERÜHREND UND GANZ SPEZIELL
In der Schauburg zuvor hatten sich sogar die kleinsten Zuschauer "die Hände wundgeklatscht". Christian Spuck, einer der wenigen jungen Neoklassiker, die sich an Erzählballette wagen, hat 2007 Cervantes' "Don Quijote" mit wunderbar beflügelter Phantasie in ein Revue-Duett für Stuttgarts Altstar Egon Madsen und den Stuttgarter Superbeweger Eric Gauthier verwandelt. Und wie Egon & Eric im zugerümpelten Theaterfundus das Kind im Manne rauslassen, mit Spielzeug-Windmühlen fechten, sich die unerfüllte Sehnsucht nach Dulcinea rockend aus dem Herzen tanzen, ist mit das schönste Tanztheater, das wir letzthin gesehen haben: komisch, tragisch und zugleich tröstlich. Denn hier spiegelt sich ja Egon in Eric. Und umgekehrt. Und Alter mit seiner Erfahrung und Jugend mit ihrer Spannkraft fließen in eins.
Malve Gradinger, tanznetz.de 27.10.2008
ROSINANTE IST EIN SCHAUKELPFERD
Egon Madsen, Eric Gauthier: Komisch und rührend in „Don Q.“.
Der alte Ritter tanzt mit dem jungen Schwärmer. Zwei ehemalige Stars des Stuttgarter Balletts, Eric Gauthier und Egon Madsen, verfangen sich im Netz der Gefühle...
Das Ross steht bereit, ein Schwert ist auch da, und die Windmühle wartet am Horizont. Doch Rosinante ist nur ein Schaukelpferd, das Schwert ein Kinderspielzeug, die Windmühle, hoch oben auf dem Kleiderschrank, winzig klein, und Don Quijote ist müde. Gegen die Melancholie helfen auch die Faxen und Lazzi des energiegeladenen Gefährten wenig. Der alte Mann kramt in der Kiste mit den Erinnerungen, zieht all die unerfüllten Sehnsüchte und zerstörten Illusionen hervor, träumt von der Liebe und weint im Schlaf.
„Don Q.“ nennt Christian Spuck, Haus-choreograf des Stuttgarter Balletts, die „nicht immer getanzte Revue über den Verlust der Wirklichkeit“, die er, inspiriert von Miguel de Cervantes' Roman „Don Quijote“ und auch Samuel Becketts Stück „Warten auf Godot“, eigens für das ungleiche Paar Egon Madsen und Eric Gauthier, geschrieben hat. Am vergangenen Donnerstag war Premiere im Stuttgarter Theaterhaus.
Die Geschichte vom mühseligen, trüben Alltag der beiden, in einer durchsichtigen Schachtel gefangenen Gefährten, die nichts mehr zu erwarten haben und dennoch auf das große Wunder hoffen, lebt vom ironischen Spiel mit dem Altersunterschied der beiden Tänzer. Egon Madsen hat als Mitglied des legendären Stuttgarter Balletts unter John Cranko Ballettgeschichte geschrieben und war zuletzt künstlerischer Leiter des von Jiri Kylián gegründeten Nederlands Dans Theater III. Heuer hat Madsen seinen 65.Geburtstag gefeiert und ist damit mehr als doppelt so alt wie Eric Gauthier.
Nimmermüde Bühnenpräsenz
Gauthier ist gerade 30 geworden und hat sich als Solist vom Stuttgarter Ballett verabschiedet, um selbst ein Ensemble zu leiten, zu choreografieren, zu dichten und mit seiner Rockband Royaltease zu singen. Der eine darf noch von einer Zukunft träumen, der andere nur noch von der Vergangenheit. Beide tun dies in der mit Tanzzitaten und Anspielungen, komischen Einlagen und akrobatischen Nummern gewürzten Choreografie voll nimmermüder Bühnenpräsenz und einer vis comica, um die sie so mancher Mime beneiden darf.
Im perfekten Timing tanzen und tänzeln Don Q. und Sancho P. himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt auf der Gefühlsskala, unterstützt von Musik aus allen Ecken. Spucks Musikkonzept koppelt Franz Schuberts „Winterreise“ mit Perez Prados Mambobeat, lässt Ludwig Minkus' Ballettmusik zu „Don Quijote“ von James Browns Soulnummer „I feel good“ ablösen und mixt auch Alfred Schnittke und György Kurtàg dazu. Weil die beiden in ihrem Gehäuse so komisch und so rührend und überaus musikalisch sind, passt auch das.
TERMINE
Österreichpremiere von „Don Q.“ in der Choreografie von Christian Spuck: Am 17.Mai 2008 im Festspielhaus St.Pölten.
