GRUPO CORPO
PRESSESTIMMEN
ZWISCHEN BALLETT UND SAMBA
Es gibt Tanzkompanien, die scheinen auf der Bühne doppelt so groß, als sie in Wirklichkeit sind. Grupo Corpo ist eine solche. Im Theater Winterthur kommt die brasilianische Truppe als Menschenstrom daher: als Strom von Menschen – von Menschen unter Strom. Er fließt von links nach rechts. Und er fließt durch diese Körper, die links aus dem Bild wirbeln und von rechts wieder auf die Bühne perlen, stets in Bewegung, stets auf Draht, in einem Tempo, das den Atem raubt, und mit einer Präzision die an ein Schweizer Uhrwerk erinnert. So viel Körperbewußtsein, Lebenslust, technische Versiertheit und Tempo – das sieht man selten auf Schweizer Tanzbühnen. (...)
Lilo Weber, Neue Zürcher Zeitung, 8.4.2013
KÖRPERKUNST UND KUNSTKÖRPER
Der Name der Compagnie aus Belo Horizonte ist Programm: „Gruppe Körper“. Die wohlgeformte und gut organisierte Masse aus Fleisch und Blut, Knochen und Nerven, Haut und Haar steht im Zentrum, und zwar sowohl die des Individuums als auch jene der zwanzigköpfigen Gruppe. Körper, die sich in Raum und Zeit bewegen, das liegt zwar in der Tanzkunst auf der Hand, dennoch ist dieser brasilianische „Gruppenkörper“ ein ganz besonderer: technisch gut, synchron, ästhetisch harmonisch – wie aus einem Guss.
Der Abend beginnt mit dem Jubiläumsstück zum 25. Geburtstag der Gruppe, die bereits in der Saison 2010/11 im Stadttheater zu Gast war, mit dem Titel – wen erstaunts – „O Corpo“ aus dem Jahre 2000. Das von Paulo Peiderneiras gegründete Ensemble – er ist inzwischen hinter respektive vor der Bühne als Lichtdesigner und Bühnenbildner tätig – wirkt künstlerisch konstant: Hauschoreograf Rodrigo Pederneiras pflegt eine attraktive Fusion von klassischen und zeitgenössischen Formen, ohne den Bezug zu Brasilien mit seiner melodiösen Sprache, seinen tänzerischen Rhythmen und farbigen Körpern zu verlieren, im Gegenteil: Gehören doch die sensationellen Kostüme von Freusa Zechmeister, die eigens komponierten Soundtracks und die Samba-Elemente zu den Markenzeichen der weltweit tourenden Grupo Corpo. (…)
„O Corpo“ ist durch und durch urban. Auf der Bühnenrückwand blinkt ein Raster von roten Punkten, davor kauern, rollen und strecken sich die schwarz gewandeten Tänzer – die Kostüme sind eine Mischung aus „Matrix“ und Mittelalter – zu einem Sonnengruß der anderen Art.
Evelyn Klöti, Der Landbote, 8.4. 2013
IMMER IN BEWEGUNG - STILLSTAND IST DER TOD
Bei den Brasilianern, die zwei Abende lang das Bonner Opernhaus füllten, bei ihrem Ballettüberfall und dem lärmenden Beifall, den die Bonner über ihnen ausschütteten, kommt alles aus der Musik. Und die Musik springt aus dem Rhythmus, der sich in Brasilien immer irgendwie von Sambaschritt ableitet, wie er beim Karneval aus den Sraßenschluchten aufsteigt wie ein einziges großes Lebensgefühl.
In der Oper gastierte die „Grupo Corpo“ von Rodrigo und Paulo Pederneiras aus Belo Horizonte, die seit Jahren dem brasilianischen Ballett in Europa einen Namen gibt. Der Name ist Programm. „O Corpo“, das erste Stück, ist genau das: eine Invasion des Körperlichen und eine Exolosion von Vitalität. Rodrigo ist der Choreograph in der Lichtinstallation seines Bruders und der Musikkulisse von Arnaldo Antunes. Das Prinzip heißt Bewegung. Stillstand ist der Tod.
„Gruppe“ bedeutet auch, das die Energie aus der Masse kommt, die sich immer neu formiert. Alle Bewegung ist synkopisch wie der Samba und geht pausenlos ineinander über, wobei der Antrieb auch afrikanische Ursprünge in sich aufnimmt. Unaufhörlich treibt ein blecherner Schlagrhythmus vor einer roten Fläche die Verwandlungen der Formen vor sich her, so, als würde der Rhythmus schneller werden, was Täuschung ist, es braucht nur die Aggression, die das auslöst.
Man sah starke Tänzer als Tanzmeister, die in „O Corpo“ diesen Antrieb in immer neue Formationen umsetzen, und temperamentvolle junge Tänzerinnen fürs Figurative. Das Individuelle wird klein geschrieben.
