zur Startseite

zur Startseite (ecotopia dance productions: Pressestimmen Centro Coreografico Nazionale / Aterballetto - Come un respiro/Le Sacre/In Canto)

CENTRO COREOGRAFICO NAZIONALE / ATERBALLETTO

PRESSESTIMMEN

NEOKLASSISCH, ZEITGENÖSSISCH, BAROCK
"Aterballetto": Vor 33 Jahren aus dem nüchternen Kürzel für den Theaterverband der Emilia Romagna – A.T.E.R. – entstanden, gehört heute zu jenen Balettensembles, die sich mühelos in der bunten Welt des zeitgenössischen Tanzes behaupten können. Das Gastspiel in Villach geriet zum Triumph und wurde vom Publikum stürmisch gefeiert.
Andrea Hein, Kärntner Kronen Zeitung 17. 02. 2012

VOM GENUSSVOLLEN AUGEN-SCHLEMMEN
Zeitgenössischer Tanz darbt in Italien. Mangelnde staatliche Unterstützung ließ die Szene ausdünnen und Kunstschaffende abwandern. Zum tapferen Rest zählt die 1979 in der Norditalienischen Provinz Regio Emilia gegründete Kompanie „Aterballetto“, die ihr Überleben durch internationale Gastspiele sichert.

Sowohl „Come un respiro“(2009) als auch „Le sacre“ (2011) des Hauschoreografen Mauro Bigonzetti tourten bereits erfolgreich und bestätigten den Ruf der Kompanie als Wirkstätte für makellosen, heiter-dramatischen Tanz mit Zuckerguss.
Doch was spricht gegen genussvolles Augen-Schlemmen? Zumal in solch sympatischer Form? In „Come un respiro“ zu Klaviersuiten von Händel erkundet die Kompanie den Atem in Musik und Tanz. Gerahmt von Ensembleszenen, in denen höfische Tanzgesten durchschimmern, fügen sich Duette und Soli wie Perlen einer Kette aneinander. Den atmosphärischen Atem jeder Suite transportiert Bigonzetti unverkrampft in neoklassizistische Bewegungen. Schnellfüßiges, kantiges Vokabular wechselt mit geometrische-sanften Körperverschlingungen, effektvolle Hebungen mit blitzartigen Spagaten.
I.Türk-Chlapek, www.kleinezeitung.at 17.02.2012

DER TOD DES MÄDCHENS SOLL DEN FRÜHLINGSGOTT GNÄDIG STIMMEN
Am Ende schien es, als sein der erste Teil des Abends mit dem großartigen Aterballetto aus Italien, die Choreografie „Come un respiro“ zur Musik von Georg Friedrich Händel, wie eine Vorbereitung auf den zweiten Teil, den Höhepunkt: „Le Sacre du Printemps“.
Igor Strawinsky schrieb dieses Ballett vor 90 Jahren über ein uraltes Ritual, das heidnische Frühlingspofer – aber seine Musik und das Thema des Ewigen Kreislaufes sind zeitlos-modern und sehr packend. Obwohl einige Bewegungsmuster – ein extrem verlangsamtes, leicht verdrehtes Strecken der Beine oder das Stakkato-Winken der Arme – in beiden Choreografien auftauchen, setzt Hauschoreograf Mauro Bigonzetti in dieser Gegenüberstellung auf starke Gegensätze. Im ersten Teil hat er zur strengen Musik von Händel ein schörkelloses, fast kühles Ballett inszeniert. Im weißen Licht bewegen sich die Tänzer fast zurückhaltend, eher mit dem Blick nach innen gerichtet, oft alleine.
Elemente aus dem neoklassischen Ballett verschmelzen mit Bewegungen, wie man sie aus dem Streetdance kennt. Einziger Wermutstropfen: der künstliche Klavierklang. Schon in der Pause gab es viel Zwischenapplaus und Bravorufe im ausverkauften Theater der Stadt Schweinfurt, der sich am Ende des Abends noch steigerte. Als Strawinsky die letzten Seiten von „Le Sacre“ niederschrieb, überkam in die Vision einer großen heidnischen Feier – alte weise Männer sitzen im Kreis und schauen dem Todestanz eines jungen Mädchens zu, das geopfert werden soll, um den Frühlingsgott gnädig zu stimmen. So schrieb der russische Komponist in seinen Erinnerungen.
Diese Vision lässt der Choreograph Bigonzetti lebendig werden. Alles beginnt mit dem
Sonnenaufgang. Langsam erwacht die Natur zum Leben, die Tänzer in ihren erdfarbenen Kostümen räkeln und strecken sich. Die jungen Mädchen beginnen ihren rituellen Frühlingstanz. Erst heiter und fröhlich, bis sich das Tempo ohne Vorwarnung steigert. Zum Spiel der rivalisierenden Stämmen hämmern die Pauken. Die Bühne wird in glutrotes Licht getaucht, die Spannung steigt (…) Aus dem Kreis der jungen Frauen wird die eine auserwählt, die geopfert werden soll. Es ist eine zierliche und doch kraftvolle Tänzerin, und sie kämpft bis zum Schluss. Sie tanzt sich das Herz aus dem Leib, so ergreifend, dass es das Bühnenblut nicht gebraucht hätte, das am Ende effektvoll aus dem Schnürboden heruntertropft.
Katharina Winterhalter, Schweinfurter Tagblatt /Volkszeitung 10. 02. 2012