Ditta Rudle, Die Presse, Print-Ausgabe, 11. September 2007
TANZLEGENDE EGON MADSEN WIEDER ON STAGE
Christian Spuck choreografierte in Stuttgart "Don Quixote" als Revue
Ganz Tanz-Stuttgart und darüber hinaus war auf den Beinen, um die Uraufführung "Don Q. - Eine nicht immer getanzte Revue über den Verlust der Wirklichkeit" von Christian Spuck im Theaterhaus zu sehen.
Letzterer ist Haus-Choreograf am Stuttgarter Ballett und große Hoffnung im Klassik-Bereich. Spuck inszenierte die zeitgenössische Paraphrase auf den Cervantes-Helden mit zwei Größen: Mit der Tanz-Legende Egon Madsen, der zu den maßgeblichen Künstlern zählte, mit denen Choreograf John Cranko in den 60er-Jahren das Stuttgarter Ballettwunder zuwege brachte. Und mit dem 30-jährigen Solisten Eric Gauthier, der heuer mit seinem ersten eigenen Ensemble am Theaterhaus startet.
Alt und Jung bestimmen denn auch die Thematik des munteren, von Slapstick wie von ruhigen, berührenden Momenten durchsetzten Abends. Klug nutzt Christian Spuck den bekannten Ballettklassiker "Don Quixote", spielt in seiner mutigen Nummernfolge mit Schubert-Liedern, Disco-Songs und Schnittke-Walzermotiven auch die alte Tanzmusik eines Ludwig Minkus ein.
Mit den Klängen assoziiert das Publikum ein Ballettmärchen. Auf der Bühne aber trotzen die beiden Männer wie Don Quixote und Sancho Pansa in einem voll geräumten Zimmer der Realität ihre Luftschlösser ab. Madsen geht nicht nur mit dem Ferngucker auf die Suche nach seiner Dulcinea, die er in einem Kasten zu finden glaubt. Er scheint auch auf der Suche nach einer verloren geglaubten Zeit, die ihm der spitzfindige Sancho mitunter als Alter Ego einzubringen scheint.
Immer wieder tanzen die beiden ausdrucksstarken Persönlichkeiten im Gleichtakt. Spuck hat für diese Szenen eine geschmeidige, mitunter tollpatschig wirkende Sprache mit witzigen Momenten entwickelt. Die Intensität aber entlädt sich in den besinnlichen Szenen, wenn offensichtlich wird, dass Don Q. aus seinen Sinnesverwirrungen zurückkehrt. Wie ermutigend aber, doch seinen Wünschen nachhängen zu können, auch wenn die Realität eher der Trostlosigkeit eines Beckett entspricht. Riesen-Applaus.
Andrea Amort, Der Kurier, Wien, 8. September 2007
IM TOLLKÜHNEN CROSSOVER ZWISCHEN DEN GATTUNGEN
Egon Madsen, Eric Gauthier und Christian Spuck mit „Don Q“ im Theaterhaus
Don wer? Natürlich Quijote, El ingenioso Hidalgo de la Mancha, Ritter von der traurigen Gestalt, der seit 1600 in vielerlei Metamorphosen durch die Welt geistert - als Romanheld, auf dem Theater als Oper, Ballett, Musical und Schauspiel, im Film, in der Malerei und Grafik. Und nun also auch als „Eine nicht immer getanzte Revue über den Verlust der Wirklichkeit“ auf der Bühne des Theaterhauses Stuttgart, koproduziert mit dem Grand Théâtre de Luxembourg in Kooperation mit dem Stuttgarter Ballett zum 80. Geburtstag von John Cranko. Gefeiert vom Publikum mit donnerndem Applaus – sozusagen als Auftakt der Cranko-Jubiläumsfestivitäten.
In dieser Produktion vermischen sich Tanz, Pantomime, Schauspiel und Show wie die musikalischen Genres zwischen Minkus, Schubert, Schnittke und Pop, grüßt Cervantes von fern (sehr fern) via Anouilh und Max Frisch (das Programmheft beruft sich sogar auf Beckett). Vor allem aber auch die Generationen von Senioren und Youngsters. Und mit ihnen mischen sich die Ebenen von Realität und Traum, von Alltagsbanalität und utopischem Ideal – von heldisch posierendem Machismo und herzenswarmer Zärtlichkeit. Und auch die Grenzen zwischen den Geschlechtern verfließen, wenn Dulcinea als Transe auftritt. Und nicht zuletzt die Zeiten, wenn Egon Madsen, einer der Gründerväter des Stuttgarter Balletts aus der Cranko-Ära, kumpelhaft an der Seite von Eric Gauthier auftritt.