Anders im zweiten Stück „Sem Mim“ („Ohne mich“), zehn Jahre jünger und eine deutsche Premiere, die sich einer portugisischen Liedersammlung des 13. Jahrhunderts bedient von Martim Codax mit dem Titel „Ondas do mar de Vigo“. Es ist das Meer, das der jungen Frau den Geliebten wiederbringen soll. Den Titel braucht man für das Ballett und die Choreographie und die Bühne der Brüder, auch wegen der Naturnähe, die sie so sprechend und schön für das Stück und die dazugehörigen Texte herbeizaubern. Hier sind auch die Kostümbildner ganz anders gefragt für die zweite Haut nach Art der Tatoos.
Die Frau bekam einen roten Haarschopf als Kennung und einen wundervollen Geliebten, beide wurden extra gefeiert. Diese Seebilder, Ebbe und Flut, umgesetzt in Tanzbilder, verlangen einen neuen, anderen Blick, auch vom Zuschauer. Und einen neuen Stil von der Truppe, die auch hier ihre Virtuosität reich ausspielen konnte.
H.D. Terschüren, Bonner Rundschau 5. 4. 2013
SCHWERSTARBEIT FÜR DIE SCHWERELOSIGKEIT
Die brasilianische Company „Grupo Corpo“ begeistert mit Virtuosität und Poesie bei den „Highlights“ in der Oper
Der Name „Grupo Corpo“, sei Programm, weil der Körper bei ihr im Mittelpunkt stehe, heißt es in der Ankündigung zum Bonner Gastspiel dieser brasilianischen Tanzcompany. Na, was denn sonst, wenn es um Tanz geht?, könnte man etwas ketzerisch entgegnen. Doch wenn man das 21-köpfige Ensemble auf der Bühne sieht, ergibt die scheinbare Binsenweisheit einen ganz eigenen Sinn. In zwei Choregraphien von Ensemble-Gründer Rodrigo Pederneiras treten die Tänzer kaum einmal als Individuen in Erscheinung, wirken vielmehr wie ein in sich geschlossener Organismus, ein Körper, dessen rhythmisierte Bewegungen den Raum beherrschen.
Ganz in schwarz gekleidet bevölkern die Tänzer im ersten Stück „O Corpo“ die von Paulo Pederneiras, dem Bruder des Choregraphen und künstlerischen Leiter von Grupo Corpo, entworfene Bühne. Vor rot blinkenden Lichtpunkten fallen sie vom Stand in die Hocke, rollen auf dem rund gebogenen Rücken nach hinten, schaukeln wieder nach vorn, schnellen in die Höhe und wechseln in andere Bewegungsmuster, die den über weite Strecken gleichen, langsam groovenden Rhythmus von Arnaldo Antunes elektronischen Klängen immer neue visuelle Gestalt verleihen.
Ihre Körper wirken dabei locker, als wäre kein Muskel wirklich angespannt. Dabei ist das, was sie auf der Bühne leisten Schwerstarbeit. Die Beine fliegen in die Höhe, die Köpfe in den Nacken, sie springen aus der Hocke in die Höhe, beugen sich, krümmen sich, um gleich wieder in locker gestreckter Haltung loszumaschieren. Und immer findet der Puls der Musik sein Echo in den Körpern. Licht, Klang und die Tanzbewegungenerzeugen so eine beinahe narkotische Wirkung, der man sich kaum entziehen kann. In dieser bereits 13 Jahre alten Choregraphie manifestiert sich der Stil von Grupo Corpo unverkennbar, Der poetischen Variante begegnet man in der noch jungen, vor zwei Jahren uraufgeführten Arbeit „Sem Mim“, die jetzt bei den Highlights des Internationalen Tanzes überhaupt zum ersten Mal in Deutschland zu sehen war. Es geht diesmal um die Liebe, wie sie in einer portugisischen Liedsammlung aus dem 13. Jahrhundert beschrieben wird. Musikalisch in die Neuzeit übertragen wurden sie von Carlos Nunes und José Miguel Wisnik. Zu den Gesängen tanzt die Compagnie in Kostümen, die wie eine zweite, bunt tätowierte Haut wirken, unter einem netzartigen, metallisch schimmernden Baldachin, der sich zu Beginn langsam hebt und dann während des Stückes einmal zu einem wunderschönen Pas de deux wieder niederschwebt. Scheinbar anstrengungslos hebt der Tänzer seine Partnerin in dieser stark vom klassischen Ballett geprägten Szene durch die Luft, lässt sie über seinem muskulösen Körper kreisen, als wäre die Schwerkraft aufgehoben. Die Eleganz, mit der die beiden ihre Bewegungen ausführen, ist atemberaubend. Sie zelebrieren den anrührendsten Moment der Choregraphie.
Ingesamt geht es Pederneiras jedoch nicht darum Paare zusammen zu bringen. Meist tanzen Männer und Frauen in getrennten Sequenzen, in denen Gefühlszustände wie Sehnsucht und Trauer zum Ausdruck kommen. Die Tänzer setzen das mit ihren fließenden, fantasievollen Bewegungen ganz wunderbar um. Und wenn man ihnen eine Weile zugeschaut hat, fühlt man, dass auch „Sem Mim“ wie ein Narkotikum wirkt. Die Bonner Tanzfans im fast ausverkauften Poernhaus waren begeistert, was viele von ihnen stehend zum Ausdruck brachten.
Bernhard Hartmann, General-Anzeiger, Bonn, 5.4. 2013