GETANZTE FORMENVIELFALT, DIE IN ERSTAUNEN VERSETZT
Barockmusik von Georg Friedrich Händel, auf Spitze getanzt - man könnte sogleich an Ballerinen im Tutu denken, die anmutig ihre Pirouetten drehen. Keine Frage, dass die Tänzerinnen vom Aterballetto auch darin eine gute Figur machen würden.
Mauro Bigonzetti steckt sie in seiner Choreographie "Come un respiro" (Wie ein Atemzug) aber lieber in einen sportlichen Turndress aus weißen Trikots und schwarzen Kniehosen.

Und das passt nicht nur weitaus besser zum dezenten Tattoo am Knöchel einer Tänzerin, sondern auch zu seiner sehr körperbetonten Auffassung von Tanz. Während das klassische Ballett vorgibt, die Schwerkraft zu überwinden und die Tänzerinnen in ihren Tüllwolken gleichsam entmaterialisiert, betont Bigonzetti gerade die physische Präsenz und Ausstrahlung der (männlichen und weiblichen) Körper, deren Biegsamkeit und Beweglichkeit er bis aufs Äußerste auskostet.

Dabei bedient er sich der Formensprache des klassischen Balletts, die er zugleich bricht: kaum eine klassische Position, die nicht mindestens um ein Weniges verdreht, verwinkelt, verschoben, zerstückt und neu zusammengesetzt wird. Zusammengehalten von kurzen Ensembleszenen zu Beginn und Ende entfaltet sich daraus ein traumschöner Fluss von Soli, Duos, Pas de deux' und Pas de trois', dessen ganz und gar zeitgemäß erscheinende Formenvielfalt mit immer neuen Details verzaubert und in Erstaunen versetzt.

Richtet sich der Blick in "Come un respiro" eher auf die Einzelaktionen, so kommt beim zweiten Stück des Abends "InCanto" mehr die große Ensemblebewegung in den Blick; und nach der schwarzen Bühne bieten Projektionen von Wolkenbewegungen, farbigem Licht und Sternenhimmel wechselnde Eindrücke. Projektionen sorgen für eine seltsam futuristische Anmutung Wie Raumschiffe oder Planeten tauchen Fragmente von Industrieanlagen im All auf und verschwinden wieder - was in Kombination mit den silbrigen Trikots der Tänzerinnen und Tänzer seltsam futuristisch wirkt.

Was man freilich nicht so recht mit der musikalischen Grundlage von Händels Oper "Orlando" zusammenbringt. Klar, dass man hier gar nicht erst nach der Geschichte von Ariosts "rasendem Roland" zu suchen braucht - aber auch die vom Choreographen nach eigener Auskunft in den Mittelpunkt gestellte "Erkundung der Leidenschaften" lässt sich dabei kaum ausmachen. Dazu bleibt die Tanzsprache Bigonzettis zu abstrakt - und zu sehr gefangen in Schönheit. Leidenschaft dagegen kommt nicht ohne Ambivalenz aus.

