RICHARD SIEGAL / BALLET OF DIFFERENCE AM SCHAUSPIEL KÖLN
PRESSESTIMMEN
DADA ALAAF
Richard Siegals mitreißendes Tanzsprech-Potpourri in Köln
Choreografie und Opernregie gehen inzwischen ganz routiniert Hand in Hand. So hat auch Münchens umtriebigster Tanzmann Richard Siegal unlängst versucht, im Musiktheater Fuß zu fassen. Allerdings musste er für Leonard Bernsteins „Mass“ in Gelsenkirchen ein derart riesiges Ensemble mobilisieren, dass jeder konzeptionelle Ansatz hinten runterfiel. Siegal hat daraus die richtige Lehre gezogen. Sein neues Stück „Roughhouse“ steckt in einem radikal ver- kleinerten Rahmen und ist als Koproduktion des Ballet of Difference (BoD) mit dem Kölner Schauspiel aufgezogen, das derzeit behelfsmäßig im Mülheimer Carlswerk residiert. Text, Regie und Choreografie stammen von Siegal persönlich, die Kölner Uraufführung hat er einem neunköpfigen Misch-Kollektiv anvertraut: Vier BoD-Tänzer und fünf Schauspieler turnen durch ein knapp eineinhalbstündiges Dada-Spektakel, dessen Nonsens-Maschinerie mitunter von Gewaltexzessen ausgebremst wird.
Die Brutalo-Fantasien, mit denen Siegal die Slapstick-Zone bombardiert, erinnern nicht von ungefähr an Quentin Tarantinos filmische Bluträusche. Die mediale Entgrenzung der Gegenwart ist das Leitmotiv des Abends, der von Talkshow bis Terrorattacke alles abgrast, was über Netz- und TV- Kanäle flimmert. Die Details des Geschehens fängt eine Kamera ein, die mal auf den Hintern eines Darstellers zoomt, um im nächsten Moment den Überfall eines Guerilla-Kommandos in Breaking-News- Manier zu dokumentieren.
Siegal entwirft eine Welt, die dem Gesetz der Gleichmacherei gehorcht: Rassis- mus, Bürgerkrieg, Atombombe, Totschlag, Feminismus, Sexsucht, Witzereißerei – alles eins. Jeder Sprechakt dient nur als Trigger einer mehr oder minder ausgedünnten Kommunikation, die zwischen Comic-„Bang“ und psychedelischen Wiederholungsschleifen mäandert und Monologe in Serie fabriziert – von neun Mündern wie aus Gewehrmündungen abgefeuert.
Trotzdem ist weit und breit kein Schlachtfeld in Sicht. Denn die verbale Militanz wird ausstattungstechnisch von Turnmatten abgefedert, auf denen sich trefflich balgen und schaukämpfen lässt. Auf derlei kindliche und demonstrative Auseinandersetzungen spielt nicht nur der Titel „Roughhouse“ an. Vielmehr zeigt Siegal sehr genau, wie globale Konflikte zur konsumentenfreundlichen, leicht verdaulichen Botschaft verkocht werden. Echte Aufreger? Mit ziemlicher Sicherheit erzielen der Rosenkrieg im Hause Becker oder die Trennung von Fischer & Silbereisen mehr Klicks als Frankreichs Macron-Malaise oder die Hungerkatastrophe im Jemen. Den Finger in diese Wunden zu legen und dabei auch noch unterhaltsam zu bleiben, bringt Richard Siegals Text-Tanz-Collage mühelos zustande. Wobei sich der Autor auf furiose Akteure verlassen kann, de- ren unterschiedliche Herkunftskulturen kaum ins Gewicht fallen. Die Tänzer glänzen sprachlich, die Schauspieler brillieren motorisch, und so wird „Roughhouse“ tatsächlich zur interdisziplinären Veranstaltung: ein gelungener Brückenschlag von Terpsichore zu Thalia und umgekehrt.
