FONDAZIONE NAZIONALE DELLA DANZA / ATERBALLETTO
PRESSESTIMMEN
Zu Beginn steht das gesamte "Ensemble" bewegungslos aufgereiht und hört in dem vom Wolkenhimmel spärlich beleuchteten Halbdunkel das sehnsuchtsvolle Trauerweidenlied aus Otello, in der Klavierfassung von Bruno Moretti … bis einer der Tänzer Jacke und Hose auszieht und sich im Slip in den Orchestergraben stürzt. Derselbe unsinnige, verblüffende Sprung von jedem Mitglied der Gruppe, am Ende des finalen Galopps zum Chor aus der Diebischen Elster, bevor der letzte Tänzer, der im Slip vom Anfang, am Rande des Abgrunds stoppt. In diesem kreisenden und vergnügten "Nonsens" (aber nicht nur: die Idee der Bedeutungsleere ist bei Rossini sicher nicht zufällig gekeimt) findet sich eine Teatrodanza-Szene zum hypnotisierenden Zwischenspiel von La Cenerentola, in der die Tänzer mit Kostümen des 18. Jahrhunderts an einer langen Tafel sitzen und, im Wahn eine unsichtbare Wirklichkeit nachahmend, gestikulieren (das ist Rossinis halluzinatorischer Effekt). Es folgen die Transformationen eines entblößten Paares, das sich am Boden umklammert … beim "Solo" lässt eine andere Tänzerin, eindrucksvoll und sexy, das Prélude fugassé im ironischen Prunk der Virtuosität schillern, auf den Spitzen, aber gewissermaßen distanziert und gedehnt. Dann gibt es ein herrliches Frauenduo, in dem Bigonzetti den Sprung ins Leere aus der Diebischen Elster mit einem klugen Spiel aus Erwartung, Anteilnahme und Nacheifern vorwegnimmt.
Marinella Guatterini in IL SOLE 24 ORE, 1. Februar 2004.
Eine Art "Divertissement" nach der Musik von Gioacchino Rossini, in dem man auf die ausgefeilte Gestik achten sollte. Der Pas de deux Ouf! les petits pois ist ein effektvoll gemeißelter Liebestanz; das Solo der Tänzerin in Prélude fugassé ist eine Hommage an glanzvolle Posen bei der Ballettausbildung; das Duo Prèlude inoffensif eine Studie über die Natur des weiblichen Körpers; und bitte alle zu Tisch, um Questo è nodo avviluppato (aus La Cenerentola) in eine Choreografie der "verwickelten" Arme zu übertragen. Großes Finale mit der Ouvertüre der Diebischen Elster …
Francesca Pedroni in IL MANIFESTO, 1. Februar 2004
GETANZTER AUGENSCHMAUS MIT PFIFF
(…) Zwei außergewöhnliche Komponisten hat sich Choreograf Mauro Bigonzetti ausgesucht: Bach und Rossini. Und er lässt das 19-köpfige Ensemble, das als das bemerkenswerteste in ganz Italien gilt, nach seiner unverwechselbaren Handschrift und mit typischer Bewegungssprache – immer wieder abgehackte schnelle Gestik und Schritte – durch die unterschiedlichen Szenen tanzen.
(…) Dieser „Augenschmaus“ aus Gruppen- Paar- und intensiven Solo-Szenen machte Lust auf den zweiten Teil des Abends: „Rossini Cards“. Die knapp einstündige Choreografie zeichnet sich durch Ausgelassenheit, Originalität und viel Humor aus. Bigonzetti lässt sich hier von der Musik treiben und schafft einen quirligen Streifzug durch das Leben. Es entwickeln sich in schneller Folge dramatische Tableaus zur bombastischen Rossini-Musik, burleske Szenen, fast akrobatische Hingucker mit pfiffigen Einfällen. Da wird an einer Festtafel gezecht und gestikuliert. Doch trotz aller Verspieltheit werden mit professioneller Exaktheit Rhythmen tänzerisch umgesetzt und wiederholt.
