GAUTHIER DANCE//DANCE COMPANY THEATERHAUS STUTTGART
PRESSESTIMMEN
SIE KÖNNEN ALLES. AUCH ITALIENISCH
Das Wort, das an diesem Abend am häufigsten fällt, lautet Glück. Eric Gauthier sagt es, mal live, mal von der Filmleinwand herab, mal auf Deutsch, mal auf Englisch. Ja, er war der Glückspilz, der da war, als der Wunsch von Theaterhaus-Chef Werner Schretzmeier nach einer eigenen Tanzkompanie Gestalt annehmen sollte. Fünf Jahre ist das her. Schon? Erst? In jedem Fall ist der Geburtstag von Gauthier Dance ein Fest wert. „Celebration“ heißt die Party, die bis zum 21. Juli im Theaterhaus steigt und vorläufiger Höhepunkt einer Erfolgsgeschichte ist. Einer Geschichte mit Fortsetzung: Um vier Jahre, erzählt Eric Gauthier seinen Gästen, habe er in der vergangenen Woche seinen Vertrag verlängert.
Dass der charmante Kanadier, bereits als Solist des Stuttgarter Balletts ein Publikumsliebling, alle teilhaben lässt an seinem Glück, ist Teil seines Erfolgs. Auch im Theaterhaus wird jeder schon vor Beginn der Show zum Komplizen. Eine Dame von Germanwings, einem von Gauthiers ersten Sponsoren, drückt den Gästen Popcorn in die Hand. Schon sind wir Teil einer Inszenierung, die im flotten Wechsel von Bühnen- und Filmszenen Gauthiers Tänzer zu Stars macht. Als solche schickt sie der erste Film über den roten Teppich ins Theaterhaus, jeder bringt ein anderes Stück ins Spiel, als er aus einer Limousine steigt und im Kreischen der Fans ins Haus tanzt. „Celebrate good times“, schwappt mit Kool and the Gang die Filmfestival-Atmosphäre in den Saal, wo die Leinwandstars dann in echt auftreten.
Gauthiers „Taiko“ ist ein grandioser Geburtstags-Trommelwirbel
Kein Schritt ist getanzt, da sind alle schon in bester „Celebration“-Laune. Eric Gauthier, im Nebenberuf Popmusiker, weiß, wie Stimmung geht, das Publikum liebt ihn auch dafür. Mach einfach jemanden glücklich, singt Jimmy Durante im Off, als ein Film Einblick in die Auftritte von Gauthiers Tänzern in Altersheimen und Kinderkrankenhäuser gibt, und du wirst selber glücklich. Die hohe Professionalität der Kompanie, ihre soziale Kompetenz, mit der sie viele Menschen erreiche: auch die Partner von Gauthier Dance in Luxemburg und München sprechen vom Glück, das Tanz bereiten kann.
Wie das konkret aussieht, zeigt ein Gute-Laune-Ausschnitt aus dem Gauthier-Dance-Repertoire. Vom frühen „Ball Passing“ bis zu Christian Spucks „Poppea//Poppea“ reiht sich ein Party-Piece ans nächste. Wie Zirkusartisten reichen sich sechs Tänzer in einem Ballett der Hände bunte Bälle zu. Aus der Kunst des Flirts macht ein Trio in Itzik Galilis „The Sofa“ einen akrobatischen Kampf der Geschlechter. Gauthiers „Taiko“ ist ein grandioser Geburtstags-Trommelwirbel. Und Roberto Scafatis „Freistoß“ entlarvt in Slowmotion die Schauspielkunst der Helden in kurzen Hosen, die gestenreich beim Schiri um Aufmerksamkeit buhlen.
Dazwischen gibt es Filmszenen, in denen wir sehen, wie Gauthier Dance vom ersten Vortanzen an zu dem wurde, was es heute ist. Mit Armando Braswell, der jedoch im August nach Basel weiterzieht, Marianne Illig und William Moragas sind drei aus dem sechsköpfigen Ur-Team immer noch dabei, keine schlechte Quote. Die Haare länger, die Unsicherheit größer: auch Eric Gauthier ist mit seinem Ensemble gewachsen, das heute dank Mitfinanzierung durch Stadt und Land zwölf Tänzer umfasst.
