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NEDERLANDS DANS THEATER - NDT 2

PRESS CLIPPINGS

DER HUND DER VERGÄNGLICHKEIT
Es ist in der englischsprachigen Welt eine kleine Geschichte in Umlauf - keine Ahnung, wer sie erfunden hat -, wonach Gott den Hund schuf, damit Adam nicht mehr so allein spazieren gehen muss. Das Tier an seiner Seite, der treue Begleiter sollte Erinnerung sein an die Liebe Gottes. Deswegen ist sein Name, Dog, das Palindrom von God. Der Choreograf Jirí Kylián mag die Geschichte kennen oder nicht, in seinem Ende vergangenen Jahres uraufgeführten Stück "Gods and Dogs" wird ab und zu ein geisterhafter, wölfischer Hund auf den Bühnenhintergrund projiziert - und haben die Menschen nur sich selbst.

Mit "Gods and Dogs" sowie Choreografien des Duos Lightfoot/Leon und des Israelis Ohad Naharin beendete die Juniortruppe des Nederlands Dans Theaters (NDT II) jetzt das Tanzprogramm der Wiesbadener Maifestspiele. Für das Bayerische Staatsballett schuf Kylián kürzlich eine abendfüllende Choreografie, die er gleichsam wattiert hatte.

Die Wiesbadener Deutschlandpremiere zeigt ihn nun als Meister der kürzeren Form: In den 25 Minuten von "Gods and Dogs" herrscht Klarheit und Überlegtheit in jeder Bewegung. Auf der leeren, hinten mit einem Faden-Vorhang begrenzten Bühne, entsteht trotz aller Abstraktion eine Atmosphäre von Wehmut und Vergeblichkeit - besonders, wenn sich in Beethovens 1. Streichquartett ein ominöses Donnergrollen drängt.

Kylián handelt ein ums andere Mal und auch in "Gods and Dogs" die großen Menschheitsthemen ab, allen voran Vergänglichkeit und Tod. Die NDT-Gewächse Paul Lightfoot und Sol León haben seine elegant fließende Handschrift verinnerlicht, gehen damit aber eigenwillige Wege. "Passe-Partout" jedoch (zu Musik von Philip Glass), jetzt in Wiesbaden ebenfalls als Deutschlandpremiere zu sehen, enthält arg viele Seltsamkeiten: Eine herrische Frau mit Schleppe, ein junger Mann, der vor sich hin brabbelt, ein junges Mädchen, mit dem nicht sehr nett umgegangen wird, ein auch sonst rätselhaftes Treiben rund um ein Riesen-Portal, das man für den Eingang zu einer Königsresidenz halten könnte (Ausstattung: Lightfoot/León). Ungewiss, ob hier eine Hamlet-Geschichte erzählt werden soll. Oder vielleicht gar nichts Bestimmtes.

Zehn Jahre alt ist Ohad Naharins "Minus 16", auch damals schon war es nicht ganz frisch: Naharin recycelte Teile anderer seiner Stücke. Doch unfehlbar reißt das "Minus 16"-Medley das Publikum hin, es ist charmant, witzig, munter und enthält Musiktitel von der emotionalen Durchschlagskraft von "Somewhere over the rainbow". Zuschauer werden auf die Bühne geholt - immer ein sicherer Auslöser für Heiterkeit beim Rest des Publikums.

Die Rezensentin aber würde am liebsten immer nur einen "Minus 16"-Teil sehen: Den Halbkreis der auf Stühlen sitzenden Tänzer, ihre Entfesselung zu einer Rock-Version des traditionellen Pessachfest-Liedes "Echad Mi Yodea" (Wer kennt einen?). Einfach perfekt ist in dieser Choreografie die Balance zwischen Abstraktion und Andeutung, zwischen Ausgelassenheit und Todesahnung.
Sylvia Staude, Frankfurter Rundschau 2.6.2009

