RICHARD SIEGAL / BALLET OF DIFFERENCE AM SCHAUSPIEL KÖLN
PRESSESTIMMEN
RAUS AUS DER KOMFORTZONE
Siegals Kontrapunkt zur Uniformität erkennt man im Detail. Wenn drei Tänzerinnen in 'Made for Walking' gleichzeitig die Arme aufsprießen, führt jede die Pose auf ihre Weise aus: die baumlange Courtney Henry mit lockeren Gelenken, Claudia Ortiz Arraiza mit entschlossener Streckung und Margarida Neto mit filigran gespreizten Fingern. Siegal bürstet hier nichts glatt, sondern lässt seine Tänzer mit Individualität glänzen.
Extrem stilisiert wirken die Bewegungen in 'BoD' und UNITXT. Trotzdem spiegelt Siegal den Zeitgeist – das begreift man spätestens in UNITX: Die Tänzer formieren sich als lose Masse, aus der sich Paare oder Trios kristallisieren. Ein Flash Mob, der sich zusammenrottet und Bewegungsmuster wiederholt. Eine Gang, die sich dem Rausch eines Raves hingibt. Wären da nicht die schräggelegten Spitzentänzerinnen, die von den Männern mit Hilfe von Griffen an den Korsagen herumgewirbelt werden – und zwar ohne in Geschlechterklischees zu verfallen! Einfach stark.
Antje Landmann, Die Rheinpfalz 13.3.2018
MOSAIK DER BEWEGUNG
Die Geschichte, die diese Körper erzählen, ist nicht die einer jahrhundertealten Tradition noch einer absoluten Gegenwärtigkeit. Sie haben die Routinen ihrer Tanztechnik längst durchbrochen. Stattdessen verweisen sie – eingefasst vom installativen Charakter des Bühnenraums aus weißen Leinwandflächen und Holzkuben – auf ihre Potentiale. Und dazu gehört auch – das ist eine der herausragenden Erfahrungen des Abends – dass man in all ihrer Differenz nicht auf Identität, Geschlechts- oder Nationenzugehörigkeit der Tanzenden hingestoßen wird, sondern diese Vielheit einfach wahrnimmt; und das im Rahmen einer dichten, ästhetischen Erfahrung durch die Verflechtung von Sound, minimalistischer Bühnen- und Lichtgestaltung, aufwändigem Kostümdesign und der Begegnung der virtuosen Tänzerkörper in einem Prozess von Choreografie.
Miriam Althammer, tanznetz.de, 5.3.2018
EIN TANZ, EIN TAUMEL, EINE FLUCHT
Richard Siegal spannt mit „BoD“ (kurz für „Ballet of Difference“) und dem ursprünglich fürs Bayerische Staatsballett verfassten „Unitxt“ zwei ebenso vertraute wie überw.ltigende Exemplare der Gattung Virtuos-Tanz in den Dreier-Rahmen. Zwischen die beiden imposanten, die Sinne herausfordernden Stücke klinkt er ein intimes, vierköpfigesFormat.„Made for Walking“ kommt zwar wie ein lockeres Impromptu daher, ist aber ein streng gegliedertes und durchdachtes Stilexperiment.
Während die Tänzerkörper mit martialischer Luftkissen-Couture bewaffnet werden und jeder „Unitxt“-Satz mit dem choreografischen Skalpell herauspräpariert scheint, gestattet Siegal dem eingeschobenen
Quartett eine gewisse Autonomie. Was sich daraus ergibt, beobachtet er selbst vom Mischpult aus.
Robuste Stiefel ersetzen da die Spitzenschuhe, asymmetrisch geschnittene Unisex-Hängerchen schmeicheln den drei weiblichen Figuren ebenso wie dem männlichen Begleiter. Paarweise stehen sie einander gegenüber, wenn Margarida Neto mit „five, six, seven, eight“ das Startkommando für ein Klatschpräludium gibt, einen selbstbezüglichen Prolog: Kreuz und quer sausen Handteller über die eigenen Schultern, den Nacken, den Hals, die Hüften. Die Finger schlagen den Takt für den Einsatz der„MadeforWalking“-Boots. Diese Stiefel wiederum ziehen bestimmte Muster auf den Boden, unter Abgabe enormer Knallgeräusche, aus denen eine vierstimmige Partitur entsteht.