Wir können alles, auch Italienisch und Ausdruckstanz
Fast alle sind mit dabei, als nach der Pause das Fest mit „Cantata“ weitergeht – auch Egon Madsen, von Beginn an Gauthiers Mentor, und Macha Dautel, die das Stück einstudierte, sowie die vier stimmgewaltigen Madonnen der Gruppo Musicale Assurd.
Mächtig viel los also; und dass er seine Tänzer als spontanen Haufen präsentieren kann, dürfte ein Grund sein, wieso Gauthier das 2001 entstandene Stück von Mauro Bigonzetti ins Jubiläumsprogramm nahm.
Wir können alles, auch Italienisch und Ausdruckstanz, ruft uns „Cantata“ zu – und wirkt doch als Fremdkörper in dem bis dahin so fröhlichen Abend. Denn das melancholische Nachtstück erzählt nicht nur von wilden Festen unterm freien Himmel, sondern auch von Liebe und Trieben, die den Menschen zum Tier machen. Animalisch, ungestüm wird hier getanzt, inbrünstig singen auch die Tänzer in „Cantata“ vom Leben selbst, vom Eros in ihm, aus dessen lüsternen Augen Tod und Teufel blitzen.
Ein Geburtstagsstück? Ein nachdenkliches auf jeden Fall, aber Besinnlichkeit schadet nie. Erst am Ende bricht sich die Lebenslust Bahn, ist die Partystimmung wieder auf Vorpausenniveau – und wird dort mindestens bis zur Sommerpause bleiben.
Andrea Kachelriess, Stuttgarter Nachrichten 13.7.2012
FEST MIT POPCORN UND FILMEN
Stuttgart - Kein Kino ohne Popcorn. Und so bekommen die Zuschauer, die in den Saal T1 des Theaterhauses strömen, zunächst eine große Tüte voll des geplatzten Maises in die Hand gedrückt. Als stilechte Einstimmung, denn „Celebration“, der Tanzabend zum fünften Geburtstag der Theaterhauskompanie Gauthier Dance, startet cineastisch: Kaum ist das Licht aus, erklingt bombastisch das musikalische Thema des Films „Star Wars“ und die Stimme des Kompaniechefs Eric Gauthier wünscht sich aus dem Off einen roten Teppich. Stante pede rauscht auf der Leinwand eine Limousine an, hält am roten Teppich vor dem Theaterhaus, der von einer jubelnden Menschenmenge gesäumt ist. Heraus rekeln sich zwei schön geformte Beine in Spitzenschuhen: Kompaniemitglied Marianne Illig schwebt heran, gefolgt von ihren Kollegen Maria Prat Balasch, Armando Braswell, Maria Deller-Takemura, Anneleen Drog, Anna Süheyla Harms, Garazi Perez Oloriz, Rosario Guerra, Florian Lochner, William Moragas, Tars Vendebeek, Leandër Veizi und freilich Eric Gauthier. Sie stecken in Kostümen aus dem Repertoire. So kommt Oloriz als Poppea, während Moragas – – dem Chauffeur sexy Blicke zuwerfend – einen Glamourszene im schwarzen Corsagenhemd von „The Sofa“ hat.
Dann wird aus der Virtualität freilich Realität. Der Film stoppt, die Truppe läuft in diesen Outfits in den Saal ein, um auf der Bühne auf Oloriz’ behelmten Kopf eine Art Riesenwunderkerze anzuzünden. Die Zeichen stehen auf Feiern – und einem Rückblick auf die vergangenen fünf Jahre.
Das allererste Programm: „Six Pack“
Der erste Teil eines Dokumentarfilms läuft an: Die Stuttgarter Filmemacher von teamWork begleiteten die Kompanie die ersten drei Jahre über vor und vor allem hinter den Kulissen. Eric Gauthier, der hier sein Debüt als Regisseur abliefert, ist zu sehen beim ersten Vortanzen für seine Truppe, zu dem „dreihundert junge Tänzer aus ganz Europa“ gekommen seien. Sechs davon bildeten denn auch den ersten Nukleus von Gauthier Dance. Nach dem filmischen Umzug in den neuen Proberaum auf dem Wizemann-Areal, geht es auf der realen Bühne mit einem Ausschnitt aus dem allerersten Programm „Six Pack“ weiter: Es ist immer noch erfrischend, wie in Charles Moultons „Ball Passing“ zu Kommandos sechs Tänzer in rasantem Tempo bunte Bälle austauschen. Eine sichere Bank ist freilich auch das folgende „The Sofa“. Mauro Bigonzettis Choreografie, in dem auf einem monumentalen gelben Sofa akrobatisch und humorvoll Paarverwicklungen ausgetragen werden, kann längst als eines der Ikonen von Gauthier Dance bezeichnet werden.