DES WAHNSINNS FLINKE BEUTE
01. Juni 2009 Am Ende durften auch die Zuschauer aus dem Wiesbadener Parkett zeigen, was sie können: Die 15 Tänzer des Nederlands Dans Theater II, der jungen Companie des Den Haager Balletts für Tänzer zwischen 17 und 22 Jahren, hatte den bewährten Rausschmeißer „Minus 16“ des israelischen Choreographen Ohad Naharin mitgebracht. Und der endete wie stets in einem gemeinsamen Cha-Cha-Cha mit Partnern aus dem Publikum – sie schlugen sich wacker. Schon vor vier Jahren, bei einem Gastspiel in der Frankfurter Oper, hatte die bunte Collage aus Hip-Hop, Street Dance, „Hava Nagila“ und einer fetzigen Version des Pessach-Liedes „Echad mi Yodea“, das Naharin gewissermaßen zu einem internationalen Choreographie-Hit gemacht hat, die Zuschauer hingerissen. Nicht anders nun bei den Maifestspielen, wo das NDT, ob mit der „erwachsenen“ Companie NDT I oder der Nachwuchstruppe, ein gerngesehener Gast ist. Auch die mittlerweile aufgelöste Companie für Tänzer jenseits der 40, das einst berühmte NDT III, hatte in Wiesbaden 2006 ihr letztes Gastspiel gegeben.

Mit den beiden ersten Arbeiten setzte NDT II zwar auf bewährte Namen, hatte aber Deutschlandpremieren neuer Stücke mitgebracht. Beide befassen sich, in ausgesprochen typischer Handschrift ihrer Choreographen, mit der Grenze zwischen Normalität und Wahnsinn – eine Frage, die sogar in Naharins Collage, die Selbstaussagen junger Tänzer verarbeitet, aufscheint. Altmeister Jirí Kylián aber will es in seiner hundertsten Choreographie für das NDT naturgemäß genauer wissen und verzichtet gerade deshalb auf allzu platt Eindeutiges.

Außergewöhnliche Begabungen

„Gods and Dogs“, das mit Beethovens Streichquartett op. 18 Nr. 1, Bartóks viertem Streichquartett und einer Komposition von Dirk Haubrich arbeitet, die unheimliche Stimmungen und mit harschen Schlägen auch latente Aggression verbreitet, führt die Tänzer in kleinen Gruppen, Verdopplungen und Soli augenfällig am Rand von mentalen Abgründen, seelischen Überanspannungen entlang; ein auf den schwarzen Bühnenhintergrund projizierter weißer Wolfshund wird zum Menetekel, dessen Bewegungsablauf auf die Tänzer auszustrahlen scheint, die vor und aus einem sich bewegenden Vorhang – ein häufiges Motiv Kyliáns – auftauchen und verschwinden. Nicht nur die subtile Lichtregie, beinahe eine Art Spezialität des NDT, teilen sich Sol Leon und Paul Lightfoot, Hauschoreographen der Companie, mit dem Altmeister. Auch bei ihnen grundieren Verstörung, Wahn, Abstürze ihre erst im Februar uraufgeführte Arbeit „Passe-partout“.

Der Name ist in mehrerlei Hinsicht Programm. Leon und Lightfoot bleiben sich, bis zu den grauschwarzen Grundtönen von Bühne und Kostüm, die man aus zahlreichen vorigen Arbeiten kennt, ausgesprochen treu. Unter den Choreographen, die seit einigen Jahren für eine bislang nicht enden wollende Philip-Glass-Welle in der Ballettmusik sorgen, sind sie die konsequentesten: Seit fünf Jahren arbeiten Lightfoot/Leon so gut wie ausschließlich mit Glass’ Kompositionen, diesmal, wieder einmal, mit seinen Streichquartetten, die von Schreien, Gelächter, unverständlichen Monologen perforiert werden – auch das ein Motiv, das sich durch die Arbeit des Paares zieht. Für „Passe-partout“ haben sie eine Reihe düsterer Passepartouts, Torbögen wie zum Innern der Seele, aufbauen lassen, die kunstvoll verschoben werden, während die Tänzer, beherrscht von einer in schwarzer Robe einherschreitenden Frauenfigur, sich darin halten lassen oder aus dem Rahmen tanzen. Sie seien aus dem Rahmen gefallen, mag man von den drei Choreographien nicht behaupten – von den jungen Tänzern umso mehr, deren außergewöhnliche Begabungen, gepaart mit Jugendfrische, noch stets zu begeistern wussten.
Eva-Maria Margel, FAZ.NET 2.6.2009