So wandert die Sohlen-Combo vom chorischen Unisono über Fuge, Solo, Kanon zur Reprise, transponiert also akustische Elemente ins Optische und macht anschaulich, was sonst allenfalls geübte Konzertbesucher entschlüsseln können. Die körperästhetische Übersetzung funktioniert derart fantastisch, dass die Tänzer mit Fug und Recht in Stellvertretung ihres Publikums skandieren: „Alle Ohren sind jetzt in exzellenter Verfassung!“
Die musikalische Sensibilisierung wird außerdem mit trickreichen Barocktanz-Zitaten aufgepeppt. Siegal lässt erzklassische Kombinationen und Raummanöver andeuten, die der Stiefel-Look ins zeitgenössische verfremdet. So schiebt sein fußperkussives Kabinettstückchen Vergangenheit und Gegenwart ineinander, und ganz nebenbei erteilt der Choreograf auch noch eine persönliche Lektion.
Diese betrifft seine Philosophie eines „Ballet of Difference“, das sich besetzungstechnisch weniger divers präsentiert, als Siegals Agenda vermuten lässt. Durch die Bank nämlich handelt es sich um hinreißende Tänzer, die sich einzig in Hautfarbe undHerkunft unterscheiden, auf künstlerischem Niveau aber miteinander absolut gleichziehen. Different ist jedoch der choreografische Ansatz, den Richard Siegal mit „Made for Walking“ erprobt. Denn er hat hier keinen Ableger von „Unitxt“ oder anderen Erfolgen, sondern ein genuin neues Tanzpflänzchen gezüchtet. Das macht sich gut im aufstrebenden Kölner Tanzreservat und wird sicher auch in München Beifall finden.
Dorion Weickmann, Süddeutsche Zeitung 28.2.2018
GENIAL WEITERSPINNEN IST AUCH GENIAL
Es gibt sie, diese Choreografien, bei denen man, wenn das Licht verlischt, wie ein Kind krähen möchte: "Noch mal!" Noch mal das ganze Stück von vorn, nochmal diesen Tanzirrsinn, von dem man nur einen Bruchteil wahrnehmen konnte. Richard Siegals vor fünf Jahren für das Bayrische Staatsballett entstandene Stück "Unitxt" ist so ein Meisterwerk.
Zwölf Tänzer, die Körper federn weich im simpelsten aller Tanzschritte, dem Discoschritt. Die Hände sind vor dem Schritt gefaltet als wären sie arme Sünder. Tatsächlich ist Buße angesagt, angesichts des dreisten Kidnappings von klassischem Spitzen- und Virtuosentanz, das sich Siegal in seinem "Unitxt" herausnimmt. Den Ballerinen mit dem strengen Haardutt zucken nämlich die Hüften, die Köpfe baumeln zum Headbanging und ihre spektakulär hohen Beine spreizen sich mit der aggressiven Erotik von Nachtclubtänzerinnen zur gewaltig pumpernden, sirrenden, schleifenden Industrial-Komposition von Alva Noto.
Eine perfekte Choreografie, der zwar immer wieder die große stilistische Nähe zu William Forsythes wilden End-1980er Jahren vorgeworfen werden muss, aber eigentlich egal: Genial weiterspinnen ist auch genial. Zudem: Siegal baut einen zusätzlichen Kniff ein: Irgendwann fliegt eine Tänzerin plötzlich durch die Luft wie eine Katze, die man im Nacken gepackt hat und tatsächlich: An den schwarzen Korsagen der Tänzerinnen hat Kostümbildner Konstantin Grcic Haltegriffe befestigt, mit denen die Männer die Frauen nun lupfen und schleifen und nebenbei das Repertoire ballettöser Hebefiguren noch um ein paar Finessen erweitern.
"Unitxt" ist der pulshochjagende Rausschmeißer an diesem dreiteiligen Abend, dem zweiten Programm, seit die Städte München und Köln gemeinsam Richard Siegals Kompanie "Ballet of Difference" finanzieren.
