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goto homepage (ecotopia dance productions: press clippings Gauthier Dance//Dance Company Theaterhaus Stuttgart - Gala 10.4.2010 Theaterhaus Stuttgat)

GAUTHIER DANCE//DANCE COMPANY THEATERHAUS STUTTGART

PRESS CLIPPINGS

Seit 2007 leitet Eric Gauthier im Theaterhaus eine eigene Tanzkompanie. Von Beginn an hatte der Sohn eines kanadischen Alzheimer-Spezialisten den Wunsch, die Erforschung dieser Krankheit zu fördern. Am Samstag war es so weit: Im ausverkauften Theaterhaus begrüßte er 1100 Gäste zur Benefiz-Gala.

Musiker haben Noten und einen Dirigenten, der zeigt, wo"s langgeht, Schauspieler eine Textvorlage und zur Not den Souffleur. Und Tänzer? Sie müssen im Rampenlicht allein auf sich, auf ihr Gedächtnis vertrauen. Die Kraft der Erinnerung ist ein wichtiger Aspekt im Umgang mit Tanzkunst. Das mag erklären, warum viele der Kollegen Eric Gauthiers so bereitwillig seiner Einladung zu einer besonderen Benefiz-Gala nach Stuttgart gefolgt sind, mit welcher der kanadische Tänzer und Kopf von Gauthier Dance einen Beitrag zur Erforschung der Alzheimer-Krankheit leisten will.

Rund 50 Tänzer, darunter drei KompanieDirektoren, freuen sich am Ende einer langen, schönen Gala-Nacht, als rote Rosen, vom Gauthier-Dance-Sponsor gestiftete Breuni-Bären und viel Applaus auf sie herabregnen und Eric Gauthier einen Scheck in Höhe von 11 000 Euro an das Zentrum für seelische Gesundheit der Heidelberger Universität überreichen darf. Dass der Anlass des Tanzfestes ganz bewegend auch auf der Bühne zum Thema wurde, war ein bisschen dem Zufall, vor allem aber den Gästen aus München und Mannheim zu verdanken.

"The Old Man And Me" heißt das Stück, das Ivan Liska, Direktor des Bayerischen Staatsballetts, und Judith Turos, einstiger Star der Kompanie, mitgebracht haben und das an diesem Abend am meisten anrührte. Hans van Manen erzählt darin von der Begegnung eines alt gewordenen Paars; er tut das nicht mit dem Sarkasmus, mit dem er in "Sonntag" zwei Senior Lovers auf Treibjagd ums Sofa schickt. Der Mann, den uns Liska zeigt, scheint von der Löschmaschine des Alters aller Gefühle beraubt, mit leerem Blick antwortet er auf die kessen Attacken der Dame. Ihr gelingt es, über Bewegungen auch Regungen in ihn zu bringen - mit der Erinnerung kehren die Gefühle zurück.

Dass man durch den Blick zurück auch Kraft für die Zukunft schöpft, deuten Kevin O"Day und Luches Huddleston in "Full Bloom" an. Mit zwei Kollegen, wie er über 40, hat sich der Mannheimer Ballettchef dieses Stück ausgedacht; sehr melancholisch fühlte sich der Ausschnitt an - zwei Männer, in der Blüte des Lebens, suchen in ihrer Freundschaft Mut fürs Morgen.

Diese Selbstvergewisserung ist mehr als einer Million Menschen in Deutschland verwehrt; so groß ist die Zahl der am Demenzsyndrom Erkrankten, durch die Überalterung der Gesellschaft steige sie rasant, wie Eric Gauthier seine Gäste informiert. Für einen Tänzer ist der Verlust des Gedächtnisses fatal. Welche Auffassungsgabe diese Kunst voraussetzt, demonstriert Armando Braswell in Gauthiers Einsteigerseminar "Ballet 101"; die Grundpositionen des Balletts und 96 schräg dazu erfundene handhabt er nach Anweisung aus dem Off, bis ihn das Tempo des Memory-Spiels zerreißt. Durch Zufall kam das Solo aufs Programm, brachte aber die zerstörerische Wirkung der Alzheimer-Krankheit auf den Punkt.

An Katja Wünsche, dem Gast vom Stuttgarter Ballett, zerren furchtbare Kräfte. Flatternd, dann in schmerzvoller Verlangsamung versuchen ihre Hände den Schrecken abzuschütteln. Ängste spricht ein Künstler wie Marco Goecke nicht konkret aus; aber wenn Katja Wünsche in "Tué", ein Solo, das Stuttgarts Hauschoreograf jüngst in Monte Carlo zu zwei Chansons von Barbara schuf, wie ein Verkehrspolizist Ordnung in ihr Tun bringen will, dann muss sie scheitern. Das Aufbegehren ist so präzise kalkuliert wie das Ausbrechen des Körpers aus dem Gefängnis einer Korsage - betörend schön, aber verstörend in seiner Aussichtslosigkeit. Verblüffend ähnlich in Intention und Ästhetik war auch das Duett "Scherza infida", das Ed Wubbe und sein Scapino Ballett als Uraufführung beisteuerten.

Doch die Gäste Gauthiers sind meist jung, schön, und sie wollen das Leben feiern - zu dritt wie in Gauthiers "Threesome", in einer Party mit Sängerin wie das Berner Ballett in seinem glitzernden Auftritt, mit nicht zu trübender Frische wie die Junioren der baskischen Dantzaz Konpainia, die den "Björk Duets" eine eigene Farbe geben. Durchwirkt waren die vier Gala-Stunden vom Selbstverständnis einer neuen Generation von Tanzmachern, Gleichgesinnten Gauthiers wie Robert Conn in Augsburg, James Sutherland in Pforzheim, Olaf Schmidt in Regensburg und Cathy Marston in Bern, die wie er Kraft über ihre Wurzeln im klassischen Ballett tanken, die jedoch mit dem zeitgemäßen Verständnis einer modernen Tanzkompanie auftreten und auch ihre Stücke so konzipieren.

Die Klassiker sind ihnen so lieb, dass ihnen nichts heilig ist; wer sich mit einer kleinen Kompanie an "Schwanensee" wagt, muss Neues wagen: eine Travestie wie Olaf Schmidt etwa, der vier Männer zu Schwänen macht, ihnen aber die Ticks von Hühnern mitgibt; oder eine innige Begegnung, in der James Sutherland Leichtigkeit mit der Schwere des Butoh bricht.

Die Ästhetik des Balletts bleibt bei aller inhaltlichen Freiheit für viele maßgeblich - ob David Dawson, Hauschoreograf aus Dresden, am Werk ist, Mauro Bigonzetti, Cayetano Soto oder Stephen Shrophire: Der Gala-Abend, der mit Egon Madsen und einer grellbunten Bollywood-Parodie endet, ist auch eine Lehrstunde darüber, wie man dem Tanz ein breites Publikum gewinnt.
Andrea Kachelrieß, Stuttgarter Nachrichten 12.4.2010

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