Wie zur Bekräftigung dieses Bundes sucht Siegal im letzten Drittel das Herr- schaftsgebiet beider Musen auf. Er türmt Auszüge aus der „Orestie“ auf mickrige Sprechblasen, knallt hohen Tragödienton über infantile Dreiwortsätze, die den Standard der Jetztzeit markieren. Natürlich wird die Menschheit noch immer von Hass und Rachedurst regiert. Nur haben ihre Götter abgedankt, sind zugunsten allwissender Daten-Agenturen verschwunden, durch Hybride aus Wikipedia ersetzt.
Da hilft bloß noch die Flucht ins Esoterische. So wagt die „Roughhouse“-Crew zuletzt ein telepathisches Experiment – finale Dada-Hommage und sinnfreie Schlusspointe eines durchaus sinnstiftenden Abends.
Dorion Weickmann, Süddeutsche Zeitung 27.12.2018
SCHAUSPIEL KÖLN: RICHARD SIEGAL ZERLEGT DIE SPRACHE
Was, wenn der Sprache überhaupt nicht mehr zu trauen wäre? Weil Menschen heucheln und lügen, weil sie ihr Sprechen nutzen, um vorzutäuschen, was sie nicht sind, und auszugrenzen, wen sie bedrohlich finden. Der amerikanische Choreograf Richard Siegal hat sich für sein neues Stück „Roughhouse“, das jetzt am Schauspiel Köln seine Uraufführung erlebte, an die Sprache gewagt. Der Choreograf hat ein Stück geschrieben, das Sprechhaltung imitiert, persifliert, verwirft, das in einem Moment politisch korrekt Respekt fordert und im nächsten die Freiheit, in jede Tabuzone vorzudringen, jedes Reizwort auszusprechen. Aus einem Wust an Zitaten, Sprachcodes, Jargon hat Siegal eine Textfläche gesampelt, in der sich die Gegenwart in all ihrer Zerrissenheit durch ihre Sprache selbst verrät. Von Schlagwörtern wie „me too“, Opfer-Betroffenheits-Antidiskriminierungs-Sprechposen bis zu Spielarten der Hassrede reicht sein Repertoire. Entstanden ist ein Roughhouse – ein wildes Spiel, bei dem Menschen bis an die Schmerzgrenze gehen.
Doch der Choreograf Siegal gewinnt aus dem eigenen Text die Bewegung zurück. Die Tänzer seines „Ballet of Difference“ und einige körpersprachlich ebenfalls sehr begabte Darsteller des Kölner Ensembles lassen die Sprechakte Besitz ergreifen von ihren Körpern. Und so raufen sie manchmal auf dicken Turnmatten, die das Bühnenbild bereithält. Sie spielen Revolutionär und Terrorist, Angreifer und Opfer, ausgrenzende Mehrheit und hilflose Minderheit. Und als ihnen die Wörter gänzlich zerbrechen und sie nur noch Silben stammeln können wie Roboter, deren Software durchdreht, da ist auch die Bewegung virtuoses Stückwerk.
Allerdings bleibt diese gespielte, getanzte Sprach- und Zeitkritik selbst hermetisch. Siegal hat keine Figuren geschaffen, mit denen sich Zuschauer identifizieren könnten. Zwar gibt es komische Momente, aber auch die sind verkopft. So ist dieses Körpertheater seltsam unsinnlich. Siegal verweigert Momente purer Schönheit, in denen der Zuschauer die Kunst der Tänzer genießen könnte. Auch die hohe Sprache der Bühne kommt nicht zum Zug. Aischylos wird deklamiert, doch der Darstellerin fehlt ständig der Text. Die „Orestie“ sei gestohlen, heißt es da, der kulturelle Schatz Europas einfach geklaut.
Es ist ein anstrengender Abend, den Siegal aus tiefster Sprach- und Gegenwartsskepsis geboren hat. Und manchmal wünschte man, er sei beim Tanz, bei purer Körpersprache geblieben. Doch ist die totale Deformation von Kommunikation, die der Choreograf in „Roughhouse“ betreibt, nur ein Weiterdrehen der Manipulation von Sprache, die täglich zu erleben ist. Nein, der Sprache der Gegenwart ist nicht mehr zu trauen. Es ist kein Vergnügen diese Krise auf der Bühne anzusehen, aber höchste Zeit.
Dorothee Krings, Rheinische Post 21.12.2018