Wer sehnt sich hier nach wem – der Senior nach den Sprüngen des Luftikus von heute, oder der Disco-Fan nach der Weisheit und Erfahrung des Vaters? Es ist der tollkühne Mix, der den Reiz dieser Produktion ausmacht. In gewisser Weise treffen sich hier ein Delegierter der ersten Kompanie des Nederlands Dans Theaters mit einem Abgesandten des nicht mehr existierenden Nederlands Dans Theater III. Wobei Spuck als koordinierender Regisseur und Choreograf tief in die Trickkiste des Theaters greift und beweist, wie er sich in deren Mitteln auskennt – bis hin zu dem ferngesteuerten Windmühlen-Modell.
Autor: oe © tanznetz.de 1996-2004
KEIN TANZ-KAMPF GEGEN WINDMÜHLEN
Hervorragende Produktion Don Q. mit Egon Madsen und Eric Gauthier
Spuck hat zusammen mit den beiden Tänzern Szenen geschaffen, die den Hauch der Einmaligkeit verströmen, bei denen man den Eindruck hat, nur die beiden können in dieser Konstellation diese Faszination, diese Bühnenpräsenz vermitteln.
Entstanden ist ein Abend, wie es ihn bisher noch nicht gibt.
Armin Bauer, Ludwigsburger Kreiszeitung, 8. September 2007
AUF SCHAUKELPFERD UND DRAHTESEL
Stuttgart - Sie passen zusammen wie Pfeffer und Salz, der 30-jährige Ballettsolist Eric Gauthier und der 65-jährige weiß-gelockte Ex-Tänzer Egon Madsen. Mit „Don Q.“ hat der Choreograf Christian Spuck den beiden eine, wie es im Untertitel heißt, „nicht immer getanzte Revue über den Verlust von Wirklichkeit“ auf den Leib geschneidert. Das Premieren-Publikum feiert im Theaterhaus stürmisch die Uraufführung, bei der von der Besetzung übers Bühnenbild bis zu Musik und Dramaturgie alle Zutaten stimmen.
„Dulcineaaa!“ ruft Egon Madsen alias Don Q. am Boden liegend und zuckt mit den nackten Beinen. Die reale Welt von Egon und Eric alias Sancho Pansa ist nostalgisch und begrenzt. Umso lieber schweifen sie in Gedanken aus dieser Rumpelkammer in fantasievolle Ferne. Statt auf Gaul und Esel wie im Roman von Cervantes reitet das ungleiche Paar auf einem Schaukelpferd und einem Drahtesel durch die fiktive Mancha ausrangierter Dinge, einem Spitzweg-Idyll gleich ausgestattet mit Klavier, Büchern, Damenschuhen, einem Filmprojektor und unzähligen Schachteln.
Manche stehen nur rum, stumme Zeugen ihrer Geschichte, andere wie ein Tisch und Stühle, werden umgarnt zum Surrogat-Partner von Gefühlsausbrüchen und Liebesbekundungen. Wie von Zauberhand gehen die Schranktüren auf, und Dulcinea (Gauthier) erscheint als Blondine im flamingofarbenen Abendkleid. Kurz und unerreichbar, eine Fata Morgana, die den Originaltext wunderbar persifliert: „Ihre Schönheit ist überirdisch, ihre Haare sind Gold, ihre Stirn ein Paradiesgarten...“
Die Musik von Schubert, Schnittke und clever eingesetzte Fragmente aus Minkus’ Don Quijote-Ballettmusik bis zu Discomusik von James Brown wird zu virtuosen, raumgreifenden neoklassischen Sprung-Sturz-Roll-Varianten Gauthiers genutzt. Mal zuckelt das Paar als parodistisches Tandem - Keaton und Chaplin lassen grüßen - durch den Raum, mal schneiden sie Grimassen. Hintergründig verweist der Choreograf auf die Musik als unsere Projektionsfläche bei der Realitätsflucht. Ein Meisterstück im Kammerformat, das Cranko, dessen 80. Geburtstag damit gedacht wird, bestimmt prima gefallen hätte.
Leonore Welzin, Heilbronner Stimme, 8. September 2007
BALLETT / CHRISTIAN SPUCKS CHOREOGRAFIE "DON Q." MAMBO IN DER RUMPELKAMMER
Ein Tanzdoppel mit Egon Madsen und Eric Gauthier im Stuttgarter Theaterhaus
Man nehme: Zwei Bewegungskünstler unterschiedlichen Alters, einen einfallsreichen Choreographen und eine Menge Spaß. Das ergibt "Don Q." im Theaterhaus.