Mit „Taiko“ kreierte der Kompaniechef Gauthier ein energiegeladenes Stück, in dem drei Tänzer den Rhythmus und die Kraft der japanischen Taiko-Trommler in stilisierten Sprüngen und Gesten nachempfinden. Eine humorvolle Vedute des Moments, bevor der Ball im Netz der Netze zappelt, steuert wiederum der Roberto Scafati, Chef des Ulmer Balletts, bei: Köstlich, wie Gauthier in „Freistoß“ als gestrenger Schiedsrichter seine fünf Mannen in Dortmund- und VfB-Trikots zur Raison ruft, während die in Zeitlupe heimliche Fouls verteilen und ihre Mienen verziehen, als koste es ihr Leben, während Charles Aznavour „Sur ma vie“ intoniert. Immer gerne sieht man einen Ausschnitt aus „Poppea//Poppea“, jener Kreation, die der Choreograf Christian Spuck für Gauthier Dance schuf und die ihm den Tanzpreis Faust einbrachte.
Auch Bigonzettis „Cantata“ ist zu sehen
Nach weiteren Filmausschnitten aus dem Werdegang der Kompanie folgt im zweiten Teil des Abends eine Überraschung, weil es die auf Feiern angelegte Programmatik des Abends durchbricht. Zum Jubiläum ist Mauro Bigonzettis Paradechoreografie „Cantata“ zu sehen, eine Hommage an archaische Volkslieder und der süditalienischen Tradition des gemeinsamen Tanzen und Singens. Wie hier die gesamte Kompanie samt Egon Madsen und Bigonzettis Assistentin Macha Daudel, die das Stück einstudierte, mit den vier Musikerinnen des Uraufführungs-Ensembles Assurd alte italienische Volkslieder singt, sich streitet, in Paaren oder solo dreht, schüttelt und springt, ist mitreißend und lustvoll. Es ist gleichwohl melancholisch, weil Eros und Thanatos über allem zu schweben scheint.
Petra Mostbacher-Dix, Stuttgarter Zeitung 13.07.201
SHOW UND SLOWMOTION
Während anderswo Tanzensembles weggespart werden, hat sich in Stuttgart eines etabliert: Gauthier Dance feierte fünften Geburtstag. Wie kaum anders zu erwarten: frisch, frech, fröhlich und fantasievoll.
Vielleicht ist Eric Gauthier ja der Erfinder der Popcorn-Tanzkunst. Das ist keineswegs despektierlich gemeint. Der umtriebige Kanadier, der längst in Stuttgart heimisch geworden ist, will junge Menschen erreichen und für den Tanz begeistern. Gerade auf dieses Publikum, das eher im Kino als im herkömmlichen Ballett zu Hause ist, geht Gauthier Dance zu. Um es zu umwerben, ihm einiges zu bieten, ohne sich anzubiedern. Tatsächlich wurden am Donnerstag zum "Celebration"-Jubelfest Popcorntüten ausgeteilt. Wenigstens daran hatten die Fans zu knabbern.
Gauthiers Geschäftsmodell ist eine Company, die Spaß am Tanz vermittelt. Damit klopfte der langjährige Solist am Stuttgarter Ballett, der sich mit knapp 30 nach neuen Zielen umschaute, vor etlichen Jahren auf dem Pragsattel bei Theaterhaus-Boss Werner Schretzmeier an. Der träumte von der eigenen Tanzsparte, die bis auf ein kurzes Intermezzo mit Ismael Ivo aber nie zustande kam. Gauthier kam da genau im richtigen Moment.