Der Schönheit des Stücks, das zu Händels berümtem Largo "Ombra mai fu" aus der Oper Xerxes ausklingt, tut das freilich keinen Abbruch. Das Publikum im recht gut gefüllten Teo Otto Theater dankte mit minutenlangem Applaus für einen wunderbaren Abend.
Anne-Kathrin Reif, Remscheider Generalanzeiger 7.02.2012

JEDE BEWEGUNG ATMET HÄNDEL
Tapfere Ritter, betörende Zauberinnen, galoppierender Liebeswahnsinn: Ariosts Versepos vom "Rasenden Roland" lieferte Stoff für eine ganze Reihe von Barockopern – auch Händel konnte Orlando nicht wiederstehen. Mauro Bigonzetti, Chefchoreograph der italienischen Vorzeigecompagnie "Aterballetto", nutzte den Renaissance-Bestseller als Inspirationsquelle für sein Stück "InCato dall`Orlando Furioso", das jetzt auf der Bonner Opernbühne zu sehen war. Auf den Hintergrund projiziert Angelo Davoli Mond und Sterne sowei Fragmente industrieller Architektur vor einem strahlend blauen Himmel. Die knappe Kostüme der Tänzer aus Reggio Emilia sind mit silbernen Harnisch-Elementen verziert, ein dezenter Hinweis auf den Ritterkontext. Das muss reichen. Denn "Incanto" ist kein erzählendes Tanztheater, sondern setzt die Gefühle und Leidenschaften, die das höfische Mittelalter genauso regieren wie jede andere Epoche auch, in eine hoch expressive Tanzsprache um. Selten kriegerische, eher verträumt tanzt sich Aterballetto durch Händels Greatest Hits. Bigonzetti arbeitet nicht gegen, sondern ganz eng mit der Musik, sein fließend-elegischer Stil passt wunderbar zu Almirenas Arie " Angeletti" und zum "Serse"-Largo "Ombra mai fu"; bei der Feuerwerksmusik nimmt das komplette Ensemble mit kraftvollen Sprungkombinationen so richtig Fahrt auf. Soli und Pas de Deux sind einfallsreich, sexy und vor allem schön anzusehen –so schön, dass man zuweilen am Lack kratzen und nachschauen möchte, was sich hinter der glatten, neoklassischen Oberfläche verbirgt.
Dagegen reduziert "Come un Respiro", die andere Choreographie des Abends, den Tanz auf das Wesentliche. Keith Jarrett spielt die Händel Suiten, und dazu zeichnen Arme, Hände, Beine und Füße mit einem ganz feinen Stift kaligraphische Zeichen auf einen schwarzen Hintergrund. Hier eine entschiedenen Linie, da ein neckischer Schnörkel, mit grafischer Präzision auf Spitze getanzt. Einzel, par- und gruppenweise malen die brillanten Techniker von Aterballetto ihre wunderschönen Schriftzeichen, und bei aller Konzentration und Disziplin ist auch Raum für ganz viel Zärtlichkeit und Witz. Was einem jedoch vollends den Atem raubt, ist die ungeheure Musikalität. Jede Bewegung atmet Händel, macht die kontrapunktischen Strukturen der Suiten sichtbar, gibt jeder Phrase, jeder Atempause, jedem einzelnen Triller scharfe Konturen.
Die vollkommene Einheit von Körper- und Tonsprache macht "Come un Respiro" selten und kostbar. Nicht so offensichtlich wie der "Incato"- Glanz ist die Schönheit dieser Choreographie, aber sie berührt unmittelbar. Eine Dreiviertelstunde lang traut Bigonzetti dem Tanz und der Musik alles zu, vertraut darauf, dass sie alles von sich erzählen können, wenn sie nur gut genug sind. Der begeisterte Beifall am Ende des Abends gibt ihm Recht. Zehn Minuten lang feiern die Zuschauer die Tänzer aus Regio Emilia: Aterballetto darf gern wiederkommen.
Gunild Lohmann, General-Anzeiger Bonn 2.02.2012