Als Egon Madsen 1961 zum Stuttgarter Ballett stieß, war Eric Gauthier nicht mal geboren. Zwei Tänzer-Generationen, die so verschieden doch nicht sind: Beide blieben in der Cranko-Truppe oder danach immer eher der Mercutio als der Danseur noble; immer eher die tänzerische Frohnatur, allerdings mit Brüchen und Blicken in den Abgrund versehen.
Anders als der Däne Madsen, der es nach Frankfurter, Stockholmer und Florentiner Ballettdirektor-Jahren nun ausgerechnet mit Eintritt ins Rentenalter erleben muss, wie seine letzte Großtat (die fabelhafte Seniorentruppe des Nederland Dans Theaters) schnöde abgewickelt wird, bricht der Kanadier Gauthier gerade erst zu neuen Ufern auf. Er richtet nach der Stuttgarter Solistenzeit jetzt im Theaterhaus eine eigene Tanzsparte ein.
Praktisch im Vorlauf dazu nun das Doppel "Don Q.": zwei hintergründige Spaßmacher, absolut satisfaktionsfähig im Duell der Generationen, das wiederum von dem generationsübergreifenden Thema der Enttäuschung nach der Täuschung handelt. Im Mittelpunkt steht der Roman-Held Don Quichotte, diese Blochsche "Leitfigur der Grenzüberschreitung", den inneren Zwist zwischen Wahnwelt und Wirklichkeit nach außen tragend. Christian Spucks prägnante Choreographie verknappt die romanische Vorlage aufs Äußerste: zu jenem "Don Q.", einem alternden, in seinem schwerer werdenden Körper gefangenen Traum-Tänzer. Den umschwirrt aber ein leichtfüßiges Alter ego, mal als Dulcina-Projektion, als juveniler Sancho Pansa oder zumeist als becketthafter Clochard-Bruder im Geiste zu Liedromantik und Schlager-Rhythmen.
Anfangs sind gleich mal die Hosen heruntergelassen; und zwischendurch wird rekordverdächtig kampfgrimassiert, trockenhumorig ein Mambo geschoben oder auch nur energiesparend mit flinken Fingerkuppen getanzt. Die enorme Spannung, die sich auf der Rumpelkammerbühne (mit Schaukelpferd-Rosinante und einer putzigen Mini-Windmühle) aufbaut, sie entsteht durch die Gegensätze: Madsen ist der ausdrucksstarke Minimalist mit sparsamer Gebärdensprache, Gauthier eher der Wirbelwind, ein Franck Ribéry des Tanzbodens.
Dazwischen finden sie sich aber immer wieder zu plastischen Synchronstrecken, vor allem zu dem intelligenten Jux, den sie sich mit dem armen Ritter von der traurigen Gestalt auch machen wollen. Das ist ihnen gelungen: Das Publikum raste.
VON WILHELM TRIEBOLD, Bietigheimer Zeitung, 8. September 2007
SEI MEINE DULCINEA
Keine Minute langweilig: Im Stuttgarter Theaterhaus feiert das Tanzstück „Don Q.“ mit Egon Madsen und Eric Gauthier Premiere
Stuttgart - Sind es Don Quixote und sein Diener Sancho Pansa, die sich gegenseitig trösten, oder sind es Wladimir und Estragon? „Don Q.“, die neue und „nicht immer getanzte Revue über den Verlust der Wirklichkeit“, zieht im Theaterhaus eine direkte Linie von Cervantes zu Beckett. Zwei traurige Clowns zaubern sich Illusionen vor und verzweifeln vor sich hin, sie warten auf Godot oder auf Dulcinea, auf irgendwas, wahrscheinlich den Tod.
„Don Q.“ ist in der Ballettwelt das liebevolle Kürzel für das alte Petipa-Schlachtross „Don Quijote“. Auf diesen sonnendurchfluteten, heiteren Ballettklassiker bezieht sich die erste eigene Tanzproduktion des Stuttgarter Theaterhauses seit langer Zeit, und die erste mit dem neuen Tanzchef Eric Gauthier. Er ist das junge Gegenüber zum weiß gelockten Egon Madsen, auch er ein früherer Publikumsliebling beim Stuttgarter Ballett wie Gauthier und mehr als doppelt so alt wie dieser. Die subtile Schauspielkunst dieser beiden Tänzer trägt das 70-minütige Zwei-Personen-Stück, das, obwohl es um das Vertreiben der Zeit geht, nicht eine Minute langweilig ist.
