CENTRO COREOGRAFICO NAZIONALE / ATERBALLETTO
PRESSESTIMMEN
HIER TANZT DER SIEBENFACHE CASANOVA
Was tun, wenn ein Mythos übermächtig ist? Choreograph Eugenio Scigliano vervielfachte seinen Casanova, ließ in gleich siebenfach über die Bühne tanzen - und vermied dabei allzu erzählerische Elemente. Es wurden eher Assoziationen auf die Bühne gestellt, Facetten aus dem Leben. Die unzähligen Duelle mit gehörnten Ehemännern wurden bewegungsmäßig mit einigen Fechtschritten nur angedeutet.
Zum Schluss entledigten sich die sieben, alt gewordenen Casanovas ihrer Büßergewänder und schritten zu abgezirkelten Klavierklängen halbnackt nach vorn, um dem Publikum ein letztes Mal die Reverenz zu erweisen - schönes Schlussbild eines nur für die Tänzer anstrengenden Ballettabends.
Henning Queren, Neue Presse 2.4.2013
GEPEINIGTER SIEGER
Derwische kreisen ja trancehaft um die eigene Körperachse. Bei diesem (Anti-)Helden kreist jeder Arm, jedes Bein, der Kopf, der Rumpf jeweils um eigene, kaum erkennbare Achsen. Als wüteten 1000 Taranteln unter seiner Haut, die alle in eine gegensätzliche Richtung stieben. Der italienische Choreograf Eugenio Scigliano zeigt einen gepeinigten Casanova, mit dem niemand tauschen möchte. (Na ja, so tanzen können, das wäre schon was!)
Gerade mal 75 Minuten dauert dieser Gefühlsrausch, den das Gastspiel der Compagnie Aterballetto während der Oster-Tanz-Tage in der hannoverschen Oper zelebriert. 75 Minuten zeitgenössisches Tanztheater von höchstem ästhetischem Raffinement. Ein überdimensionaler barocker Spiegel verortet die leichtlebige Gesellschaft ins 18. Jahrhundert, eine delikate Lichtführung signalisiert kippende Stimmungen.
In diesem Ambiente gebiert Eugenio Scigliano die Dramaturgie der getanzten Gefühle - vom flüchtigen Sieger und verzweifelten Verlierer. Der 1968 geborene Scigliano, 1994 als bester Tänzer Italiens ausgezeichnet, verfügt über eine betörende Bewegungssprache. Ob Flittchen, Soldat oder Nonne, die Charaktere der Tänzer kennen und lieben die balletöse Aufgerichtetheit. Doch der Rest ist ein flirrendes Heute - barfuß und mit flapsigen Luftsprüngen volle Pulle rein in die Arme des Partners. Oder weichen Armen und Beinen, die Energie hinauszuschleudern vermögen.studiert.
2001 kam Scigliano als Solist zum Aterballetto. Mitte der Neunziger entstanden unter der Ägide seines Mentors Mauro Bigonzetti, dem Gründer des Aterballetto, erste Choreografien. „Casanova“ ist die erste abendfüllende Arbeit Sciglianos, auf Anhieb ein Bravourstück. Maßgeblich getragen auch von einem barocken Klangteppich, gemixt aus Antonio Vivaldi, Carl Philipp Emanuel Bach und Monsieur de Sainte-Colombe. Während eines intimen Augenblicks streichen die Tänzer über die Körper der Tänzerinnen, als seien diese 300 Jahre alte Gamben. Ein fabulöses Finale zum Abschluss der drei Gastspiele der Oster-Tanz-Tage.
Hannoversche Allgemeine 1.4.2013