Tempo und Lässigkeit
Das schon im vergangenen Jahr präsentierte Gründungsstück "BoD" zeigt Siegal nun wieder, spürbar überarbeitet und perfektioniert. Auch die Tänzer sind an Siegals anspruchsvollem Stil gewachsen. Jetzt stimmt die Lässigkeit, stimmt das Tempo. Diesen Reifungsprozess muss das neue Stück offenbar erst noch durchlaufen. Erstmals hat Siegal für diese Uraufführung in Köln geprobt. Den Raum dazu habe er sich erst schaffen müssen, erzählt er. Andererseits sei die unruhige Probensituation auch spaßig gewesen. So spricht ein höflicher Optimist, aber ob das so stimmt, bei einem Stück, das sich mit Polyrhythmen beschäftigt und doch wohl höchste Konzentration braucht?
"Made for Walking" heißt das "Köln-Opus", und wer dem Titel reflexartig "These Boots" voranstellt, liegt richtig. Die Tänzer dieses Quartetts tragen schwarze Stiefel, mit denen sie energisch Rhythmus erzeugen. Steppen, soldatisch paradieren, puppenhaft trappeln als wollten sie das martialische Marschieren auch karikieren wie einst die afrikanischen Goldminen-Arbeiter ihre Wärter beim Gumboot-Dance. Dazu Bodypercussion mit den Händen, was zu aufregender rhythmischer Komplexität führen könnte, nur müssen die Tänzer die erst noch optimieren. "Alle Ohren sind jetzt in exzellenter Verfassung", singen die Tänzer einmal sehr selbstironisch als Chor heraus. Eine präzise Interaktion der Körper, ein genaues Hinhören - so funktionieren Kollektive, funktioniert die Einordnung in eine größere gemeinsame Idee. Um welchen Preis eine solche Gemeinschaftsbildung geschieht, zeigt Siegal auch.
In den letzten Minuten zieht eine Frau des Quartetts, Courtney Henry, ihre Stiefel aus. Die Tänzerin mit den unglaublichen langen Armen und Beinen nimmt sich als Solistin den Raum, findet ihren ganz eigenen Rhythmus und was vorher immerzu kontrolliert war, verströmt sich nun weich und explosiv. Eine Chiffre für Freiheit und die "Differenz", die sich diese Kompanie als Devise auserkoren hat. Mutige Tänzer, eine eigenwillige Stückidee und ein Signal: Dass Siegal - wie schon in seinem bisherigen Werdegang - auch mit dem "Ballet of Difference" noch viele ästhetische Richtungen einschlagen wird.
Nicole Strecker, Kölner Stadt-Anzeiger 24.2.2018
AUF DEN PUNKT BRINGEN
Der dreiteilige Abend zeigt Richard Siegal als aufmerksamen Schüler William Forsythes – nicht als Nachahmer, wohlgemerkt. Aber wie Forsythe versteht er es, den Zuschauer mit vielen gleichzeitigen Seh-Angeboten herauszufordern, es fließen Formationen ineinander und wieder auseinander, gehen Tänzer raus und wieder rein, als müsse das just in diesem Augenblick so sein, werden kleine Sequenzen wiederholt, ist der Tanz insgesamt eine äußerst fein abgestimmte, exakt eingestellte Maschine. Diese Stücke müssen nichts bedeuten, müssen nicht über den reinen Tanz, die Bewegung von Körpern im Raum und Zeit hinausweisen. Es zählt die ästhetische Plausibilität der Bewegungspartitur. Bezeichnenderweise setzt Siegal den Spitzenschuh nicht ein, um Weiblichkeit, Zierlichkeit zu signalisieren, sondern als Erweiterung der technischen, ja artistischen Möglichkeiten.
Für das Bayerische Staatsballett entstand 2013 Siegals „UNITXT“. Angesichts furioser Prägnanz, Eleganz, Artistik, aber auch Lässigkeit bewies das Stück, dass da einer entschlossen war, den Spitzentanz in die Zukunft zu führen.