Sauber aufgereiht steht Mobiliar am Rande eines genau abgegrenzten Raumes (Ausstattung: Emma Ryott), den die beiden Eingesperrten nie verlassen: ein kaputtes Klavier, ein Fahrrad, Kleider, Kartons und Koffer. Rosinante ist ein Schaukelpferd, eine kleine Windmühle lugt übers Schrankeck. Wir sehen einen Tag vom Aufstehen bis zum Schlafengehen, gefüllt mit gut einstudierten Ritualen des fröhlichen Verdrängens. Das fängt mit Grimassenschneiden an, geht über Teebeutelweitwurf bis zum Konfettiregen. In den besten Momenten vergessen sie sich völlig und toben glückselig vor Albernheit über die Bühne. Aber immer wieder bricht die Illusion zusammen, hinterlässt immer größere Depression, gegen die zu kämpfen immer mühsamer wird.
Grummelnd und muffelnd, aber mit unendlicher Liebe (also genau wie Sancho Pansa) kümmert sich der Jüngere der beiden darum, dass der alte Träumer glücklich ist - er spielt ihm die Windmühlen vor, gegen die sich zu kämpfen lohnt, er holt die Karnevalshütchen raus, ja er zaubert ihm eine Vision der ersehnten Dulcinea vor, macht sich als blonde Drag Queen so schrecklich lächerlich, dass einem die Tränen kommen. Wenn er zu übermütig wird und sich zu wohl fühlt, dann quält ihn der Alte, aber selbst das erträgt der Junge, stoisch und traurig. Er tut einfach alles, um diese entsetzliche Verlorenheit zu vertreiben, die in Egon Madsens Augen aufscheint, wenn Don Quixote in die Wirklichkeit erwacht. Es kommt einem fast unheimlich vor, wie stark sich diese beiden Tanzschauspieler ähneln - in ihrer Fähigkeit, mit einem schiefen Blick den Saal zum Brüllen zu bringen, in ihrer Energie und kindlichen Begeisterung, in ihrer schmerzvollen Intensität.
Unterbrochen durch originelle Einlagen von Shuffle bis Disco sieht der Tanz anfangs noch ganz Spuck-typisch aus, später aber werden die Bewegungen der tröstenden Duos und resignierten Solos immer ausdrucksvoller, immer wahrhaftiger. Meisterhaft zeigt Spuck den schmalen Grat, auf den sich die Beziehung gerettet hat, die ständig kippende Balance zwischen Lachen und Weinen. Wohl nennt er seinen „Don Q.“ eine Revue, was für die Collage aus Schubert-Liedern, Schnittke, lautem Feelgood-Pop und Ausschnitten aus Ludwig Minkus‘ Ballettmusik sicher zutrifft. Die Dramaturgie aber läuft stringent durch, der Weg in den Abgrund wird immer steiler. Für den traurigsten aller Don Quixotes und den treuesten aller Sancho Pansas bleibt einzig die Farce als letzte Zuflucht vor dem Nichts, aber „Don Q.“ ist kein purer Existenzialismus. Das Stück wagt mehr Hoffnung als sein Vorbild Beckett, weil es bei aller Verzweiflung an Trost und Liebe glaubt.
Angela Reinhardt, Eßlinger Zeitung, 8. September 2007
„DON Q"-PREMIERE - JUNGSPUND TRIFFT AUF ALTSTAR
Egon Madsen und Eric Gauthier, ehemaligen Solisten des Stuttgarter Ballets, stehen im Theaterhaus gemeinsam auf der Bühne
Stuttgart - Ein Jungspund und ein alter Sturkopf sind gefangen in einer gigantischen Box. Es gibt kein Entrinnen - dafür aber ein Schaukelpferd, ein rostiges Fahrrad, Windmühlen und einen mysteriösen Kleiderschrank. Nicht nur der skurrile Rahmen bestach bei der Tanzrevue "Don Q", die am Donnerstag in Stuttgart uraufgeführt wurde. Die Rollen der Protagonisten wurden getanzt von zwei früheren Stars des Stuttgarter Balletts: Egon Madsen und Eric Gauthier. Beide waren dort einst Solotänzer, jedoch in verschiedenen Generationen. Madsen ist 65 Jahre alt, sein ehemaliger Schüler Gauthier 35 Jahre jünger.
Der Altersunterschied verleiht dem Stück seinen besonderen Charme: Jugendlicher Übermut trifft auf betagten Eigensinn - und wie im realen Leben ergänzen sich die beiden und reiben sich aneinander. Vor allem aber ist in der Box jeder des anderen einzige Gesellschaft. So bringt der junge Gauthier seinem Tanzpartner beflissen eine Tasse Tee - und legt immer wieder Teebeutel nach, als dieser sie im Takt der Musik griesgrämig von sich schleudert.
