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zur Startseite (ecotopia dance productions: Repertoire Centro Coreografico Nazionale / Aterballetto - Don Juan)

CENTRO COREOGRAFICO NAZIONALE / ATERBALLETTO

REPERTOIRE

CHOREOGRAPHIEJOHAN INGER
MUSIKMARC ÁLVAREZ, ORCHESTRIERT UND DIRIGIERT VON MANUEL BUSTO MIT DEM ORQUESTA DE EXTREMADURA
DRAMATURGIEGREGOR ACUÑA-POHL
BÜHNECURT ALLEN WILMER (AAPEE) MIT ESTUDIODEDOS
KOSTÜMEBREGJE VAN BALEN
LICHTFABIANA PICCIOLI
BÜHNECARLO CERRI
ASSISTENT CHOREOGRAPHIEYVAN DUBREUIL
URAUFFÜHRUNG9.10.2020 TEATRO COMUNALE CLAUDIO ABBADO, FERRARA (I)
DAUER DER VORSTELLUNG60 MIN PAUSE UND 30 MIN
ON STAGE16 TÄNZER*INNEN
VIOLINE UND VIOLAVERÓNICA JORGE
CELLOAINHOA URIVELARREA

Don Juan – ein Stoff, um den sich zahlreiche Mythen ranken. Ein Stoff, aus dem über Jahrhunderte hinweg literarische Kostbarkeiten erwuchsen. Aber auch ein Stoff, aus dem Träume sind? Die Figur des Don Juan gilt zweifellos als Archetypus eines Frauenhelden, dessen Leben auf zahllosen Liebschaften, rücksichtslosen Intrigen und einer unstillbaren Gier baut. Aber wie viel gefallener Engel steckt eigentlich in dem amourösen Narzissten? Der schwedische Choreograf Johan Inger begibt sich mit dem Aterballetto auf Spurensuche.