Bis vor kurzem wurde Gauthier Dance aus dem Theaterhaus-Etat querfinanziert, ein Zuschussgeschäft, das keine Zukunft hatte. Charmebolzen Gauthier tat aber mit dem Grand Théâtre Luxembourg und der Münchner Schauburg weitere Partner und damit Geldgeber auf. Der Rest war eine fast unmögliche, aber unaufhaltsame Erfolgsgeschichte. Die Herzen fliegen Gauthiers Truppe nicht nur in Stuttgart zu. Oft genug tritt sie vor vollen Häusern auf, aber eben auch in Kindergärten, Jugendtreffs und Altersheimen. Ein mobiles Einsatzkommando, das zu jenen kommt, denen das Ausdrucks- und Bewegungsmittel Tanz nicht immer leicht zugänglich erscheint.
Dieser soziale Ansatz war dem kanadischen Arztsohn immer wichtig. Hier hat der Film, der die Arbeit der umtriebigen Company dokumentiert und bei der Feier erstmals gezeigt wurde, seine stärksten Momente. Indem er zeigt, wie sich die Lust am Tanz, das Staunen und Vergnügen in Gesichtern von Kindern und Gebrechlichen widerspiegelt. Schon dafür muss man sie lieben, diese beschwingt und unbeschwert wirkenden Tänzerinnen und Tänzer, die mit dem Gauthier Dancemobil durch die Lande touren.
Inzwischen hat das auch die Stadt Stuttgart begriffen. Gauthier Dance wird von ihr nun mit jährlich 300 000 Euro unterstützt, das Land legt weitere 100 000 Euro drauf. Damit ist immerhin ein Drittel des Etats gesichert - wenig, aber nicht mehr zu wenig. Eric Gauthier, der Vielumworbene, unterschrieb daraufhin letzte Woche einen Vierjahresvertrag. Vorher zerrten einige größere Bühnen an ihm, unter anderem das Salzburger Landestheater.
Gauthier hat in Stuttgart das ursprüngliche Ensemble nahezu verdoppelt, um all dem gerecht zu werden. Darüber hinaus tanzt der Tausendsassa auf vielen Hochzeiten, mischt Autogrammstunden im sponsorpartnerschaftlich verbundenen Kaufhaus mit einem Flashmob auf oder mimt für die TV-"Soko Stuttgart" einen erstochenen Tänzer - da hat er als Mercutio vom Dienst am Stuttgarter Ballet ja Vorkenntnisse genug.
Figaro hier, Figaro da: Eric Gauthier ist derzeit das Faktotum der Stuttgarter Tanzwelt. Dass die Kunst bei all dem nicht zu kurz kommt, dafür sorgen bei Gauthier Dance die gewichtigeren, dabei oft federleichten Choreographien. Hans van Manen, gerade 80 Jahre alt geworden, hat mit ihnen ebenso gearbeitet wie Jiri Kylian, Itzig Galili oder Christian Spuck, für dessen "Poppea/Poppea" Gauthier Dance den "Faust"-Theaterpreis einheimste.
Und auch Mauro Bigonzetti. Als bereits drittes Stück überlässt er Gauthier nun seine einstündige "Cantata", einen suggestiven Wirbelsturm aus Canto popolare (mit dem bezwingenden Vokalquartett Assurd) und entfesselt exzessive Tanzriten auf einer rätselhaften Piazza. Mittenmang Altstar Egon Madsen als Padre Padrone und Eric Gauthier als behinderter und dann einbezogener Zaungast. Ein anarchisch-archaisches, zunehmend aufgeheitertes Plädoyer fürs Miteinander.
Im ersten Teil der "Celebration" gabs außer dem Filmchen dazu noch Charles Moultons etwas mechanistische Spielballtherapie "Ball Passing", vom Ensemble als präzise Handreichungs-Jonglage durchexerziert. Außerdem Galilis unverwüstliches "Sofa", von Spucks Abschiedsgala praktisch rübertransportiert. Dann Gauthiers eigene Trommelshow "Taiko" und Roberto Scafatis witzige, wenn auch sonst unergiebige Kicker-Slowmotion "Freistoß" - wenigstens gewannen die Jungs im VfB-Leibchen und nicht die in der gelben Borussen-Kluft.