Die Handlung ist zwar begrenzt auf einen einzigen Raum, doch darin geht es um große Gefühle: Um Sehnsüchte und bittere Enttäuschung, um Träume und Realität und die Flucht vor dem lähmenden Alltag. Im Kleiderschrank taucht plötzlich Dulcinea, eine Diva im bonbonfarbenen Tüllkleid auf und verzaubert den alten Mann - bis er erschüttert begreift, dass er die Traumgestalt nie erreichen wird.
Der Choreograf Christian Spuck - seit sechs Jahren Hauschoreograf am Stuttgarter Ballett - hat sich für das Stück von Cervantes' Roman "Don Quijote" inspirieren lassen. In der Welt, die Spuck auf der Bühne entstehen lässt, wechseln sich Euphorie und Trübsinn rasant ab. Die vielseitige Musik von Franz Schubert bis James Brown ist abwechselnd melancholisch und quirlig, wehklagend und unbeschwert. Die Tänzer kämpfen gegen Windmühlen, übertrumpfen sich im Grimassenschneiden und grooven im Gleichschritt über die Bühne - um im nächsten Moment niedergeschlagen in der Ecke zu kauern.
"Das Besondere an dem Stück ist die Verbindung zwischen Eric und mir. Die Vibration zwischen uns stimmt. "Don Q" wurde extra für uns geschrieben", sagt Madsen. Der Däne kennt Gauthier vom Stuttgarter Ballett, wo er nach seiner Karriere als Solotänzer in den Neunzigern zum Ballettmeister und Vize-Direktor ernannt wurde. Zuhause ist Madsen heute in Italien. Wenn er nicht auf Bühnen steht, kümmert er sich dort um seine Oliven.
Gauthier ist die Arbeit am Ballett in Stuttgart nach elf Jahren zu eintönig geworden. Im vergangenen Jahr hat er dort aufgehört und sich seinen vielen anderen Projekten zugewandt. Der 30-jährige Kanadier tanzt nicht nur, sondern spielt Gitarre, singt und schreibt Texte für seine Rockband Royaltease. Von Oktober an leitet er sein eigenes Tanzensemble am Stuttgarter Theaterhaus.
Heike Sonnberger, dpa, 7. September 2007
GETRÄUMT – UND DAS LEBEN VERSÄUMT
Auf der Ballettbühne sieht Don Quichotte meist ziemlich alt aus. Gerade in Stuttgart, wo Maximiliano Guerra mit Lust am Dekor dem hiesigen Ballett die düstersten Stunden bescherte, hat man keine guten Erinnerungen an den Mannvon La Mancha. Die Ehrenrettung, zu der sich Christian Spuck aufgemacht hat, kommt da gerade recht: „Don Q.“ nennt sich seine Nummernrevue, die den Ritter fit fürs 21. Jahrhundert macht – und die nach der umjubelten Premiere am Donnerstag dem Theaterhaus einen vollen Saal garantiert.
Humor und Melancholie, Schauspiel und Tanz, Slapstick und Ennui gehen hier so schöne Allianzen ein, dass Lachen auf Weinen, Albernes auf Abgründe trifft. Aber was sollte mit zwei Bühnentieren, wie es die Multitalente Egon Madsen und Eric Gauthier sind, schon schiefgehen? Und es durfte auch nichts schiefgehen. Schließlich war die Idee zu diesem Stück ausschlaggebend für die Gründung eines Ensembles im Theaterhaus, dessen Leitung man Eric Gauthier anvertraute.
Zwar hat „Don Q.“ nichts mit der neuen Kompanie Gauthier Dance zu tun, die im Oktober ihre Arbeit aufnimmt – und doch will der einstige Publikumsliebling des Stuttgarter Balletts mit dieser Produktion an seiner neuen Wirkungsstätte das in ihn gesetzte Vertrauen einlösen.
Und das gelingt ihm mit dem Choreografen Christian Spuck und dem Tänzerkollegen Egon Madsen als Verbündeten auf wunderbare Weise. Alles ist an seinem Platz in dieser Miniaturausgabe, die den Kosmos von Cervantes Meisterwerk mit zwei Tänzern immerhin anzudeuten vermag. Spucks bewährte Ausstatterin Emma Ryott hat die Welt des Ritters aus Trödel nachgebaut: Rosinante ist ein Schaukelpferd, es gibt einen alten (Draht-)Esel, die Andeutung einer „Biberlothek“, eine blondperückte Dulcinea im Schrank, ein Schwert und eineWindmühle, die am Ende ein ferngesteuertes Eigenleben entwickelt.