In „BoD“ (Uraufführung war 2017 in München, zum Start des Ballet of Difference) tragen die zehn Tänzer Teil-Tutus oder andere Applikationen aus Plastikschaum, setzen sich zu arabisch angehauchten Clubbeats DJ Harams viele emsige Tanzrädchen in Bewegung, trumpft jedes Tänzer-Individuum mal auf, ordnet sich aber auch hier immer wieder in die Gruppe ein. Zur sparsamen, fast nur aus Rhythmus bestehenden Musik wird plastisch, wie grandios Siegals Bewegungssequenzen immer wieder auf den Punkt kommen.
Sylvia Staude, Frankfurter Rundschau 23.2.2018
HAUPTSACHE JETZT
Es gibt Momente in Siegals Stücken, insbesondere in BoD, da scheint sich der gesamte Kosmos in der Choreografie zu spiegeln. Dann vereinigen sich auf subtile Weise – besonders für den, der offen dafür ist – die akustischen mit den gestalterischen Momenten; die Bewegungen des Körpers mit den Erfahrungen der eigenen Geschichte. Gleich zu Beginn von „BoD“ ist solch ein Moment, der den Zuschauer mit seinen zirpenden und zwitschernden Klängen, dem Pfeifen und Glöckeln und aus der Tiefe aufsteigenden Bässen in eine archaische Welt versetzt.
Unterschiede, Differenzen, aufgreifen und begreifen zu wollen, die Heterogenität des Lebens in all ihren Ausprägungen anzuerkennen und die Gemeinschaft in den Mittelpunkt zu stellen, ist sichtbar Siegals Anliegen. In „Made for Walking“ geht er noch einen Schritt weiter. Mit dem Komponisten Lorenzo Bianchi Hoesch hat er dazu einen „musikalischen Parcours“ entwickelt, auf dem die Tänzer mit ihrem Körper, mit Tanz und Bewegung nicht nur selber auch einen Teil des Sounds erzeugen, sondern dieser Sound auch in der Bewegung sichtbar ist. Eine großartige Idee, denn die Körper der Tänzerinnen und Tänzer werden damit in doppelter Hinsicht künstlerisch-gestaltendes Subjekt der Inszenierung.
Klaus Keil, tanzweb.org 23.2.2018
WIR SIND WIE EIN RENNBOOT
Choreograph Richard Siegal erklärt vor seiner ersten Premiere am Schauspiel Köln, was er im Ballett anders machen will
Richard Siegal, Sie haben ihre 2017 gegründete Tanzcompagnie "Ballet of Difference" getauft. Inwiefern möchten Sie anders sein?
Das ist auch die Frage, die ich mir gestellt habe, als ich die Compagnie gegründet habe. Was kann das Ballett im 21. Jahrhundert noch sein? Welche Rolle spielt es? Wer sind seine Bewahrer? Wem gehört diese Kunstform? Ballett, das bedeutet auch eine Art der Zusammenarbeit, die vielleicht nicht mehr zu unserer Gesellschaft von heute passt. Trotzdem ist das Ballett schön, sublim, wir wollen das nicht zerstören. "Ballet of Difference" ist der Versuch, die Institutionen zu untergraben, die geschaffen wurden, um die Tradition des Balletts aufrechtzuerhalten. Aber nicht aus Feindschaft zum Ballett, sondern um einen Dialog zu provozieren. Und letzten Endes, um die Kunstform weiterzuführen.
Es geht also nicht darum, einen Schlussstrich unter die lange Tradition des Balletts zu setzen?
Das Pendel schwingt vor und zurück zwischen Innovation und Tradition. So schreitet die Kultur voran. "Ballet of Difference" soll ein Kontrapunkt sein. Wir sind eine kleine, sehr effiziente Organisation, die sehr schnell auf Strömungen in der Gesellschaft reagieren kann. Wir leben unter Hochgeschwindigkeit. Aber große Institutionen wie ein Staatsballett sind wie Ozeandampfer, man muss den Kurs viele Kilometer im Voraus ändern, bevor das Schiff die Kurve nimmt. Wir sind wie ein Rennboot.
Führen Sie Ihre Compagnie auch anders, etwa demokratischer?