Von Brecht über Molière und Tirso de Molina, von Byron über Dumas, von Handke über Puschkin, von Fellini über Bergman – die Liste jener Kunstschaffenden, deren Werke sich Johan Inger und sein Dramaturg Gregor Acuña-Pohl über die Jahre hinweg angenommen haben, ist lang. Und doch war es am Ende das Stück der belgischen Schriftstellerin Suzanne Lilar (ihrerseits die erste Frau, die sich an der Universität Gent einschrieb und später als Juristin am Antwerpe- ner Gericht zugelassen wurde), das das Duo am meisten überraschte und beeindruckte. In ihrem 1945 entstandenen Theaterstück Le Burlador ou l’Ange du Démon nähert sie sich dem Mythos Don Juan aus einer weiblichen Perspektive, stellt die Frauen ins Zentrum und macht Don Juan selbst zum Opfer aller Frauen, die er eroberte. So gibt er den Frauen stets, was sie brauchen. Sein einziges Vergehen besteht darin, nicht zu seinem Wort zu stehen und keine Verantwortung zu übernehmen. Ein interessanter Ansatz, fanden Inger und Acuña- Pohl und fragten sich trotzdem zurecht: Warum ein weiterer Don Juan? Welchen Beitrag zu Don Juan können sie leisten?
Von Beginn an war klar: Die Figur des Commendatore, die eine Art „göttliche“ Gerechtigkeit vollzieht, passte nicht in ihr Konzept. Am Ende des Lebens nicht Gott, sondern einer elterlichen Figur Rechenschaft über die eigenen Gräueltaten abzulegen, war eine schlüssige Folge ihrer Überlegungen. So wird Don Juans Mutter in Ingers Interpretation zu einer Art Commendatora, die ihn am Ende des Stücks mit seinen Taten konfrontiert. Don Juans Verhalten psycho- analytisch zu erklären und zu untersuchen, worin der Grund für sein gestörtes Verhalten Frauen gegenüber begraben liegt, war ein weite- rer Ansatz, sich einer eigenen Version des Don Juan zu nähern. Der Verlust der Mutter in jungen Jahren wird zum grausamen „point of no return“ und Ursprung seines zwanghaften Eroberungsdrangs. Das Gefühl des Verlassenwerdens wird seinem ständigen Wunsch nach Anerkennung und Befriedigung zugrunde gelegt, die eigene Mutter in seinen Gedanken zu einem Geist, den er bei allen Eroberungen zu finden sucht.
Ein weiterer Charakter, den es für Inger und Acuña-Pohl zu überdenken galt, war die Figur des Leporello. Einer Geschichte, die sich an einem beliebigen Ort zu einer beliebigen Zeit zutragen könnte, war die Figur eines Pagen nicht länger dienlich. Die Idee, wie einige Inter- pretationen zuvor, Leporello anstelle eines Dieners als Bruder oder besten Freund darzustellen, gefiel. Die Lösung fanden sie allerdings in einer komplexeren Gestaltung: Inspiriert von Filmen wie Life of Pi, The Fight Club oder Das Bildnis des Dorian Gray, kreierten sie Leo als den guten Teil von Don Juan in einer Person. Er gilt als das gänzliche Gegenteil des Protagonisten, demonstriert Moral und Sittlichkeit in all seinen Lebenslagen. Am Ende ist es ebendieser Teil von Don Juan, Leo, der dem Geist seiner Mutter auf die „richtige“ Seite folgen wird. So scheint letztlich zumindest eine Teilschuld beglichen, denn der wahre Don Juan selbst wird sich nie ändern. Das ist die Basis dieses Mythos, die Essenz der Legende des Don Juan.
Während sich auf narrativer Ebene Charaktere entfalten, setzen 16 TänzerInnen des italienischen Aterballetto alles daran, diese Ent- wicklung der Figuren in intensiven und sinnlichen Choreografien auch auf die Bühne zu bringen. Energetische Gruppenszenen treffen auf leidenschaftliche Pas de deux, spannungsgeladene Momente auf ganz intime Geständnisse. Diese Gegensatzpaare inspirierten auch Curt Allen Wilmer zu seinem Bühnenbild. Der Kontrast Schwarz und Weiß, Dunkel und Hell zieht sich durch die gesamte Szenerie, dominoartige Blöcke fungieren dabei als Metapher für gegensätzliche Gefühle und zweischneidige Charaktere. Ebenso auf die Zeichnungen der Charaktere und ihren Handlungen aufbauend, gestaltet sich die Originalkomposition aus den Federn von Marc Álvarez. Für Johan Inger während des Kreationsprozesses von wesentlicher Bedeutung, führt die Musik wie ein Leitmotiv durch die Choreografie und wurde parallel zum Stück erarbeitet. Diese unmittelbaren Reaktionen, die jede Szene in der Musik und umgekehrt hinterließen, lassen die Bühnenmomente am Ende noch schmerzlicher wirken. Ein Schmerz, dem man sich nicht so leicht entziehen kann, wie dem Charisma und der Anziehungskraft eines Don Juan. Er ist es auch, der uns verführt, in einen Traum versetzt, aus dem wir am Ende aufwachen, und fest- stellen, dass auch wir gerade nur ein weiteres Opfer eines teuflischen Engels geworden sind.

Eine Produktion von Fondazione Nazionale della Danza / Aterballetto in Koproduktion mit Ravenna Festival, Fondazione I Teatri di Reggio Emilia/Festival Aperto, Fondazione Teatro Regio di Parma, Associazione Sferisterio Macerata, Festspielhaus St. Pölten, Teatro Stabile del Veneto, Fondazione Teatro Metastasio di Prato, Centro Teatrale Bresciano und Fondazione Cariverona – Circuito VivoTeatro (Teatro Ristori di Verona, Teatro Comunale di Belluno, Teatro Salieri di Legnago, Teatro Comunale di Vicenza, Teatro delle Muse di Ancona).

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