FABELHAFTE ELEGANZ UND LEICHTIGKEIT
Es ist die Musik die beide Teile auseinanderhält. Die erste, "Como un respiro", rekrurtiert sich aus Georg Friedrich Händels Klaviersuiten, eingespielt von Keith Jarrett, die zweite stammt aus Händels Opern und der berühmten "Feuerwerksmusik", die am Ende die ganze Truppe für ein Finale von schönstem Zusammenhang im wildesten Durcheinander auf die Bühne holt.
Aber die Musik hält auch zusammen, die Pracht der Klaviermusik hat durchaus mit der Prächtigkeit der Oper zu tun.
Das ist das Prä dieser jungen italienischen Truppe, diese fließende Dialektik von Masse und Einzelnem, die die Italiener mit einer fabelhaften Eleganz und Leichtigkeit ineinanderlaufen lassen. Um darauf dann die Elemente von zweien, dreien und mehr Tänzern folgen zu lassen. Ein Pas de deux auf eine von Händels Fugen sieht dann so aus: Zum ersten Themeneinsatz springt sie ihm in die Arme.
Dann beginnt ein Spiel der sich ineinander verschränkenden Glieder ähnlich der Fugenstimmen, wobei sie sich immer die Hände nicht loslassen. Der Abschluss sind schönste Hebefiguren, die dann vielleicht in eine Skulptur münden. "Come un respiro", "wie in einem Atem", fließen auch Jarretts Klavierlinien, mal in der Fugenmotorik, mal in vollem Satz expandierend. Das alles erzählt nicht, sondern spielt mit abstrakten Chiffren wie eben auch eine Fuge.
Chefchoreograph Mauro Bigonzetti beweist eine Offenheit für die unterschiedlichsten Tanzstile vom Klassisch-Romantischen bis zur Moderne prägte diese italienische Ballettgruppe, die in Kraft und Sensibilität und Technik sicherlich auch international zu den interessantesten Compagnien gehört.
H. D. Terschüren, Bonner Rundschau 2.02.2012

PHÄNOMENAL GETANZTER HÄNDEL
Auf ihrer ausgedehnten Deutschlandtournee gastiert die Fondazione Nazionale della Danza Compagnia Aterballetto aus Reggio Emilia auch in der Reihe Highlights des internationalen Tanzes an der Oper Bonn. Ausgewählt sind zwei Arbeiten nach der Musik von Georg Friedrich Händel: Come un respiro, uraufgeführt in Wolfsburg im Mai 2009, und InCanto dall'Orlando Furioso, uraufgeführt in Reggio Emilia im Dezember 2007 beziehungweise in einer revidierten Fassung in Lecce im April 2008.
Die Choreografie Come un respiro nimmt die Klaviersuiten Georg Friedrich Händels als Ausgangspunkt. Mauro Bigonzetti wählt die Einspielung für Klavier von Keith Jarrett, erschienen 1995, eine glasklar artikulierte und tänzerisch bewegte Interpretation mit einem Hang zur Transzendenz. Sie ist der Atem, der alles antreibt und durchweht. Bigonzetti nutzt genau diese Qualitäten für seine Compagnie. Er ist der neoklassischen Technik verpflichtet, man sieht Elemente wie Spitze und Spagat, umwerfend sauber, elegant, durchsichtig und klar sind die Bewegungsabläufe im Schwarz der Bühne. Scharf und präzise akzentuiert wird der Tanz durch das Lichtdesign von Carlo Cerri – er zeichnet für beide Produktionen verantwortlich – , das man nicht hoch genug preisen kann. Zuerst ist die Truppe aus 14 Tänzerinnen und Tänzern in einer Reihe verschlungen, eine langsame, verdrehte Bewegung geht durch die Reihe, aus der sich dann Einzelpositionen artikulieren, um sich in konzentrierte Zweier- oder Dreierformationen aufzulösen. Es ist eine abstrakte Arbeit, reine transparente Form und Bewegung.
InCanto dall'Orlando Furioso hat kein so einheitliches Klanggewand. Bigonzetti nutzt nicht, wie der Titel vermuten lässt, die Händelsche Fassung des rasenden Rolands, den Orlando von 1732, für seine Choreografie - „Das wäre einfach viel zu lang“, sagt die Künstlerische Leiterin Cristina Bozzolini im Gespräch vor der Aufführung. Stattdessen „zappt“ Bigonzetti sich durch die Höhepunkte der Händelschen Ohrwürmer und verwendet Arien und Orchesterstücke wie etwa Ombra mai fù aus Serse. Die Werke, die wie im ersten Teil vom Band kommen, sind partiell verändert und ergänzt durch elektronische inserts von Bruno Moretti. So wird im Ballett auch nicht der Ariostsche Handlungsfaden aufgenommen, sondern einzelne Aspekte: der Mensch als Mensch gespannt in die alltägliche Lebenswelt und die Unendlichkeit des Alls. Situiert ist das in ein durch malerische Videoprojektionen und einen abstrakten Bühnenaufbau strukturiertes setting von Angelo Davoli. Der Tanz ist hier freier, energetischer und passionierter, besonders stark die mächtigen, rhythmusdurchpulsten Ensembleformationen der brillianten Truppe aus 18 Tänzerinnen und Tänzern.
Stehende Ovationen ohne Ende, ein riesengroßer Erfolg.
Dirk Ufermann, www. Opernnetz.de 31.1.2012