Vor diesem Fond erwachen zwei Männer aus ihren Träumen – oder machen sie nur ihre Träume sichtbar? Der Junge ist der Schatten des Alten, als sie hintereinander herlaufen, der Alte das Spiegelbild des Jungen, als sie, am Tisch sitzend, Arme, Hände, Oberkörper tanzen lassen. Sparsam, präzise sind Bewegungen gesetzt. Hochmusikalischer Fluss, kantiges Aufbegehren, Arme, die Volumen zu umfassen scheinen: Für Spuck-Vertraute ist „Don Q.“ auch ein Rätselabend – was kennt man so oder ähnlich aus früheren Balletten? Den komischen Kampf gegen Windmühlen bestimmt nicht.
Dem Senior Madsen mutet Spuck viel zu; und Gauthier darf, als er sich aus dem Windschatten des Alten löst, kunstvoll Bodenhaftung verlieren. In 22 Szenen, so lang wie eines der schmerzvollen Lieder Schuberts oder einer der treibenden Songs von Iggy Pop, entwickelt dieses Paar in seinen Beziehungen großen Facettenreichtum. Was sind die beiden, Don Quichotte und Sancho Panza? EinAlter, der sich an die uneingelöstenTräume seiner Jugend erinnert? Ein Junger, der noch an dieWindmühlen glaubt, die der Alte in Stücke hauen will? Vladimir und Estragon, die vor lauter Warten wieder das Leben verpasst haben? Zwei Liebende, die den Crash mit der Realität nicht unbeschadet überstehen? Raus aus den Träumen, rein ins Leben ist vielleicht die Botschaft, die uns Spuck, ein Spezialist für getanzteWirklichkeitsverluste, nach seiner Don-Quichotte- Lektüre mit auf den Weg gibt. Das jedenfalls ist sicher: Eine Szene aus „Don Q.“ wird uns noch häufiger begegnen. Wie der Rhythmus von James Browns „I feel good“ dem Duo in die Glieder schleicht, wie der Alte erst den Jungen, dann die Musik gängelt – das kann als Gala-Nummer glänzen.
Andrea Kachelriess, Stuttgarter Nachrichten, 8. September 2007
ZWEI MÄNNER, DIE SICH NOCH RICHTIG MUT MACHEN KÖNNEN
„Don Q.“: im Stuttgarter Theaterhaus suchen die Tänzer Egon Madsen und Eric Gauthier nach einer blonden Dulcinea
Was für eine Liaison! Welch ein Traumpaar! der Alte und der Junge, der Weß- und der Dunkelhaarige, der Sinnlich-Kompakte und der Agil-Durchtrainierte - kein Zweifel, von Anfang an: für die neue Stuttgarter Tanzproduktion Don Q. haben sich der Mittsechziger Egon Madsen und der Geradedreißiger Eric Gauthier gesucht und gefunden.
Diese siebzig Minuten, die ihnen der Choreograf Christian Spuck für die Bühne des Theaterhauses auf die beiden so unterschiedlichen Leiber geschrieben hat, gehören zweifellos zum Schönsten, Witzigsten und Anrührendsten, was der hiesige Tanz seit langem zu bieten hat. Sie waren damit zugleich ein Auftakt nach Maß für die neue Tanzsparte mit welcher der Theaterhaus-Chef Werner Schretzmeier sein Unternehmen von der neuen Saison an zusätzlich schmücken will.
Madsen und Gauthier sind allein deswegen ein Traumpaar, weil sie mit ihrem Tanzen und Treiben den Zuschauern eine ideale Projektionsfläche bieten für all das, was man je in ihnen sehen will. Denn wer sind die beiden Herren dort auf der Bühne eigentlich? Handelt es sich tatsächlich, wie der Titel des Abends nahe legt, um zwei Erben des Don Quixote und Sancho Pansa in irgendeinem Spätzustand der menschlichen Evolution? Oder sind es nicht eher zwei Brüder von Wladimir und Estragon aus Becketts „Warten auf Godot“? Sind sie vielleicht ein Liebespaar, das schon ein paar gemeinsame Jährchen auf dem Buckel hat? Oder eher Lehrer und Schüler? Vater und Sohn? Oder sind es gar nur Verkörperungen zweier Seelen, die letztlich in einer Brust schlummern?
Halb hinter Kartons verborgen
Der Alte braucht jedenfalls am Anfang eine ganze Weile, bis er, halb hinter Kartons verborgen, neu zum Leben erwacht, bis ihm der Junge in die Hose und in die Tanzschuhe geholfen hat. Was sich alsdann abspielt auf der großen schwarzen Bühne, die mit ihrem skurril zusammen gewürfelten Mobiliar an einen Dachboden erinnert, das kommt rein äußerlich wie eine Revue kleiner skurriler Szenen daher, mal urkomisch, mal todtraurig, das erzählt auf den zweiten und dritten Blick aber eine komplette und überaus anrührende Geschichte. Mit „Don Q.“ gelingt es dem Choreografen Christian Spuck, mit den Mitteln des Tanzes an einer kleinen, feinen Philosophie des Lebens, des Scheiterns und der Hoffnung zu spinnen. Ganz still. Fast wie nebenbei. Auch darum ein großer Wurf.