TANZT DER HOFFNUNG
Die Juniortruppe des Nederland Dans Theaters aus Den Haag, kurz NDT II, war wieder einmal zu Gast bei den Maifestspielen. Das dreiteilige Programm "Gods and Dogs" des hervorragenden Ensembles wurde mit stehenden Ovationen gefeiert.

Der Tanz ist schon da, als das Publikum in den Saal quillt. Er hat keinen Anfang und kein Ende. Der Mann im schwarzen Anzug zuckelt vor und zurück, wabbelt mit den Beinen, schlenkert mit den Schultern. Zum Schubidubidu einer Hammondorgel tanzt er so vor sich hin, mal innerlich, mal kokett. Das Publikum frisst ihm aus der Hand. Später werden Zuschauer sogar auf der Bühne mittanzen. Um einen und alle, um das Vereinigende im Tanz, geht es hier. "Dance with me, make me sway" singt Dean Martin aus dem Off, als nach dem Solo die Kollegen auftauchen, erst vereinzelt Party machen, dann gemeinsam und stürmisch sich in die Feier des Lebens werfen. Das großartige "Minus 16" des israelischen Choreografen Ohad Naharin ist ein Renner im Repertoire.

Schön und kraftvoll

Optisch und musikalisch vereinigt es locker die Jahrzehnte. "Hava Nagila" in Technoversion. Das fromme hebräische Lied Ehad Mi Yodea, das seine Strophe zwölfmal um eine Zeile verlängert, wird gebrüllt, als treibe es zur Arbeit an. Auch die Bewegungsphrase wiederholt sich, wird länger: Leute auf Stühlen, erst müde, springen auf, wedeln mit den Köpfen, hüpfen, werfen die Hände hoch wie Erschossene, sitzen wieder; einer landet jedes Mal am Boden, kriecht zurück. Trotz des Titels mit dem "Minus" tanzt hier die Hoffnung, eine uralte Hoffnung.

Dagegen scheinen Paul Lightfoot und Sol León in "Passe-Partout" (2009) Verluste zu bebildern. Zwischen Portalen, die sich verschieben wie Erinnerungen, spielen sich vergebliche Begegnungen ab von vier Männern und zwei Frauen. Sie zeigen sich als schön und kraftvoll, machen Wirbel, gehen aneinander vorbei, kommen zueinander, trennen sich, schauen hinterher. Das kommt sehr ästhetisch daher zur Musik von Philip Glass, die alles in Gefühl badet. Zu prätentiös wirkte das neben "Gods and Dogs" (2008) des Altmeisters Jirí Kylián. Acht Tänzer treiben hier durch die Welt, die unten eine Kerze begrenzt und oben ein weißes Gesicht, das später zur Wolfsschnauze wird. Sein Mensch - zwischen Göttern und Hunden, zwischen dem Göttlichen und Tierischen in sich - steht erst still da. Ein Tänzer hält die leeren Hände vor sich, als erstaune ihn der Anblick. Männer und Frauen bemühen sich um Beherrschtheit, doch immer wieder flattert ihnen eine Hand davon, zieht ein Bein sie in die Drehung oder erstarren sie wie entleert.

Das Rätsel Mensch

God or dog? Diese Hyperaktiven Zeitgenossen kriegen phantasievolle Pas de deux hin, nur keinen wirklichen Kontakt. Streichquartette von Beethoven und Bartók landen im Netz des Komponisten Dirk Haubrich, zappeln und werden mit Schlägen traktiert. Die Tänzer tragen und stützen, und sie treten, zerren, schubsen einander wie nebenbei. Große Kunst: das wunderbare und schreckliche Rätsel Mensch.
Melanie Suchy, Wiesbadener Kurier 2.6.2009

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