Wilhelm Triebold, Südwest Presse 14.7.2012
EINER FÜR ALLE
Applaus brandet auf, als Eric Gauthier all jene erwähnt, denen er den Erfolg der zurückliegenden fünf Jahre seit Gründung der Gauthier Dance Company verdankt. Noch mehr Applaus gibt es im bis auf den letzten Platz ausgebuchten Theaterhaus für die Nachricht, dass Gauthier seinen Vertrag für weitere vier Jahre verlängert hat. Gratulanten der gesamten bundesrepublikanischen Ballettszene sind zur Premiere „Celebration“ angereist. Stuttgarter Promis wie der Schauspieler Walter Sittler knabbern Popcorn. Ovationen gibt es für Bekanntes („Ball Passing“/Charles Moulton; „The Sofa“/Itzik Galili und „Poppea//Poppea“/Christian Spuck) wie Neues („Taiko“/Eric Gauthier; „Freistoß“/Roberto Scafati und „Cantata“/Mauro Bigonzetti) und nicht zuletzt für den filmischen Blick hinter die Kulissen der Start-up Kompanie, die von der Produktionsfirma teamWerk seit Beginn im Herbst 2007 mit der Kamera begleitet wurde.
„Ich habe mir schon immer einen roten Teppich gewünscht“ gesteht Gauthier, der nicht nur in vier der sechs Produktionen selbst tanzt, sondern augenzwinkernd moderiert. Der Abend vermittelt das, was Ballett am besten vermitteln kann: die Leichtigkeit des Seins. Großes Kino, ironisch gebrochen, fahren die Tanzsterne in Limousinen vor, die Menge jubelt. Im Film stapfen sie als aufgebrezelte Leinwandstars über den roten Teppich ins Theaterhaus, um wenige Sekunden später im selben Outfit den Saal zu stürmen und, ganz real, einmal mehr die Bühne (und die Herzen der Zuschauer) zu erobern. Die Mischung aus Konfetti und Kindergeburtstag, aus Kino, Komödie und Kunst ist temporeich, voll Elan und genau das, was man sich in Stuttgart von einer jungen Tanztruppe wünscht.
Als Reid Anderson seinen kanadischen Landsmann Eric Gauthier nach Stuttgart engagiert, ahnten nur wenige, dass sich aus der Doppelbegabung von Tänzer und Punkrocker ein Multitasking-Man von Format entwickeln würde, der sich ans Choreografieren wagt, der den Spagat schafft zwischen künstlerischem Anspruch samt hohem technischem Niveau und guter Unterhaltung, der als Mastermind der eigenen Kompanie genau die richtigen Leute castet und der mit seiner unbefangenen Jugendlichkeit zur Identifikationsfigur heranwächst.
So leichtfüßig wie er sich von der elitären Klassik ins populäre Musikermilieu bewegt, so geschmeidig sind seine Rollenwechsel in den Stücken unterschiedlicher Choreografen. Bei Galili wird der Frauen-Eroberer vom Subjekt zum Objekt der Begierde eines homosexuellen Kollegen. In Spucks erotisch-düsterer Vision „Poppea//Poppea“ tanzt er den verwöhnten Königssohn, um hinterher in der Moderation zu sagen, dass er sich im Leben eher als ein Robin Hood der Tanzkultur versteht. In Safatis gewitzter Slowmotion-Satire zum Thema Fußball (ohne Ball), gibt Gauthier, zur Liebeserklärung von Charles Aznavours „Sur ma vie“, den leidgeprüften Schiedsrichter in den nervenzerreibenden Sekunden vor dem „Freistoß“. Gauthiers Choreografie-Premiere „Taiko“, eine fulminante Bewegungsstudie für eine Tänzerin und zwei Tänzer, bezieht Energie, Rhythmus und Esprit aus der Musik, den kraftvoll rasanten Schlägen japanischer Trommeln. Ohne die aufgebockten Schlaginstrumente je wirklich zu berühren, ist das Stück die Fortschreibung seines legendären Luft-Gitarren-Solos.