STILBRUCH IN ARMEN, HÄNDEN UND FÜSSEN
Wie ein langer Atemzug ziehen die Klavier-Suiten, ursprünglich für Clavicembalo geschrieben, von Georg Friedrich Händel vorüber. Und die Bewegungen der Tänzer unterbrechen den Fluss und geben ihm dadurch eine neue, ganz individuelle Gestalt. Darin liegen der Reiz und die eigentümliche Spannung von Tanz und Musik. Mauro Bigonzetti hat sich ausgiebig mit Händels Musik beschäftigt und, wie er in Interviews erzählt, die Liebe zu ihr in seinen Choreographien vertanzen lassen.

Im Pfalzbau kamen gleich zwei Arbeiten von ihm auf Händels Musik zur Aufführung. Mit dem Aterballetto, das seinen Sitz in der norditalienischen Stadt Reggio Emilia hat, verbindet Bigonzetti eine lange schöpferische Zusammenarbeit. Als künstlerischer Leiter hat er von 1997 bis 2007 das Ensemble und seinen Ruf geprägt. Seither ist er kontinuierlich für das bekannte Ballett als wichtigster Choreograph tätig.
"Come un respiro" eröffnete den Abend und rückte die tänzerische Brillanz des Ensembles in den Vordergrund. Atemzug und Atempause strukturieren den Tanz wie selbstverständlich. Doch die Bewegungen der neun Tänzerinnen und ihrer fünf Partner sind alles andere als vorhersehbar. Virtuos klappen die Tänzer ihre Oberkörper aus der hochklassischen Form nach hinten in einen gespreizten Bogen oder kippen ihn zur Seite und verschieben damit die geraden Achsen des klassischen Balletts. Ebenso winkeln sie die Arme in alle Raumrichtungen ab oder schleudern sie in einer Schnelligkeit zur Seite, als gäbe das Kugelgelenk der Schulter keine Grenzen vor.
Und auch die Beinarbeit lässt nichts aus, um den Stilbruch durch blitzschnell abgewinkelte Füße in Spitzenschuhen kenntlich zu machen. Dazu fließen die Klavier-Suiten von Händel stetig, mal temperamentvoller, mal im Tempo gemäßigt. Sie geben den Atem als Rhythmus vor, der von den Tänzern und Bigonzettis Choreographie wie eine Herausforderung zur Unterbrechung verstanden wird. Bis zum Schluss, wenn die Tänzer wieder frontal zum Publikum eine - durch die unterschiedlichen Bewegungen jedes einzelnen - chaotische Reihe bilden, hält die Spannung an.
Nora Abdel Rahman, Mannheimer Morgen 30.1. 2012

EINE BERÜHRUNG, ZART UND INTENSIV
Aterballetto in der Aschaffenburger Stadthalle war eine Berührung, zart und intensiv zugleich.
Main-Echo, 26.1.2012