Mit einem kleinen Fratzenwettbewerb richten sich Madsen und Gauthier aneinander auf. Mit einem filigranen Stuhltanz kommen sie so recht in Schwung. Mit einem Teebeutelschleudern finden sie den passenden Takt. Zur Musik von Alfred Schnittke, Ludwig Minkus, Franz Schubert, James Brown oder Iggy Pop schliddern sie fortan furios über alle Höhen und durch viele Tiefen menschlicher Stimmungen, stets angetrieben von jener blonden Dulcinea, der Vision aus einem Kleiderschrank heraus in regelmäßigen Abständen zumindest den älteren von beiden mächtig in Fahrt bringt. Wieder einmal gelingt es Christian Spuck, dem Hauschoreografen des Stuttgarter Balletts, mit seiner prägnanten Bewegungssprache, Elemente und Figuren des modernen Tanzes virtuos zu verknüpfen mit Gesten des Alltags und des sehr praktischen Lebens. Das macht diesen Tanzabend einerseits unprätentiös und latent ironisch. Das verrät aber andererseits zu keinem Zeitpunkt seine Figuren oder gibt sie gar der Lächerlichkeit preis. Ganz im Gegenteil: all das, was wir an Skurrilitäten sehen, ist ebenso würdevoll wie wahrhaftig. Letztlich sehen wir stets ein wenig von uns selbst.
Jedenfalls: raus aus ihrem Zimmer kommen die beiden Kerle den ganzen Abend nicht (Bühne: Emma Ryott). All das, was wir von Don Quixote kennen – die Sehnsucht nach der großen Liebe, der Kampf gegen die Windmühlen, der Ritt auf Pferd oder Esel – all das wird hier zum reinen Budenzauber, vom einen für den anderen inszeniert. Der Beobachter ahnt schnell, dass auch die beiden ahnen, wie sie sich hier immer nur gegenseitig an der Nase herumführen. Ist das ein Spiel? Ein Ritual? Was treibt sie an?
Kein Wunder also, dass wir irgendwann schaudernd in einen Abgrund blicken. Die Grenzen zwischen Schabernack und Entsetzen sind eben fließend. Welch großartige fünf Theaterminuten, in denen Spuck, Madsen und Gauthier zum im Grunde ja heillos ausgelutschten „I feel good“ von James Brown alles konterkarieren, was der Zuschauer zu dieser Musik zu sehen gewohnt ist. Da fühlt sich auf der Bühne irgendwann ganz sicher niemand mehr gut, und einen Moment lang glaubt der Zuschauer, dieser „Don Q.“ könnte auch ein sehr bitteres Ende nehmen. Just diese Unsicherheit grenzt das Stück im Übrigen wirkungsvoll ab von jener gefälligen Clownerie, wie sie im Theaterhaus ansonsten gern mal gepflegt wird.
Anschub für eine feste Kompanie
Der Abend stimmt den Zuschauer auch deswegen froh, weil er in Kooperation mit dem Stuttgarter Ballett den wirkungsvollen Anschub bietet für eine feste Kompanie, die künftig unabhängig von eben jenem Stuttgarter Ballett noch mehr Tanzproduktionen in der Landeshauptstadt liefern soll. Vom 1. Oktober an wird Eric Gauthier auf dem Pragsattel seine eigene kleine Truppe von sechs Tänzern leiten. „Don Q.“ belegt, das es für eine solche Kompanie Formen und eine Bildersprache geben kann, die exakt zwischen dem großen Spielbetrieb des Staatstheaters und den ästhetischen Experimenten der freien Szene die Kunstform Tanz in dieser Stadt befördern, ihr neue Impulse und womöglich gar neues Publikum bescheren kann.
Was bleibt am Ende von „Don Q.“? Die beiden Tänzer kehren zum Start zurück. Der Alte liegt wieder halb hinter den Pappkartons, der Junge hält die Tanzschuhe hoch. Geht jetzt alles von vorne los? Leben wir in einer Endlosschleife der unerfüllten Träume und trügerischen Hoffnungen? Wer mag, kann diesen Schluss so bitter deuten. Es gibt aber eine andere Möglichkeit. Man kann sich auch schlicht darüber freuen, dass der Tanz offenbar kein Ende findet. Egon Madsen und Eric Gauthier – ein Traum geht weiter.
Tim Schleider, Stuttgarter Zeitung, 8. September 2007