Es gibt einfach viel weniger Tänzer, im Moment sind es zwölf. Wir bräuchten eigentlich ein paar mehr. Ich habe also viel mehr persönlichen Kontakt zu den Tänzern, als wenn es 80 wären. Ich kenne ihre jeweilige künstlerische Entwicklung viel besser. Das ist auch ein Unterschied, um noch mal auf unseren Titel zurückzukommen. Bei Ballett denkt man an Homogenität, nicht an Unterschiede. Die Spannung zwischen diesen Begriffen ist exakt das, was die Compagnie ausmacht.
Was muss ein "Ballet of Difference"-Tänzer mitbringen?
Exzellenz ist die Grundvoraussetzung, jeder muss ein mörderisch guter Balletttänzer sein.
Alle sind klassisch ausgebildet?
Ja, jeder. Aber nur einige von uns hatten ganz klassische Ballettkarrieren. Katherina Markowskaja zum Beispiel war Solotänzerin in Dresden und München. Aber wir haben auch jemanden wie Diego Tortelli. Der hat an der Mailander Scala getanzt, also ein ganz klare, klassische italienische Ballettausbildung genossen. Aber später hat er mit zeitgenössischen Choreographen wie Frédéric Flamand und seit vier, fünf Jahren eben mit mir getanzt und auch selbst als Choreograph gearbeitet. Und das erkennt man auch an seinem Tanz: Da sehen sie eine interessante Spannweite. Jeder meiner Tänzer hat seine ganz bestimmten Eigenheiten, Uniformität interessiert mich nicht. Es geht um die Chemie zwischen Leuten, die sich erst daraus ergibt, dass niemand wie der andere, dass jeder anders ist. Und natürlich gibt es eine unendliche Anzahl an Möglichkeiten, zusammen anders zu sein.
Wie sind Sie selbst zum Tanz gekommen? Eine Familientradition?
Mein Vater war Maler, es gab also Kunst in der Familie. Mein älterer Bruder hat an der New Yorker Juilliard School Tanz studiert. Daher wusste ich also schon als junger Mensch, dass Tanzen tatsächlich ein Beruf sein kann. Ich bin in einer Kleinstadt in Neuengland aufgewachsen, da war Tanzen für Jungs eher tabu. Ich bin also gleich nach der High School nach New York gezogen, um zu sehen wie das ist. Später habe ich doch noch studiert, die freien Künste. Erst in dem Sommer, als ich 22 wurde, beschloss ich, mit dem Tanz Ernst zu machen. Und was dann passierte, übertraf meine kühnsten Erwartungen. Ich fand ausgezeichnete Lehrer in New York, wunderbare Freunde, das Leben als hungernder Künstler gefiel mir.
Wie kamen Sie als Solotänzer unter William Forsythe nach Frankfurt?
Das war 1996, ein Freund von mir war in der Compagnie. Da konnten sie noch nicht alles übers Internet recherchieren. Also ging ich auf Vorstellungsrunde quer durch Europa, nach Paris, nach Brüssel zu Anne Teresa De Keersmaeker, nach Wuppertal zu Pina Bausch. Und eben nach Frankfurt, was ich unheimlich aufregend fand. Als nach der Klasse schon jeder gegangen war, improvisierte ich im Studio für mich allein. Forsythe sah mir dabei zu, ohne dass ich es merkte, und lud mich zu einem Vortanzen ein. Wir haben uns gleich verstanden. Daraus wurden dann sieben Jahre. Bei ihm habe ich gelernt, durch den Tanz zu denken.
Woraufhin Sie die Seiten wechselten.
Ich zog nach Paris und startete meine eigene Compagnie, The Bakery.
Wann wussten Sie, dass sie Choreograph werden wollten?
Schon immer. Schon als ich beschloss, es als Tänzer zu versuchen. Ich hatte keine hohen Erwartungen an mich als Performer, weil ich so spät angefangen hatte. Ich dachte, jede Erfahrung als Tänzer wäre wie eine Lehre. Was nicht zwangsläufig richtig ist. Tanz und Choreographie sind wie Äpfel und Birnen. Tanz hat viele Strukturen und pädagogische Traditionen, Choreographie kann man nur lernen, in dem man es tut. Der Lernprozess findet also in der Öffentlichkeit statt.
Christian Bos, Kölner Stadt-Anzeiger 22.2.2018