Was bleibt da noch für Mauro Bigonzetti zu tun? Ein nicht zu unterschätzender Vertrauensbeweis des vielbeschäftigten Italieners, dass er sein lyrisch-expressives Meisterwerk „Cantata“ dem jungen, 12-köpfigen Ensemble überträgt. Von den vier robusten Damen der Gruppo Musicale Assurd angeleitet, entfalten die Gauthier-Tänzer zu den archaischen Klängen der neapolitanischen Folklore eine urwüchsige Kraft, die den Abend auf besondere Weise erdet. Zurück zu Riten und Wurzeln des Matriarchats entwickeln vor allem die Tänzerinnen in Soli und Zwiegesprächen schauspielerische Qualität, überzeugt die Gruppe mit dynamischem Sog und entfesseltem Ausdruck. Dazwischen tappert, tanzt und torkelt Egon Madsen, für den Bigonzetti, abweichend vom Original, die Rolle des väterlichen Alten kreiert hat. An seiner Seite Eric Gauthier als kongenial eigenwilliger Dorfdepp – und, fast wie im wirklichen Leben, aller Sympathieträger.
Leonore Welzin, tanznetz.de 17.7.2012
MACHT EINFACH GLÜCKLICH
Es mag ja ein bisschen früh zum Feiern sein, aber nach der Gründung von Gauthier Dance war das Überleben der kleinen Tanzkompanie am Stuttgarter Theaterhaus nicht immer sicher. Jetzt ist sie fünf Jahre alt, mit zwölf Tänzern doppelt so groß wie am Anfang, sie wird dauerhaft von der Stadt Stuttgart gefördert und man muss sich um Karten schlagen: eine Erfolgsgeschichte.
Zur Feier im Theaterhaus war »ganz Stuttgart« erschienen, Eric Gauthier bedankte sich vor allem bei seinem »großen Chef« Werner Schretzmeier. In fünf kurzen Filmen ließ der kanadische Alleskönner zu flotter Popmusik das erste Vortanzen, die Auswärtsstationen in Luxemburg oder München, die diversen Auszeichnungen noch einmal Revue passieren, strickte mit dem unschuldigsten Charme an seiner eigenen Legende.
Ausschnitte früherer Stücke
Dazwischen gibt es im Jubiläumsprogramm »Celebration« Ausschnitte aus früheren Stücken und natürlich auch den irrwitzigen Hetero/Homo-Dreier »The Sofa« von Itzik Galili. Das Fußball-Ballett »Freistoß« zeigt Schiedsrichterbeleidigungen und Ellenbogenchecks in äußerster Zeitlupe, ein überdrehter Spaß des Ulmer Ballettdirektors für sechs wild grimassierende Tänzer. Gauthiers Choreografie »Taiko« versetzt zu Trommelmusik im japanischen Stil drei Tänzer in virtuose, effektvolle Kampfsportaktionen.
Gekrönt wird der Jubiläumsabend durch Mauro Bigonzettis »Cantata«, ein für den Anlass leicht verändertes, herbes und launiges Stück voll mediterranen Temperaments. Die Sängerinnen der süditalienischen Vokalgruppe Assurd begleiten sich dabei live mit Schellentrommeln, Ziehharmonika und Kastagnetten, auf dem Dorfplatz wird gefeiert und gesungen, gezankt und geschrien. Bigonzetti hat keine zierliche Folklore choreografiert, sondern lässt die Tänzer beim rauschhaften Hineintanzen in die kühle Nacht sämtliche Glieder schütteln.
Bunte Blockbuster
Keine Frage, die kleine Truppe macht fröhlich mit ihrem Mainstream-Tanz, setzt gewissermaßen ihre knallenden, bunten Action-Blockbuster gegen das Autorenkino der freien Tanzszene oder die guten alten Klassiker beim Stuttgarter Ballett. Eric Gauthier darf seine Mission mit jeder einzelnen Vorstellung als erfüllt betrachten: »Make someone happy«, mit diesem Song war der letzte der fünf Filme unterlegt, der die Arbeit von Gauthier Mobil zeigte, den Auftritten der Kompanie vor hingerissen staunenden Kindern oder vor Senioren, die in ihrem Rollstuhl mittanzen.
Lassen wir uns also fröhlich machen von Eric Gauthier, der bei dieser Gelegenheit auch noch verkündigte, dass er seinen Vertrag um vier Jahre verlängert hat.
Angela Reinhardt, Reutlinger Generala-Anzeiger 14.7.2012