(…) Besonders in der Gruppe toben die Tänzer wild und rasend schnell ihre Bewegungsfreude aus. In mächtigen Sprüngen mit wirbelnder Daynamik und schönen Hebungen entwickelt sich das alles mit großer Musikalität. Schön, dass einige Szenen – live vom Piano (Bruno Moretti) begleitet werden. Der Tanzabend endet mit dem wohl originellsten Bühnen-Abgang, der der Burghof je gesehen hat: Fruedig, zappelnd, ängstlich, enthusistisch – jeder Tänzer springt auf seine Weise von der Bühne, tief hinab in den Orchestergraben. Übrig bleibt nur einer, der schelmisch achselzuckend ins Publikum schaut. Der Vorhang fällt, es folgt zu Recht minutenlanger, begeisterter Applaus.
Gabriele Hauger, Oberbadisches Volksblatt, 28. November 2006
ATERBALLETTO BRENNT TANZFEUERWERK AB
(…) Zärtlichkeit, Verspieltheit, Leidenschaft und Aggression, Spitzentanz und Akrobatik – keine Emotion und keine Tachnik hat das Aterballetto aus Reggio Emilia bei seinem virtuos getanzten Gastspiel im Graf-Zeppelin-Haus ausgelassen.
(…) Ein wahres Tanzfeuerwerk war zuletzt die Choreografie „Rosssini Cards“ mit einer Collage aus Einspielungen aus Ouvertüren und Opern und live gespielten Stücken Rossinis, am Klavier glänzend interpretiert von Bruno Moretti. Ohne eigentliche Handlung eröffnete sich in unbändiger Vitalität, in immer neuen Variationen, im Wechsel von Einzelgruppen und Ensemble der ganze musikalische Kosmos Rossinis: witzig, spritzig, parodistisch, zärtlich und leidenschaftlich.
Christel Voith, Schwäbische Zeitung, 30. November 2006
SCHÖNHEIT IST HIER NIE GLASKLAR UND GLATT
(…) Was, wenn nicht das Medium Tanz wäre besser geeignet, ein vollständig sich selbst tragendes Universum abzubilden? Zu Sternen darin verwandelt Mauro Bigonzetti die Tänzer in seiner „Hommage á Bach“. Eingangs beleuchten sie sich noch spärlich selbst. Der nach der Pause anschließende lockere Bilderbogen nach Motiven Gioachino Rossinis mischte fröhlich stärker am Boden Haftendes bei. Auf dem schmalen Grad zwischen äußerster Reduktion und dem bildhaft Spielerischen italienischer Bühnenwelten wandelte die Compagnia Aterbaletto am Sonntag im Burghof.
(…) Rossini gibt´s dafür im zweiten Teil live mit Bruno Moretti am Flügel, der auch nicht irgendwer ist, sondern was er spielt oft genug auch komponiert, für Bigonzetti, Film und Fernsehen oder die Oper in Rom. Und hatte die für Burghofverhältnisse sehr große Truppe von 19 Solisten eben noch viele klassische Figuren in ihrem sehr körper- und bei den Männern eher ballettungewohnt muskelbetonten Tanz, dann brechen sie bei Rossini ohne Probleme mit aller Tradition. Deutlich wird das gerade im locker eingeschobenen Spitzentanz. Der Schritt zum Tanztheater, zu Johann Sebastian Bach bestenfalls angedeutet, wird bei Rossini vollzogen. Da wird im Sitzen ein Dinner an großer Tafel nicht verzehrt, sondern getanzt, da wird von Hand zu Hand geplaudert, mit den Ellenbogen kommuniziert, da werden Stühle zum Instrument und Requisit in einem. Rossini grotesk. Aber nicht weniger schön.
Auch Kostüme kommen jetzt neu ins Spiel. Wenn da etwa die ganze Truppe in lässigster Armani Eleganz an den Bühnenrand tritt, alle den im Orchestergraben spielenden Pianisten im Visier und sich einer der Tänzer langsam in offener Heimlichkeit seines Jacketts und der zugehörigen Hose entledigt: Was, um Gottes Willen, hat er vor? Sich fallen zu lassen, in den Graben zu stürzen, was sonst! Ganz zum Schluss wollen alle anderen auch, einer nach dem anderen läuft an und springt. Nur dieser Latin Lover von vorhin, noch immer ohne Anzug läuft an, blickt hinunter und geht ab.
Annette Mahro, Badische Zeitung, 28. November 2006