EINE (HEILIGE) MESSE DER BEWEGUNG
"Die Tänzer sind alles", schildert Mauro Bigonzetti im Künstlergespräch nach der Aufführung. "Meine Inspirationen kommen von den Tänzern. Sie sind die Kraftquelle", beschreibt der Chefchoreograf des Aterballetto seine Arbeitsweise weiter. In der Tat stellt Bigonzetti Tänzerinnen und Tänzer einzigartig ins Zentrum: Nahezu ohne Bühnenbild, allein mit Hilfe des Lichtes und reduziert auf die Bewegungen sind sie das pulsierende Herz seiner Choreografien, prägen im Wechsel von Massenszenen und Solos (Pas Seul), Pas de deux oder Pas de trois die Bilder, wie im fast ausverkauften Burghof in Lörrach nun einmal mehr zu bewundern war.
Das aktuelle Programm der Truppe aus Reggio Emilia verbindet dabei zwei weit auseinanderliegende Epochen. Die eine markiert "Come un respiro", eine Choreografie nach einer Musik von Georg Friedrich Händel für fünf Tänzer und neun Tänzerinnen, die 2009 in Wolfsburg uraufgeführt wurde - mithin ein Ausflug ins 17. Jahrhundert, in die Welt des Barock, den "ich liebe", wie Bigonzetti im Burghof-Foyer einmal mehr bekennt. Trotz dieser Liebe aber braucht auch er den modernen Kick, um den alten Stoff zu fassen. Dafür sorgen die Händel-Interpretationen des (Jazz-)Pianisten Keith Jarrett, erzählt er weiter.
Diese Kombination, die Spannung zwischen Altem und Neuem, Historischem und Zeitgenössischen aber nutzt der Italiener geschickt für eine heilige Messe der Bewegung. Bewusst angelehnt an die Formensprache des klassischen Balletts – vom Tanz auf den Fußspitzen bis zu dem auch in den Details stilisierten Spiel aller Gliedmaßen, den an- und abgewinkelten Armen, den gespreizten Fingern, den ein- und ausgeklappten Beinen und Füßen, die sich zu immer neuen geometrischen Figuren und Mustern zusammenfügen und mitunter Assoziationen an ratternde Hebel einer Maschine wecken.
Aufgereiht und verschränkt wie Glieder eine Kette kommt das Ensemble in "Come un respiro" auf die Bühne. Dort lösen sich Einzelne aus dieser Kette, zelebrieren ihren Solopart, reihen sich wieder ein. Ein Kommen und Gehen, das zum Teil akrobatische, kühne Figuren gebiert, das Anmut und Eleganz versprüht; das aber auch als beredter Monolog oder sprühender Dialog erscheint und gewürzt ist mit einem – typisch italienischen - Gespür für Situationskomik und augenzwinkerndem Witz. Eine Perlenkette der Bewegung, die sich gleichsam verneigt vor der Unendlichkeit des Kosmos, in der alle Sterne als Sternschuppe verglühen.
Den zeitgeschichtlichen Kontrapunkt setzt "Le Sacre", die 2011 im Festspielhaus in Baden-Baden uraufgeführte Choreografie für das gesamte 18-köpfige Ensemble und Bigonzettis Version von Igor Strawinskis "Le Sacre du printemps", diesem Klassiker der Moderne vom Beginn des 20. Jahrhunderts. Auch "Le Sacre" beginnt mit einer Massenszene: In einer scherenschnittartigen Szenerie und aus einem Pulk am Boden Kauernder hebt sich die Silhouette einer Tänzerin, die zum Solo ansetzt. Das Muster wiederholt sich: "Le Sacre" oszilliert zwischen Kollektiv und Individuum, aus amorphen Menschenmassen und -haufen schälen sich Einzelne heraus, die Solos oder Pas de deux' tanzen und wieder im Kollektiv verschwinden – bis zu den arachisch anmutenden Kreisformationen im Sitzen, die sich rhythmisch klatschend um die Solisten bewegen, oder der ritualisierten Schlussszene des Opfers, der nur symbolisch angedeuteten Übertragung der "Kraft des Weiblichen" auf das Kollektiv.
Noch mehr als in "Come un respiro" aber setzt Bigonzetti in "Le Sacre" auf eine expressive Körpersprache, zerlegt die Körper in Einzelteile und formt neue geometrische, fast architektonische Gebilde, verwickelt und verknotet seine Tänzer und Tänzerinnen zu immer neuen fantastischen Figuren und Kompositionen. Das ist moderner, freier und expressiver als die Händel-Choreografie und doch bleibt die Handschrift unverkennbar.
Tanz hat leicht etwas Beliebiges, versinkt in der Bodenlosigkeit unauflösbarer Rätsel oder verliert sich in der Leere gymnastischer Hochleistung. Diesen Fallen entgeht Bigonzetti durch seine radikalen Reduktionen und die Fokussierung auf das Physische und die Tanzkörper: Aterballetto fasziniert in diesen Choreografien von der ersten bis zur letzten Minute mit der elementaren Kraft, fesselt mit einer Magie der Bewegung. Mauro Bigonzetti ist weltweit gefragt als Choreograf; er arbeitet in ganz Europa, Nord- und Südamerika. Besonders positiv aufgenommen aber werde seine Arbeit in Deutschland, verteilte er gleich zu Beginn des Künstlergesprächs Komplimente. Das war im Burghof nicht anders und das dürfte bei einem neuerlichen Wiedersehen in Lörrach kaum anders werden.
Michael Baas, Badische Zeitung 21.1. 2012

nach oben